11.06.2013
Nur die Überraschung ist sicher - Ausblick auf die Präsidentschaftswahlen im Iran

Nachdem Ahmadinejads Kandidat Mashaei und Überraschungskandidat Rafsanjani vom Wächterrat als „untauglich“ eingestuft wurden, blieben acht Kandidaten übrig, die in die direkte Wahlkampfphase im Iran gingen. Doch einer, der lange als „Wunschkandidat“ des Revolutionsführers galt, gab gestern seinen Rückzug bekannt. Ein anderer, der als der einzige "echte" Reformer galt, zog sich nun ebenfalls zurück. Und obwohl von den übrigen sechs mindestens drei engere Favoriten im Rennen sind, wird das Ergebnis der am Freitag beginnenden Wahlen eine Überraschung sein.

Ein Gastbeitrag von Friedrich Schulze.

Gholam-Ali Haddad Adel, der lange als Favorit bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im Iran gehandelt wurde, gab am Montag bekannt, dass er nicht weiter zur Verfügung stehe. Seine tatsächliche Motivation, bei den Wahlen anzutreten und nun auszusteigen, lässt sich dabei nur vermuten. Das Präsidentenamt hätte mehr Nachteile als Vorteile für ihn gebracht, da es grundsätzlich in einem potentiellen Spannungsverhältnis zum Revolutionsführers steht und er bisher eine bequemere Stellung im Machtgefüge des Systems inne hatte. Daher wurde er zwar lang als ernst zunehmender Kandidat gehandelt und mischte damit den Wahlkampf auf, doch zeigten die Umfragen bezüglich seiner bisherigen Kampagne, dass er keinerlei Chance gehabt hätte. Sein Rückzug ist daher wenig verwunderlich.

Auch Mohammad Reza Aref, der in seinem bisherigen Wahlkampf die Grenzen der iranischen Pressefreiheit ausreizte, trat nun zurück. Obwohl er für seinen bisherigen sehr kritischen Wahlkampf viel Zuspruch erhielt, ging er damit dass Risiko ein, wie Mir-Hosein Mousavi oder Mehdi Karoubi im Hausarrest zu verschwinden. Ebenso musste er eingestehen, dass er trotz seines Reformkurses selbst die reformorientierten Wähler nur begrenzt überzeugen konnte.

Die drei Favoriten

Bei den Umfragen vorn liegt dagegen der derzeitige Teheraner Bürgermeister Bagher Ghalibaf, der dem konservativen Lager angehört. Er machte einen soliden Wahlkampf und kann sich auf seine Beliebtheit in Teheran stützen. Ghalibaf gilt als jemand, der nicht untätig bleibt und Ergebnisse liefert. Als ehemaliger Polizeichef war er mitverantwortlich für die Übergriffe der Polizei auf die Studentenwohnheime 1999 in Teheran. Während ihn diese Rolle bei Studierenden in Missgunst brachte, hat sie ihm bei Hardlinern Pluspunkte verschafft. Die Chancen stehen daher gut für Ghalibaf, Präsident zu werden, wenn er dem Revolutionsführer glaubhaft machen kann, dass er loyal bleiben wird. Denn ein Debakel wie mit Ahmadinejad, der sich im Amt verselbstständigte, möchte Revolutionsführer Ali Khamenei nicht erneut erleben.

Aus dem Wunsch, Zusammenstöße wie 2009 zu verhindern, kann sich für Khamenei aber auch noch eine ganz andere Kalkulation ergeben: einen moderierenden Kandidaten zum Präsidenten zu küren. Erstaunlicherweise wäre Hassan Rouhani so einer, der gelegentlich den Reformern zugeordnet wird, doch sich selbst als Zentralist beschreibt. Und tatsächlich ging er in seiner bisherigen politischen Karriere immer einen Mittelweg und arbeitete auf verschiedenen Ebenen mit Reformern, Technokraten und Konservativen zusammen. Gleichzeitig ist er wohl eine der wichtigsten Persönlichkeiten bei der Fortentwicklung des iranischen Atomprogramms gewesen. Im bisherigen Wahlkampf tritt er sehr selbstbewusst und angriffslustig auf, was ihn mit Bagher Ghalibaf - laut Umfragen - zum bisherigen Topfavoriten macht.

