17.05.2011
Libanons Innenminister im Interview: »Ich habe nie darum gebeten, hier zu sein«

Interview: Robert Chatterjee, Christoph Dinkelaker und Björn Zimprich
Libanons Innenminister Ziyad Baroud im Interview über ehrgeizige Reformprojekte, die Protestbewegungen in der Region – und warum er der Politik nach fast drei Jahren frustriert den Rücken kehrt.

Alsharq: Herr Baroud, in einem Land wie Libanon, in dem die wichtigsten Politiker die staatlichen Institutionen meist umgehen, muss ihr Job als Innenminister sehr frustierend sein...

Ziyad Baroud: In jedem Land der Welt ist das Innenministerium wohl eines der herausfordernsten Ressorts überhaupt. Man muss sich täglich mit Dingen herumschlagen, die nicht immer Spaß machen: Polizei, Kriminalität, Lokalverwaltung, Passangelegenheiten. Jedes Mal wenn ich mich mit anderen Innenministern aus der Region, oder auch mit Kollegen aus dem US-Heimatschutzministerium, treffe, wird mir bewusst, wie schwierig dieses Ressort ist. Und im Libanon ist es besonders kompliziert.

Woran können Sie das festmachen?

Sie haben es treffend formuliert: Es ist frustrierend. Inmitten vieler umkämpfter Themengebiete ist es besonders schwer, wenn man keinem der politischen Blöcke angehört. Um ehrlich zu sein: Nach zwei Jahren und neun Monaten im Amt kann ich Ihnen versichern, dass es wahrlich nicht einfach war, ständig in der Mitte zu sein. Präsident Michel Suleiman, der keinen der politischen Blöcke vertritt, hat mich nach seinem Amtsantritt 2008 nominiert. Er entschied sich nicht für mich, um mir einen persönlichen Gefallen zu tun, sondern wegen meiner bisherigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten als Vorsitzender der NGO »Lebanese Association for Electoral Reform« (LADE). 2004 wurde ich LADE-Generalsekretär und habe in dieser Funktion etwa die Parlamentswahlen 2005 beobachtet. Später hat man mich beauftragt, die Ministerialkomission für die Wahlrechtsreform zu leiten, zusammen mit meinem Kollegen Nawaf Salam, der heute Libanons Botschafter bei den Vereinten Nationen ist. Als ich im Parlament den Entwurf für ein neues Wahlgesetz vorgestellt habe, hatte ich mich also schon jahrelang mit diesem Thema auseinandergesetzt. Leider habe ich von dem gesamten Paket nur etwa 30 Prozent durchbringen können. Es ein schwieriges Unterfangen, wenn man es mit Politikern zu tun hat, denen es in erster Linie darauf ankommt, dass das Wahlgesetz ihre Wiederwahl sicherstellt. Aber selbst wenn ich das nicht gutheiße, kann ich es von ihrem Standpunkt auch nachvollziehen. Also habe ich versucht, zumindest ein Minimum an Veränderungen durchzusetzen.

Wie sehen Sie ihre Rolle in der Regierung: Als Vermittler zwischen widerstreitenden Blöcken, als Puffer oder als Reformmotor?

