11.12.2018
Nach dem Scheitern von Oslo – Wie Deutschland und die EU zu Frieden und der Verwirklichung palästinensischer Rechte beitragen sollten

Bis heute dominieren die Oslo-Abkommen von 1993-1995 und diverse Folgevereinbarungen zwischen israelischen Regierungen und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) die Realität in den palästinensischen Gebieten sowie die israelisch-palästinensischen Beziehungen. Zugleich haben die Übereinkünfte nicht zu einem Ende der Besatzung, zu palästinensischer Unabhängigkeit, zu einer Regelung des Konfliktes oder gar zu Versöhnung zwischen den beiden Völkern geführt. Die Oslo-Abkommen haben damit die Hoffnung vieler enttäuscht. Denn sie haben weder zur Verwirklichung von Rechten noch zu einem Friedensschluss geführt. Von Muriel Asseburg und Christoph Dinkelaker

Dieser Text ist Teil der Serie "Nach dem Scheitern von Oslo". Die englischen Texte des Dossiers finden Sie hier.

Die Verfestigung der Besatzung und die intra-palästinensische Spaltung

Die Aussichten für eine Konfliktregelung sind düster: Seit 2014 werden keine israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen mehr geführt, der Gazastreifen ist abgeriegelt, die militärische Besatzung durch Israel ist tief verankert. Die Ausweitung des Siedlungsbaus, de facto Annexion und die parteiische Politik der Trump-Administration tragen dazu bei, dass die territoriale Basis für einen palästinensischen Staat rasch erodiert und damit auch die Möglichkeit einer Konfliktregelung zwischen Israel und den Palästinensern endgültig verbaut wird.

Auch auf Ebene der palästinensischen Innenpolitik gibt es reichlich Hindernisse für Staatsbildung und die Einigung auf eine effektive Strategie. Seit über einem Jahrzehnt sind das von der Fatah dominierte Westjordanland und der Gazastreifen unter Kontrolle der Hamas politisch geteilt. Vor dem Hintergrund des gescheiterten Versöhnungsabkommens vom Oktober 2017 ist es unwahrscheinlich, dass in naher Zukunft ein Machtteilungsabkommen – geschweige denn eine umfassende innerpalästinensische Versöhnung – umgesetzt werden kann. Dies erschwert eine gemeinsame Linie zur Beendigung der Besatzung.

In Folge haben sich auch zwei parallele autoritäre Regierungssysteme verfestigt. Die innenpolitische Lage zeichnet sich dadurch aus, dass seit 2005 bzw. 2006 keine Wahlen auf nationaler Ebene mehr stattgefunden haben, dass der Palästinensische Legislativrat ausgesetzt ist, dass per Dekret regiert wird, dass effektive Kontrollmechanismen durch Gewaltenteilung fehlen und dass Korruption und Klientelismus grassieren. Kein Wunder, dass die palästinensische Bevölkerung ihr Vertrauen in den Präsidenten, die Institutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und in die politischen Parteien allgemein verloren hat. Vor diesem Hintergrund hat die regierende Elite in Ramallah in den letzten Jahren zunehmend versucht, durch Einschnitte in politische Freiheiten Kritik abzuwehren und (vermeintliche) Konkurrenten um Macht und Einfluss auszuschalten. Zu den ergriffenen Maßnahmen zählen das Cyberkriminalitätsgesetz von 2017/2018, die Änderung des Gesetzes über gemeinnützige Organisationen vom Jahr 2015 und der Änderungsentwurf des Gesetzes über Wohltätigkeitsvereine und NROs, der aktuell diskutiert wird. Die Exekutive hat zudem immer stärker in die Unabhängigkeit der Justiz eingegriffen, nicht zuletzt durch den Aufbau eines loyalen Verfassungsgerichts. Damit sind zu den Menschenrechtsverletzungen Israels in den besetzten Gebieten zunehmend die der Hamas und der PA getreten.

Das Risiko einer Destabilisierung ist heute infolge der sich zuspitzenden finanziellen Krise nicht nur bei der PA sondern auch bei UNRWA merklich größer geworden– infolge allgemeiner Geldgebermüdigkeit angesichts konkurrierender Krisen, vor allem aber infolge der Beitragskürzungen der Vereinigten Staaten. Letztere konnten zwar zunächst durch andere Geldgeber ausgeglichen werden, sodass UNRWA ihre Unterstützungsleistungen bis Ende dieses Jahres fortführen kann. Jedoch wird die Organisation gezwungen sein, ihre Unterstützung weiter einzuschränken und die Zahl der Beschäftigten noch weiter zu reduzieren – mit verheerenden Auswirkungen, besonders für die von Hilfen abhängige Bevölkerung Gazas, doch auch in Nachbarstaaten, wie dem Libanon und Jordanien. Wie die erneute militärische Zuspitzung zwischen Gaza und Israel Mitte November gezeigt hat, bleibt auch das Risiko einer militärischen Eskalation hoch, solange es keine Übereinkunft über einen langfristigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas gibt. Auch das Risiko einer gewaltförmigen Eskalation im Westjordanland und in Ostjerusalem ist keineswegs gebannt.