Sollte Rouhani Präsident werden, könnte man sich auf eine Entspannung auf internationaler Ebene einstellen sowie leichte Lockerungen bei den Freiheitsrechten im Land selbst. Dass er einen Großteil seiner Ziele nur begrenzt umsetzen wird können, sollte ihm selbst bewusst sein. Schon jetzt schürt sein milder Ton die Wut der Rechtsradikalen, also den Hezbollahis und radikalen Basijis. So wurden schon Wahlkampfbüros von ihm gestürmt und die Nachrichtenagentur FARS, die den rechten Strömungen innerhalb der Revolutionsgarden nahe steht, gab bekannt, dass seine Kandidaturfähigkeit nochmals überprüft werde. Diese Nachricht, die nur wenige Stunden später wieder verschwand, ist wohl ebenso als Warnung zu deuten, dass Rouhani aufpassen müsse.

Ebenso ernst zunehmen ist Said Dschalili als Kandidat, der zur Zeit die Atomverhandlungen für Iran führt. Sein bisheriger Wahlkampf schwankt zwischen deutlicher Entschlossenheit und dem Eindruck, dass er selbst keine Lust auf weitere Wahlveranstaltungen hat. Dieser Eindruck täuscht allerdings, da dies eher seine sehr persönliche kühle Art ist, die einigen zwar unsympathisch erscheint, anderen jedoch das Gefühl von „durchdachtem Widerstand“ vermittelt. So argumentiert Dschalili gern auf scheinbar rationaler Ebene alle Annäherungsversuche zwischen Iran und den USA weg, hält sich dabei aber immer die rhetorische Hintertür offen, die auch vom Revolutionsführer gewollt ist. Einige Beobachter sehen tatsächlich eine Chance darin, dass im Falle eines Wahlsiegs Dschalilis der iranische Präsident und der Revolutionsführer eine Sprache bezüglich der Atomverhandlungen sprechen und so die Chancen auf Verhandlungserfolge steigen. Teil dieser Annahme ist allerdings, dass Ali Khamenei tatsächlich keine Entspannung in der Atomfrage möchte; andererseits wird dabei Dschalilis ideologisierten Verhandlungskurs übersehen, der bisher zu keinerlei Ergebnissen führte. Innenpolitisch dagegen setzt Dschalili alles auf Aufsicht, Kontrolle und Steuerung. Die rechtspopulistische, teils chaotische Ära Ahmadinejads würde somit einer Zeit der „geplanten (Staats-)Sicherheit“ weichen.

Abgesehen davon, dass Dschalili bei vielen Iranern Angst hervorruft, trifft er mit „Planungssicherheit“ den Nerv der Zeit. Die Regierung Ahmadinejads sorgte mit ihren Skandalen dafür, dass der Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft ganz oben auf den Wunschlisten der Iraner steht. Nach acht Jahren besteht so ein dringender Durst nach Planung, Transparenz und Rechtstaatlichkeit. Mehr oder weniger stark versuchen alle Kandidaten daher, auf diese Themen direkt einzugehen, um sich so gegen ihre jeweiligen Mitstreiter zu profilieren.