Von allem ein bisschen – je nachdem was gerade auf dem Tisch liegt. Als ich 2009 die Parlamentswahlen organisiert habe, musste ich zu allen Parteien auf gleiche Distanz gehen. So etwas sagt man nicht einfach, man muss es auch vorleben. Und ich glaube, mir ist das auch ganz gut gelungen – besonders wenn man bedenkt, dass es im Libanon vorher nie einen unparteiischen Innenminister gegeben hat. Laut der Verfassung darf man sogar als Innenminister gleichzeitig auch zu Wahlen antreten. Ich gehöre keiner politischen Partei an und habe auch nicht bei den Wahlen kandidiert – vielleicht hat diese Tatsache Einiges erst ermöglicht. Vergessen Sie nicht, dass 2009 die Wahlen zum ersten Mal überhaupt an nur einem Tag durchgeführt wurden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie viele Politiker darüber den Kopf geschüttelt haben, nicht wenige hielten mich für verrückt. Ich bin die Sache als Experte angegangen und wusste sehr genau, was auf dem Spiel stand. Aber die Frustration setzte danach ein. Mit dem Wahlgesetz in der momentanen Form bin ich nämlich alles andere als glücklich. Eine der Reformen, für die ich mich noch immer einsetze, ist die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die anstelle des Innenministeriums die Wahlen organisiert und durchführt. Mir gefällt es wirklich nicht, dass noch immer das Innenministerium für Wahlen zuständig ist – aber das Parlament hat meinen Vorstoß abblitzen lassen. Ich bis also mit dem Gesetz an sich unzufrieden, habe aber mein Bestes getan, um es umzusetzen und zu allen Parteien Distanz zu wahren. Dennoch, bei der Durchführung der Wahlen haben wir viele Details verbessert: etwa digitale Fingerabdrücke, neue IDs und durchsichtige Wahlurnen. Das sind nicht bloß kosmetische Veränderungen, sie berühren durchaus die Konzeption von Wahlen im Libanon. Leider wurde mein Vorstoß für vorgedruckte Wahlzettel abgelehnt, weil die Politiker ziemlich genau wussten, wie sehr das ihre Kontrolle über die Wähler beeinträchtigen würde. Für diesen Vorschlag habe ich gerade einmal 20 von 128 Stimmen im Parlament erhalten.

»Ich kann nicht gleichzeitig zivilgesellschaftlicher Aktivist und Innenminister sein«

Fühlen Sie sich inzwischen als Teil der politischen Elite oder sind Sie noch immer ein Außenseiter?

Ich glaube nicht, dass die politische Klasse die Elite ist. Die politische Klasse wird durch das bestehende Wahlgesetz hervorgebracht. Und wenn das Wahlgesetz schlecht ist, bekommt man nicht unbedingt eine Elite als politische Klasse – und sicherlich keine, die alle Gesellschaftsschichten wirklich repräsentiert. Ich spiele in der politischen Arena, aber ich gehöre nicht zur politischen Klasse. Ich bin nicht mehr in der Zivilgesellschaft aktiv, aber ich könnte bald dorthin zurückkehren. Ich kann nicht gleichzeitig zivilgesellschaftlicher Aktivist und Innenminister sein – das ist völlig unmöglich. Allerdings fühle ich mich in der Zivilgesellschaft zuhause und werde dort mit Sicherheit auch wieder zurückkehren, sobald ich aus dem Amt scheide. Minister zu sein war eine unglaubliche Erfahrung – sehr herausfordernd, oft frustrierend, aber beizeiten auch lohnend. Ich habe viel gelernt.

Können Sie die Zivilgesellschaft denn aus Ihrem Ministerium heraus fördern?

Ich habe nie meine Prinzipien aufgegeben. Von Beginn an war mir bewusst, dass der Tag kommen wird, an dem ich dieses Ministerium wieder verlassen werde. Ich wollte hier nie Jemand werden, der im Amt seine Identität preisgibt. Ich kann in den Medien nicht immer sagen, was ich wirklich denke, aber ich war nie bereit, das zu opfern, wofür ich jahrelang gearbeitet habe.

Sehen Ihre ehemaligen Mitstreiter aus der Zivilgesellschaft dies genauso?

Nicht unbedingt und ich kann sie auch verstehen. Einige von ihnen sehen mich nicht gerne in dem Amt, das ich nun bekleide. Ich bin ja nicht Kulturminister! Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich das vielleicht ganz genauso machen, allerdings ist es auch immer einfacher, von außen zu kritisieren. Ich habe der Kommission für die Wahlrechtsreform angeboten, im Innenministerium Quartier zu beziehen und meinen ehemaligen Kollegen versichert, dass sie sich in keinster Weise verstellen oder mit Kritik hinterm Berg halten müssen. Dieser Schritt hätte es ihnen ermöglicht, die Wahlvorbereitungen des Ministeriums unmittelbar zu beobachten und zu bewerten. Ich habe ihnen angeboten, jegliche Unregelmäßigkeit zu melden, und wenn ich darauf nicht eingegangen wäre, hätten sie in ihrem Report schreiben können, dass ich ein Lügner bin. Ich habe also versucht, sie in den ganzen Prozess aktiv miteinzubeziehen – das können Sie in eben jenem Report auch nachlesen. Ein anderes Beispiel: Ich bin überzeugter Anti-Konfessionalist. Ich schätze die Pluralität und Diversität der Religionsgemeinschaften im Libanon, aber setze mich auch für die Meinungs- und Gedankenfreiheit ein, die im Übrigen auch in unserer Verfassung verbürgt ist. Artikel 9 garantiert die absolute Gedankenfreiheit und darauf aufbauend denke ich, dass es den Libanesen freisteht, sich zu keiner der anerkannten 18 Religionsgemeinschaften zugehörig zu fühlen – die Nicht-Konfession quasi als Nummer 19. Ich habe mit vielen Zivilgesellschaftsaktivisten an diesem Themenkomplex gearbeitet. Aber natürlich machte sich auch hier bald Frustration breit, weil ich nicht alles umsetzen konnte, wovon ich geträumt hatte.

