09.11.2022
„Mir war nicht klar, wie gefährlich die Situation in Griechenland ist“
Zakaria wird aus Griechenland und somit der EU gepushbackt, eine Menschenrechtsverletzung. Grafik: Claire DT
Zakaria wird aus Griechenland und somit der EU gepushbackt, eine Menschenrechtsverletzung. Grafik: Claire DT

Zakaria ist Student aus Marokko, als er illegal von Griechenland in die Türkei abgeschoben wird. Seine Situation ist symptomatisch für ein Migrationsregime, das anhand rassistischer Kriterien Menschen illegalisiert.

Dieser Text ist Teil unserer Reihe „grenz:gedanken“. Unsere Autor:innen denken nach, über Grenzen, Machtverhältnisse und Möglichkeiten, Widerstand zu leisten. Er ist ebenfalls in zwei Teilen auf französisch erschienen: De la Grèce à la Turquie, le cauchemar de Zakaria, Zakaria: Mon combat pour retourner en Europe

Zwei Jahre lang, zwischen den Sommern 2020 und 2022, erlebt Zakaria B. unvorstellbares an Europas Grenzen: Im August 2020 kommt Zakaria nach Griechenland. Er studiert zu diesem Zeitpunkt in Deutschland und beschließt, sein Studium für einige Zeit zu pausieren. Er bereist Spanien, Italien und Griechenland. Während der Reise läuft sein Visum ab, aber dieser Umstand besorgt ihn zu diesem Zeitpunkt nicht, denn bis dahin hatte Zakaria noch keine Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums erlebt. Griechenland als Transitstaat innerhalb der EU legt allerdings eine striktere Grenzpolitik an den Tag. Zakarias Albtraum beginnt auf griechischem Boden. 

„Auf dem Rückweg von Griechenland nach Deutschland habe ich gemerkt, dass es kompliziert werden würde“, erzählt Zakaria. Am Ende des Sommers 2020 kehrt er zurück zu Freund:innen nach Thessaloniki, denn die Flugreise von Griechenland nach Deutschland wird ihm verwehrt. Zakaria bleibt acht Monate in Griechenland, während er unzählige Bemühungen unternimmt, die für Asyl zuständigen Behörden zu kontaktieren, ohne Erfolg.

Der Anfang allen Übels

Am 12. April 2021 wird Zakaria von der griechischen Polizei in Thessaloniki angehalten. Er bekommt einen Verweis, in dem er angewiesen wird, das griechische Hoheitsgebiet innerhalb eines Monats dauerhaft zu verlassen. Zakaria sagt dazu: „Mir war vorher nicht klar, wie gefährlich die Situation in Griechenland ist“. Nach einer Woche, am 19. April 2021 wird er beim Einkaufen wieder durch die Polizei angehalten.

 

Diesmal zeigt sich die Polizei weniger kooperativ. Zakaria wird festgenommen und in eine Art Abschiebeanstalt gebracht. Von dort aus kann er niemanden kontaktieren. Im Anschluss wird er für einen PCR-Test in das Krankenhaus Gennimatas gebracht. Die Interaktion mit der Polizei ist von einem harten Ton dominiert. Zakaria wird informiert, dass er in ein Camp überführt werden soll, ohne, dass ihm seine Rechte kommuniziert werden. „Das war der Anfang allen Übels“, erinnert sich Zakaria. Spätestens jetzt ist sein abgelaufener Aufenthaltstitel keine rechtliche Grundlage mehr für die Verfahrensverstöße seitens der griechischen Behörden.

 

Kurz darauf geht es dann in ein weiteres Abschiebezentrum, das noch weiter abgelegen ist. Zakaria verbringt hier einen ersten Abend, dann die Nacht. Das Zentrum befinde sich in unmittelbarer Nähe der türkischen Grenze, dort wurde er mit neun weiteren Personen festgehalten worden, vor allem Syrer:innen und Afghan:innen, hält Zakaria fest.