Deutsche und europäische Ansätze

Deutschland und seine Partner in der EU haben den negativen Entwicklungen bereits Rechnung getragen und ihre Ambitionen heruntergeschraubt: Das Ziel ist nicht mehr, zur Umsetzung einer Zweistaatenregelung beizutragen, unter anderem durch den Aufbau eines palästinensischen Staates, sondern die Option einer Zweistaatenregelung zu erhalten. In diesem Sinne hat für Deutschland und die EU Priorität, der territorialen Fragmentierung und der Aushöhlung des sozialen Zusammenhalts entgegen zu wirken. Dies beinhaltet unter anderem die sog. Differenzierungspolitik, also den Ansatz, zwischen Israel in seinen international anerkannten Grenzen und israelischen Siedlungen in den besetzen palästinensischen Gebieten zu differenzieren. Zudem liegt ein Fokus auf Entwicklungsvorhaben für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen, etwa in den C-Gebieten des Westjordanlandes (rund 60%), in denen Israel sich die Verfügung über Ressourcen, Raumplanung und Sicherheit vorbehält und die palästinensische Bevölkerung aus strategisch wichtigen Orten zu verdrängen sucht.

Deutschland und die EU waren bislang in ihren Bemühungen, die oben beschriebenen Entwicklungen aufzuhalten oder gar umzukehren, nicht erfolgreich. Vielmehr hat die europäische Entwicklungszusammenarbeit dazu beigetragen, dass die Besatzung und die Blockade des Gazastreifens zunehmend verankert wurden, dass die Fragmentierung des Territoriums eines künftigen Staates Palästina fortschreiten und dass Autoritarismus gedeihen konnte. Daher wäre es notwendig, über die derzeit stattfindende „Überprüfung bestehender Modalitäten des europäischen Engagements für eine Zweistaatenregelung“ hinaus die europäische Politik zu überdenken. Als mittlerweile größtem bilateralen Geber für die PA und die Palästinenser kommt Deutschland dabei eine besondere Verantwortung zu, eine effektivere Politik auszuarbeiten.

Politikempfehlungen an die EU und Deutschland

In diesem Zusammenhang sollten Deutschland und die EU den Differenzierungsansatz umfassender und konsequenter umsetzen. Dies sollte - wie momentan im irischen Parlament diskutiert wird - unter anderem das Verbot des Imports von Produkten aus israelischen Siedlungen beinhalten. Auch sollte ein Monitoring Mechanismus eingerichtet werden, der regelmäßig darüber berichtet, ob die EU-Mitgliedsstaaten die nach Sicherheitsratsresolution 2334 vorgesehenen Differenzierungsmaßnahmen umsetzen. Zudem sollten die Europäer den UN-Menschenrechtsrat darin unterstützen, eine Datenbank über in israelischen Siedlungen operierende Unternehmen zu führen, auf die jeweiligen europäischen Unternehmen einwirken und sich einer Veröffentlichung der Namen zu gegebenem Zeitpunkt nicht in den Weg zu stellen.

Die EU-Mitgliedstaaten sollten zudem die israelische Regierung vor den möglichen Folgen umfassender Annexionen im Westjordanland warnen – etwa in Reaktion darauf, dass die palästinensische Führung einen von der US-Regierung unterbreiteten „ultimativen Deal“ ablehnt.

Anstatt weiterhin überwiegend auf humanitäre Hilfe und kurzfristige Maßnahmen zu setzen, um die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen zu lindern, sollten Deutschland und seine Partner in der EU Gespräche über einen langfristigen Waffenstillstand unterstützen. Ein solcher Waffenstillstand, der von allen relevanten Akteuren – inklusive der De facto Regierung – getragen wird, ermöglicht ein Ende der Blockade, erlaubt damit Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung, reduziert mittelfristig die Abhängigkeit von Geberleistungen und erlaubt letztlich eine nachhaltige Stabilisierung.

Nicht zuletzt sollten Deutschland und die EU die PA in die Verantwortung nehmen, ihren Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtskonventionen nachzukommen, die die PA in den vergangenen Jahren ratifiziert hat. Die deutschen politischen Stiftungen, europäische NROs und Regierungen sollten gemeinsam darauf hinwirken, dass die von der PA angestrebte Gesetzesänderung über wohltätige Vereine und NROs den Gestaltungsraum der palästinensischen Zivilgesellschaft nicht noch weiter einschränkt.

Palästinensische Perspektiven

In den kommenden Wochen werden palästinensische Analyst*innen und Aktivist*innen aus dem Westjordanland, Ostjerusalem, dem Gazastreifen und der Diaspora ihre Analysen und Politikempfehlungen zu verschiedenen Herausforderungen präsentieren, vor denen die Palästinenser stehen – inklusive Strategien zum Umgang mit Besatzung und Annexions, Ansätze in Bezug auf den Gazastreifen und den Umgang mit innenpolitischen Fragen, wie sich verengenden Räumen für die Zivilgesellschaft und zunehmenden Autoritarismus. "Verhandlungen in der Sackgasse. Anstöße zur Beendigung der Besatzung und zum israelisch-palästinensischen Frieden." Die Beiträge ergänzen eine Reihe von Artikeln von israelischen und europäischen Autor*innen aus dem letzten Jahr, die darauf abzielen, Israels Politik und Gesellschaft durch unterschiedliche Ansätze und Herangehensweisen jenseits traditioneller Diplomatie anzusprechen.

 

 

 

Artikel von Muriel Asseburg, Christoph Dinkelaker