Vor einigen Wochen zog ein beachtlicher Demonstrationszug der Säkularismus-Bewegung vor Ihr Ministerium. Hätten Sie sich dem nicht eigentlich lieber angeschlossen?

Die Organisatoren haben mich das gleich am Anfang gefragt. Ich habe ihnen geantwortet, dass ich mich ihnen vielleicht angeschlossen hätte, wenn ich nicht im Amt gewesen wäre. Aber ich kann mich ihnen nicht anschließen, weil ich Minister in einem System bin, das sie ja ersetzen wollen. Nicht dass ich in irgendeiner Art und Weise an diesem System hänge, aber ich kann nicht beides gleichzeitig tun – und außerdem sehe ich Dinge auch nicht so schwarz-weiß. Ich habe oft mit den jungen Leuten, die sich dabei engagieren, diskutiert. Das konfessionelle System zu ersetzen ist eine großartige Idee, aber die Umsetzung ist sehr kompliziert – und ich wollte keine falschen Hoffnungen auf eine schnelle Umsetzung wecken. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich aus diesen Demonstrationen Kapital schlage. Diese Bewegung gehört den jungen Aktivisten und wir sollten das respektieren.

»Unsere Demokratie repräsentiert nur 3 Prozent der Libanesen!«

Zu den Forderungen der jungen Säkularisten zählt auch die Einführung der Zivilehe...

Diese Forderung unterstütze ich voll und ganz. Ich habe selbst nochmal auf Zypern geheiratet – obwohl ich das nicht musste, weil meine Frau auch Christin ist. Wir haben das aus Überzeugung getan. Das was man glaubt, muss man auch praktizieren. Mit Religion hat das nichts zu tun, ich gehe ja noch immer jeden Sonntag in die Kirche. Aber wir müssen unseren religiösen Glauben vom politischen Leben trennen. Das konfessionelle Regime in all seinen Ausprägungen macht unser Leben kompliziert. Ich glaube fest daran, dass wir uns an unserer Verfassung orientieren müssen – und zwar so, dass sie nun wirklich einmal umgesetzt wird. Das würde im Übrigen auch nicht die Rechte von religiösen Minderheiten aufweichen. Und was ist eigentlich mit politischen Minderheiten? Wenn ich über proportionale Vertretung rede, dann meine ich damit auch, die Rechte politischer Minderheiten zu schützen. Wir brauchen etwa Anreize für Frauen und für junge Leute. Natürlich sind Quoten nicht die ultimative Lösung. Irgendwann müssen wir zu einem System kommen, in dem jede Stimme zählt. Das einfache Mehrheitssystem, das wir zurzeit haben, funktioniert einfach nicht, weil es nicht repräsentativ ist. Um Ihnen das mal vor Augen zu führen: Nur 50 Prozent der Libanesen sind überhaupt in den Wählerlisten registriert. Von diesen 50 Prozent geben vielleicht maximal 50 Prozent am Wahltag ihre Stimme ab. Und aus diesen 25 Prozent brauchen Kandidaten maximal die Hälfte der Stimmen – durch das Mehrheitswahlrecht schaffen es einige sogar nur mit 20 Prozent. Nehmen wir an, dass diese Kandidaten die Hälfte der Stimmen bekommen, dann sind wir bei 12,5 Prozent. Im Parlament müssen mindestens 50 Prozent der Abgeordneten anwesend sein, damit eine Abstimmung durchgeführt werden kann, dann sind wir bei 6,25 Prozent. Und wenn es zur Abstimmung kommt, wird wiederum die Hälfte der Stimmen benötigt. Wir haben also eine Demokratie, die nur 3 Prozent der Libanesen repräsentiert!

