21.10.2012
Libanon: Machtprobe der Opposition misslingt - Ausschreitungen in Beirut
Statt der geplanten Machtdemonstration zur Beisetzung Wissam al-Hassans  sorgt die libanesische Opposition für Negativschlagzeilen: Nach der Zeremonie kommt es zu Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei. Derweil wird der Ruf nach dem Rücktritt der Regierung immer lauter.
Bilder: Zimprich
Demonstranten vor der Al-Amin Moschee

Ein buntes Fahnenmeer hat sich einmal mehr auf dem Beiruter Märtyrerplatz versammelt. Das Hellblau der Zukunftsbewegung von Saad Hariri mischt sich mit dem Weiß der Flaggen der Force Libanese sowie den stilisierten Zedern der Kataib. Wie selbstverständlich dabei: die schwarzen Flaggen der Salafisten oder die grünen der Jamaat al-Islamiya, der islamischen Gemeinschaft, wie sich der libanesische Ableger der Muslimbrüder nennt. Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, von konservativen Christen bis zu strenggläubigen Muslimen demonstieren Einigkeit unter dem Banner der Koalition des 14. März. Auch vereinzelte Anhänger der Progressiven Sozialisten Partei von Druzenführer Walid Jumblat haben sich am Märtyrerplatz eingefunden, obwohl die PSP nicht zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen hat. Allein: Es sind zu wenige. Hunderttausende Demonstranten hatte die Opposition erwartet, ein paar tausend sind gekommen.
Was sie eint, ist der Aufruf ihrer politischen Führer sowie die Abneigung gegen einen starken Einfluss des syrischen Baath-Regimes auf die Geschicke des Libanon. Die Koalition war 2005 nach den Anschlägen auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri geschmiedet worden. Die Massendemonstration am 14. März, die im Westen unter dem Begriff „Zederrevolution“ bekannt wurde sowie internationaler Druck führten zum Abzug der syrischen Besatzungstruppen die nach Ende des libanesischen Bürgerkriegs im Libanon verblieben waren.   
Am 21. Oktober wendet sich wieder eine große Menschenmenge in Beirut gegen den Einfluss des Assadregime im Libanon. Der Auslöser diesmal: Die Ermordung von Wissam al-Hassan, Brigadegeneral der »Interne Sicherheitskräfte des Libanons« ISF, sowie sieben weiterer Libanesen, am Freitagnachmittag durch eine Autobombe im Beiruter Stadtteil Achrafieh. Wissam al-Hassan war maßgeblich an den Ermittlungen gegen Ex-Informationsminister Michel Samaha beteiligt, der am 9. August 2012 verhaftet worden war. Samaha wird vorgeworfen, führender Kopf einer Verschwörung zu sein, die in Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime Attentate im Libanon durchführen sollte.
Großplakate in Downtown Beirut erinnert an den "Märtyrer" Wissam Al-Hassan
Der Tod al-Hassans, den die libanesische Presseals „Super-Bulle“ bezeichnet, als „wertvollsten und unersetzlichsten aller Funktionäre“, trifft das Land schwer.
„Bachar al Assad hat das Attentat auf den Martyer Wissam al Hassan persönlich befohlen“ gibt sich Mohammad Kabara aus Tripoli überzeugt. „Miqati muss sofort zurücktreten! Er hat die Sunniten des Libanon durch seine Koalition mit der Hizbollah verraten!“ So wie Mohammed denken heute viele am Märtyrerplatz. Als der Name von Ministerpräsident Najib Miqati auf den Übertragungsleinwänden erwähnt wird ertont ein Konzert von Pfiffen und Buhrufen. Zahlreiche Demonstranten halten Plakaten mit dem Slogan „Miqati dégage!“ (Miqati verpiss dich) hoch. Auch der ehemalige Premierminister des Libanon, Fouad Siniora, fordert bei seiner Ansprache während der Trauerfeier den Rücktritt Mikatis.
Auch per Motoroller sind die Demonstranten unterwegs
Bereits gestern hatten rund 2000 Libanesen, hauptsächlich Anhänger der Oppositionsparteien Lebanese Forces und Hariris Future Movement in Beirut demonstriert. Sie forderten den Rücktritt der Regierung. Premierminister Najib Mikati hatte auch tatsächlich sein Amt zur Verfügung gestellt. „Ich habe Präsident Michel Sleiman versichert, dass ich nicht an meinem Posten als Regierungschef hänge. Er bat mich jedoch zu bleiben, da es sich nicht um eine persönliche Frage handele, sondern um das nationale Interesse“, berichtete Mikati. Präsident Sleiman selbst stellte in einer Kabinettssitzung gestern Abend ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf al-Hassan sowie dessen Untersuchungen zum Fall Samaha her. Der ehemalige Premierminister Saad Hariri sowie der Druzenführer Walid Jumblatt hatten Syriens Präsidenten Bachar al-Assad direkt für den Anschlag am Freitag verantwortlich gemacht.
Obwohl sowohl die syrische Regierung als auch die libanesische Hizbollah den Anschlag umgehend verurteilten und den Vorwurf der Täterschaft abstritten, mehren sich im In- und Ausland die Stimmen, welche genau diese beiden für den Anschlag verantwortlich machen. Auch der französische Außenminister Laurent Fabius beschuldigte Syriens Präsidenten Bashar al-Assad, den Konflikt in seinem Land über die Grenzen hinaus zu tragen, sowie die Hizbollah, in den syrischen Bürgerkrieg involviert zu sein.
Heute in Beirut - Flaggen des "Freien Syriens"
Im Anschluss an die Trauerfeier machte sich eine große Menschenmenge in Richtung Großes Serail auf, den Sitz der libanesischen Regierung in Downtown Beirut. Dort kam es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei sowie dem libanesischen Militär, die eine Stürmung des Serails verhinderten. Auf den Fernsehbildern war zu sehen, dass die Polizei sich gegen die Steinwürfe der Demonstranten mit Tränengas zur Wehr setzte, vereinzelt schossen Beamte in die Luft.
Kata`ib-Mitglieder marschieren zur Kundgebung auf dem Märtyrer-Platz
Auch in anderen Städten kam es vereinzelt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. So war zu hören, dass Demonstranten die Autobahn zwischen Saida im Süden und Beirut zwischenzeitlich blockiert hatten. Nach Berichten der Libanesischen Nachrichtenagentur NNA wurde auch in Tripoli im Nordlibanon eine Autobahn blockiert.
Eine zweite Zedernrevolution fand am 21. Oktober nicht statt. Die Mobilisierung blieb weit hinter der von 2005 zurück und erreichte auch längst nicht die Ausmaße der Demonstrationen 2011. Damals hatte die Bewegung noch einmal ihrer Muskeln spielen lassen, nachdem die Regierung Saad Hariris gestürzt worden war und die Milliardär Najib Miqati aus Tripoli unter Federführung der Hizbollah ein neues Kabinett bildete. Die libanesische Opposition scheint langsam, aber sicher die Kontrolle über ihre Anhänger zu verlieren – ihre Mobilisierungskraft schwindet, und ihr Aufruf zur friedlichen Demonstration verhallt ungehört.

 

Sein Journalistik-Studium führte Bodo vor einigen Jahren in den Libanon. Es folgten viele weitere Aufenthalte im Libanon und in anderen Ländern der Levante, auch als Reiseleiter für Alsharq REISE. Bodo hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens in Marburg und arbeitet heute als Journalist, meist für die Badischen...