 

Panayotis Dimitras ist Mitglied der NGO Greek Helsinki Monitor und hat als Menschenrechtsexperte den Fall von Zakaria mitverfolgt. Er bietet eine menschenrechtliche Einordnung von Zakarias Festnahme und Freiheitsberaubung: „Die Festnahme von Zakaria ist ein Bruch mit internationalem und auch griechischem Recht, insofern, dass er zu dem Zeitpunkt seiner Verhaftung im Besitz eines Aufenthaltsdokuments war, welches es ihm erlaubt hätte, noch wenige weitere Wochen in Griechenland zu verbringen und das Land anschließend zu verlassen, genauso wie es auf dem Verweis vermerkt war“.

Ausweisung und Gewalt auf beiden Seiten der Grenze

 

Am Morgen des 21. April 2021 werden alle freiheitsberaubten Personen in der Abschiebestelle, in welcher Zakaria sich befindet, nach und nach von der Polizei aufgerufen. „In diesem Moment ist die Stimmung dann endgültig gekippt“, schießt es aus Zakaria heraus. Den freiheitsberaubten Personen gibt die Polizei rassistische Namen wie „Ali Baba“, der besonders für Menschen mit maghrebinischer Herkunft verwendet wird, sagt Zakaria. Die Personen werden in einen Kleinbus gebracht, in dem sie ganz Thessaloniki durchqueren.

 

Weitere Personen kommen dazu im Laufe der Fahrt, die sie bis nach Cavala bringt, ein Ort, der für den menschenverachtenden Umgang mit Geflüchteten bekannt ist. „Wir waren insgesamt 80 Personen im Bus“, erinnert sich Zakaria an diese traumatischen Erlebnisse. Danach seien sie direkt an die Grenze gebracht worden, wo ein weiteres Fahrzeug auf sie wartete, ohne Beschriftung oder Kennzeichen. „Die Situation kam mir immer fragwürdiger vor“, so Zakaria. Daraufhin werden sie von maskierten und untereinander flüsternden Männern bis zur Ohnmacht geprügelt.

 

Unter den Geflüchteten ist ein Syrer, der sich in der Hoffnung, befreit zu werden, für einen Palästinenser ausgibt. Er scheint von der Polizei und den maskierten Männern beauftragt zu sein und verrät Zakaria und seine Staatsangehörigkeit. Diese Instrumentalisierung von Geflüchteten im Rahmen von illegalen Pushbacks wird auch in Berichten von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch angeprangert. Noch immer befindet sich Zakaria mit einer Gruppe von Geflüchteten an der griechisch-türkischen Grenze. Nachdem man ihnen alle Wertgegenstände abgenommen und sie brutal misshandelt hat, werden die Menschen in einem Wald nahe des Flusses Evros an der türkischen Grenze zurückgelassen.

 

„Wir hatten nichts dabei, kein Geld, gar nichts“ fährt Zakaria weiter fort. Schließlich kommt er in der Türkei an, ohne irgendwelche Kontakte vor Ort und keinem einzigen Cent. „Die meisten Geflüchteten kennen das Land, weil sie mindestens einige Wochen, wenn nicht sogar Monate hier verbracht haben, bevor sie versuchen, nach Griechenland zu kommen“, so vergleicht Zakaria. „Ich nicht“. Trotzdem findet er schnell Anschluss, arbeitet und kann hiervon die Miete für ein Zimmer bezahlen. Aber die permanente Angst, entdeckt und erneut festgenommen zu werden, verlässt ihn nicht mehr, denn auch in der Türkei hat er keinen regulären Aufenthalt. Als marokkanischer Staatsbürger kann er zwar visafrei in die Türkei reisen, er hat allerdings keinen Eintrittsstempel in seinem Pass, weil er gepushbackt wurde.