Sind religiöse Autoritäten bezüglich Ihrer Anliegen Partner oder Gegner?

Im Libanon gehören religiöse Autoritäten einfach dazu, meiner Meinung sollten sie sich in nationalen Fragen einbringen – allerdings nicht als ausschließliche Interessenvertreter ihrer Religionsgemeinschaft. Das maronitische Patriarchat zum Beispiel sollte sich nicht in politische Angelegenheiten einmischen, sondern eine Begegnungsstätte zur Diskussion sein. Religiöse Autoritäten sollten Stellung zu gesellschaftlichen Entwicklungen beziehen – und sich nicht auf die Seite einzelner Parteien oder Politiker stellen. Niemand verlangt, dass sich die Religionsgemeinschaften auflösen, aber Rechte sollten an Staatsbürgerschaft gekoppelt sein – und nicht an die Konfession.

»Wer das System ändern will, soll die Verfassung ändern – oder eine Alternative vorschlagen«

Wie sehen Sie als ehemaliger Zivilgesellschaftsaktivist eigentlich die Welle von Aufständen und Umstürzen in der arabischen Welt?

Jedes Volk hat das Recht, seine legitimen Rechte einzufordern und eine freie Wahl zu haben. Die Menschen in der Region haben ein Recht darauf, ihre Gefühle nach außen zu tragen – das haben sie ja auch getan, schließlich wurde ihnen das jahrzehntelang verwehrt. Aber niemand sollte sich in die inneren Angelegenheiten dieser Länder einmischen, sei es durch Unterstützung der Aufstände oder durch das Stützen der Regime. Die Auswirkungen sind in beiden Fällen negativ. Es ist mir unbehaglich, wenn etwas zerstört wird, ohne danach zu schauen, was danach kommt. Diejenigen, die Revolutionen anführen, tragen eine Verantwortung, nach Alternativen zum Bestehenden zu suchen. Man kann die Menschen nicht in dem Glauben lassen, dass Regime sei gestürzt, nur weil der Kopf des Regimes gefallen ist. Man muss sich am verfassungsrechtlichen Rahmen orientieren, um die Machtverteilung neu zu organisieren. In dieser Hinsicht hat sich noch nicht so viel grundlegend verändert, deswegen muss man wohl abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Im Libanon stehen die Dinge anders, und auch die jüngsten Säkularismus-Demonstrationen sind andersartig.

In anderen arabischen Ländern skandierten die Menschen den Slogan »Nieder mit dem System«. Im Libanon gibt es aber so etwas wie einen Staat ja nur bedingt...

...deswegen stehen die Dinge im Libanon noch anders, weil wir noch nicht gründlich genug über tragfähige Alternativen für die Zeit danach nachgedacht haben. Ich will nun wirklich nicht das bestehende konfessionelle Regime verteidigen. Aber wir haben ein konstitutionelles System, auf das wir uns beziehen können. Wer also das System ändern will, soll die Verfassung ändern – oder eine Alternative vorschlagen. Natürlich müssen wir viele Aspekte unseres konstitutionellen Rahmens unter die Lupe nehmen. Das Ta´if-Abkommen von 1990 ist zum Beispiel nie wirklich gründlich evaluiert worden. Wir müssen genau schauen, was seitdem wirklich umgesetzt worden ist.

Wie werden die Aufstände in Syrien den Libanon beeinflussen?

Natürlich hat das Auswirkungen auf den Libanon – ebenso wie auf Jordanien und den Irak. Wir sind Teil der Region. Die Staatsstreiche in Syrien der 1950er und 1960er Jahre wurden zum Beispiel oft vom Libanon aus vorbereitet – auch wegen der politischen Freiheiten, die der Libanon bietet. Der Fall Syrien unterschiedet sich jedoch von dem, was wir in Ägypten und Tunesien gesehen haben. Syrien spielt eine wichtige regionale Rolle, dies sollte nicht außer Acht gelassen werden. Der Staat spielt eine Rolle in den Problemfeldern Irak, Libanon, Iran und Palästina. Man kann nicht einfach die Tatsache ignorieren, dass Syrien eine Regionalmacht ist.