Ein weiterer Kandidat und zwei Randfiguren

Ein weiterer wichtige Kandidat in diesem Wettstreit ist Ali Akbar Velayati.
Velayati war die meiste Zeit seines politischen Lebens Außenminister und berät seitdem den Revolutionsführer bei Auslandsfragen. Besonders in der zweiten Amtszeit Ahmadineschads kritisierte Velayati oft die „falsche“ Außenpolitik. Zudem bemüht er sich, die internationalen Verbindungen Irans zu verbessern. Dazu passen auch seine Pläne, Iran von Zentralasien bis zum Vorderen Orient zum Zentrum eines umfangreichen Pipelinenetzes zu machen, um Gas und Öl zu handeln. Dies soll wirtschaftliche Stabilität und sicheren Frieden in die Region bringen und macht Velayati daher zu einem Kandidaten, der auch von Europa und den USA begrüßt werden sollte. Zwar konnte er bisher die Zuschauer der Wahldebatten kaum begeistern, doch überzeugte er nun wichtige geistliche Kreise in der religiösen Hauptstadt Qom und wäre damit ein möglicher Überraschungskandidat, wenn er nicht noch vor dem Wahltag seine Kandidatur aufgibt.

Die größten Außenseiter sind Mohsen Rezaei und Mohammad Gharazi.

Mohsen Rezaei wird vorgeworfen, für die Kindersoldaten im Iran-Irak Krieg verantwortlich zu sein. Mittlerweile steht er jedoch für eine gemäßigte Außenpolitik und ist starker Kritiker Ahmadineschads. Innenpolitisch betont er, dass die Streitereien innerhalb der Regierenden Irans aufhören müssen, da sich Iraner mittlerweile vor allem Sorgen um ihr tägliches Brot machen müssten. Ansonsten liefert er allerdings wenig, was die Iraner überzeugen könnte, ihn und nicht einen der anderen Kandidaten zu wählen.

Mohammad Gharazi, der einzige offiziell „unabhängige“ Kandidat, gründete im Auftrag Khomeinis die Revolutionsgarden und sieht die Revolution sich in eine falsche Richtung entwickeln. Er möchte eine „Anti-Inflationsregierung“ bilden, die über ihre gesamte Regierungszeit gegen die Inflation kämpft. Ein weiteres Ziel ist, Wahlen in den iranischen Provinzen einzuführen, um die Gouverneure zu bestimmen, die bisher aus Teheran berufen werden. Eine solche Dezentralisierung würde eine Bewegung gegen den politischen Trend der Zentralisierung im Führungsbüro Khameneis darstellen, die sicherlich weitreichende Folgen für die Machtstrukturen des Landes hätte. Doch als „unabhängiger“ Kandidat wird Gharazi vermeintlich keinerlei Chancen auf einen Wahlsieg haben.

Bisher hat sich kein klarer Favorit herauskristallisiert. Im Vergleich zu dem Duell zwischen Ahmadinejad und Mousavi von 2009 erscheinen die Wahlen auch weniger aufgeheizt. Doch es hat eine neue Form der politischen Auseinandersetzung im Iran Einzug gehalten. Neben den Wahlkampfdebatten und Interviews, die dieses Jahr noch umfangreicher und vielfältiger als je zuvor sind, gibt es ebenso Dokumentation und Filme, die die Kandidaten weiter vorstellen und beinahe an amerikanische Wahlkämpfe erinnern. Auf diese Weise werden Persönlichkeiten für die Menschen greifbar, die bisher ausschließlich in ihren professionellen Funktionen sichtbar waren, obwohl sie seit den ersten Tagen der Revolution 1979 die Geschicke des Landes lenken.

Die Wahlen sind daher von dem Bemühen geprägt, ein neues Gefühl von Transparenz und Rechtssicherheit zu schaffen. Inwiefern dies klappen wird, hängt maßgeblich vom endgültigen Wahlergebnis ab. Und hier liegt die Schwierigkeit. Nach 2009 und dem Verbot von Rafsanjani als Präsidentschaftskandidat sind viele Stimmen laut geworden, die Wahlen zu boykottieren, egal wie überzeugend der den Reformern nahestehende Rouhani sein sollte. Eine niedrige Wahlbeteiligung kann sich der Revolutionsführer Ali Khamenei allerdings nicht leisten, auch wenn sie einen konservativen Kandidaten ins zweitwichtigste Amt der Islamischen Republik Irans bringen sollte.

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