 

„Heute ist gutes Wetter, aber ich wage es nicht, rauszugehen, aus Angst, erneut kontrolliert zu werden“ vertraut er sich mit bitterer Mine an. Ein neuer Wohnort, aufgezwungen durch menschenrechtswidrige Migrationspolitiken und -praktiken. Zakarias unbeschwertes Studentenleben hat sich in Windeseile umgekehrt in eine der unzählbaren Tragödien an den EU-Außengrenzen.

Der Teufelskreis

 

Seit seiner Ankunft in der Türkei möchte Zakaria das Land möglichst schnell verlassen, auch nach Marokko, sein Heimatland, falls ihm eine Rückkehr in die EU nicht möglich sein sollte. Doch selbst dieses Vorhaben stellt sich als schwierig heraus: das Verlassen des türkischen Hoheitsgebiets ist ohne Einreisenachweis nicht gestattet. Auch bei der marokkanischen Auslandsvertretung wird der junge Erwachsene mit Misstrauen behandelt, denn es wird vermutet, er sei als ausländischer Kämpfer aus Syrien eingereist, berichtet Zakaria.

 

Zusammen mit seinen griechischen Anwält:innen und unterstützt durch die NGO Greek Helsinki Monitor hat er sich schriftlich an mehrere staatliche Strukturen in Marokko gewendet, unter anderem an das Außenministerium, um die Türkei zumindest in Richtung seines Heimatlandes verlassen zu können. Andererseits möchte er auch nach Griechenland zurückkehren um unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) seine Rechte geltend zu machen.

 

Aber zur Enttäuschung Zakarias und seiner Anwält:innen werden die Ermittlungen aufgrund von mangelnder Beweislage eingestellt. Panayotis Dimitras merkt an: „Die Staatsanwaltschaft hat die Anfrage abgewiesen, ohne die Ergebnisse der Ermittlungen auf griechischer Seite abzuwarten. Diese befindet sich aufgrund des griechischen Verwaltungsapparats gerade im absoluten Stillstand“.

 

Im Nachgang dieser gerichtlichen Entscheidungen versucht Zakaria im Juni 2021 noch zweimal von der Türkei nach Griechenland zu kommen. Er sei erneut mehrmals Opfer von Polizeigewalt durch griechische Beamt:innen geworden, und das, obwohl diese rechtswidrigen Vorgehensweisen an den EU-Außengrenzen bereits mehrfach durch europäische Gerichte verurteilt wurden.

 

In diesem Kontext sitzt Zakaria bis Juli 2022 in der Türkei fest. Verlassen von den marokkanischen Behörden, wird er, wie unzählige andere, auf griechischer und zunehmend auch auf türkischer Seite wie ein Krimineller behandelt. Erschöpft und desillusioniert durch seine Lebenssituation und die Verwaltungs-Irrwege, die ihm begegnen, überlegt Zakaria, welche Möglichkeiten ihm noch bleiben. Er denkt an den „Hrig“, also die Migration auf dem Wasserweg. „Man hat mich auf illegale Weise in die Türkei ausgewiesen, nun bleibt mir nichts anderes übrig, als auch auf diesem Wege wieder zu gehen“. Die Sackgassen der EU-Migrationspolitiken begründen die Verzweiflung der Geflüchteten und Migrant:innen.

 

Zakaria kann Ende August 2022 endlich nach Marokko einreisen, wo er von seiner besorgten Familie aufgenommen wird. Für Zakaria ist es allerdings nur ein Zwischenstopp, um sich zu erholen. Er möchte sein Studium weiterführen und nach Europa zurückkehren.

 

 

 

 

 

Yousra studiert Philosophie und Journalismus an der Universität Lille. Im Rahmen eines akademischen Austauschs hat sie ein Jahr in Athen verbracht, während dem sie sich mit den sozialen Zusammenhängen und Migrationsdynamiken innerhalb der Stadt befasst hat. Seither beschäftigt sie sich eingängig mit diesen Thematiken.
Redigiert von Henriette Raddatz, Claire DT
Übersetzt von Pauline Fischer