Viele Libanesen hoffen, dass die Ereignisse in Libyen neue Erkenntnisse über den Verbleib des 1978 verschwundenen populären schiitischen Klerikers Musa Sadr zutage fördern...

Die Verantwortung des libyschen Regimes in dieser Angelegenheit ist Fakt. Also muss Libyen Antworten liefern – es kann nicht weiter behaupten, dass Musa Sadr einfach verschwunden ist. Nach internationalem Recht steht Libyen in der Pflicht, sich glaubhaft zu erklären, das ist bisher nicht geschehen. Der Fall ist zudem bei einem libanesischen Gericht anhängig und sollte auch dort verhandelt werden. Aber natürlich hoffe wir, dass die Ereignisse in Libyen ein Licht auf das Schicksal von Musa Sadr werfen kann, allerdings liegen uns noch keine neuen Erkenntnisse vor.

»Während meiner gesamten Amtszeit haben mir die notwendigen Mittel gefehlt«

Seit Januar ist der Libanon ohne Regierung – und die meisten Libanesen scheint das auch wenig zu interessieren. Teilen Sie diesen Eindruck?

Ja, und es ist mehr als nur ein Eindruck. Die Libanesen haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so viel durchgemacht. Wenn man Krieg durchlebt und unter Feuer gerät, wenn man seine Familie nicht mehr beschützen kann, ist eine provisorische Regierung keine wirklich große Krise. Belgien ist seit fast einem Jahr ohne Regierung! Allerdings funktionieren dort die Institutionen und die Wirtschaft ist noch nicht einmal besonders betroffen. Im Libanon ist das natürlich anders. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wir müssen einen neuen Zentralbank-Chef ernennen, weil dessen Amtszeit im Juli ausläuft. Wenn die Regierung also nicht zusammentreten kann, um jemanden zu ernennen, haben wir ein Problem. Alle geschäftsführenden Minister haben es zurzeit schwer, weil man nicht zum Ministerrat gehen kann, wenn man ein Problem hat – und wir haben wahrlich eine Menge Probleme! Während der jüngsten Krawalle im Roumieh-Gefängnis nahe Beirut wurde ich komplett im Stich gelassen. Selbst, wenn das Kabinett zu keinem Ergebnis gekommen wäre, hätte man es wenigstens dafür verantwortlich machen können.

Werden Sie der nächsten Regierung noch angehören?

Ich hoffe nicht. »J´ai eu ma dose«, wie man auf Französisch sagt. Ich möchte nicht im Amt bleiben ohne die Mittel, die ich dafür brauche – und während meiner gesamten Amtszeit haben mir viele Werkzeuge gefehlt. Wir haben im Ministerium nur 20 Prozent der Beamten, die uns eigentlich zustehen. Ich habe keinen Zugriff auf die Internen Sicherheitskräfte (ISF), ich bin nicht befugt, hochrangige Beamte einzustellen oder zu entlassen. Im Moment arbeiten wir auch nur mit fünf statt der 20 durch die Verfassung zugesicherten hochrangigen Beamten.

Würden Sie denn eine Rückkehr in Betracht ziehen, wenn Ihnen dafür die benötigten Mittel zur Verfügung gestellt werden würden?

Ich möchte darüber nicht spekulieren. Ich habe nie darum gebeten, hier zu sein und ich bitte auch nicht darum, hier zu bleiben. Ich sehe meine Amtszeit als Dienst für die Allgemeinheit, nicht als irgendeine Art von Privileg, das mir zusteht. Es war eine großartige Erfahrung, aber aus dem Amt zu scheiden ist nicht das Ende der Welt. Ganz im Gegenteil, vielleicht gibt mir das die Gelegenheit, mich endlich wieder frei zu fühlen, das zu denken und zu tun, was ich wirklich will – und in den vergangenen Jahren nicht konnte.

Ziyad Baroud
wurde 1970 in Jeita geboren und hat an der renommierten St.Joseph-Universität Jura studiert. Als Rechtsanwalt engagierte er sich seit Mitte der 1990er Jahre in der libanesischen Zivilgesellschaft. Infolge des Doha-Abkommens 2008 nominierte ihn Präsident Michel Suleiman für den Posten des Innenministers. Alsharq traf Baroud im April 2011 in Beirut.