19.01.2018
„Persischer Frühling“? Die Proteste in Iran und der Westen
Solidaritätsprotest mit den Demonstrationen in Iran vor der iranischen Botschaft in Berlin. Foto: voanews.com/wikicommons (Public Domain)
Solidaritätsprotest mit den Demonstrationen in Iran vor der iranischen Botschaft in Berlin. Foto: voanews.com/wikicommons (Public Domain)

Das ewige „Regime der Mullahs“. Und: Enthüllungen über „Liebe, Sex und Tod in Teheran“. Zwischen diesen Polen wogt das Bild über den Iran in deutschen Medien und der Öffentlichkeit. Beides ist vereinfachend, beides ist tägliche Berichterstattung. Oft wenig differenziert.

Bislang hat zumeist der Blick auf und aus Teheran Indizien geliefert. Jetzt aber kam der Aufstand aus den Provinzen. Selbst die besten deutsch-iranischen Experten erklärten sich überrascht von den Ereignissen: Woher kommen die neuen Protest-Schichten? Was unterscheidet diese Massen ohne Gesicht von der Grünen Bewegung 2009 und den Studenten? Was ist Umsturz-Versuch von unten? Was Kampf an der Spitze des Regimes?

Der Topos vom „persischen Frühling“ ist schnell zur Hand und vermutlich vorschnell. Denn die Wurzeln des iranischen Regimes gehen tiefer. Ein autoritärer Staat ist eine Struktur und lässt sich nicht einfach von der Landkarte tilgen. Es gibt so etwas wie eine Welt der Strukturen, die einander gegenseitig stützen: Gerät eine in Gefahr, eilen die anderen, verwandten Strukturen oder Staaten dieser unverzüglich zur Hilfe. Der Konsens der Stabilität.

Twitter und andere soziale Netzwerke sind in Iran blockiert. Die obersten Führer aber, Ali Chamenei und Hassan Rohani, twittern täglich an ihr Volk. Dieses findet wiederum Wege, Sperren zu umgehen, schafft spontane Straßenaufläufe, verbreitet Video- und Handy-Aufnahmen – Zeichen einer agilen Zivilgesellschaft. Die Machthaber operieren hier, wie in anderen Bereichen, seit Jahren mit Zuckerbrot und Peitsche. Menschen leiden darunter, es stranguliert sie. Jetzt aber geht es ans Eingemachte. Ein Ei – häufig genanntes Symbol dieser Tage – kostet bald ein Euro, wenn es so weitergeht. Währenddessen bereichern sich die Eliten – religiöse, politische, wirtschaftliche – und ihre Zuträger, lesen wir.

„Hardliner gegen Reformer“ – oder?

Der Kampf „Hardliner gegen Reformer“ geht jetzt also in eine entscheidende Phase. Präsident Rohani hat unverändert Sympathien im Volk, wenn auch klar schwindend. Und im Westen. Revolutionsführer Chamenei kann auf die Justiz, den Wächterrat, die Revolutionsgarden, auf Militär, Geheimdienste und Wirtschafts-Komplexe bauen. Diesen Gewalten gegenüber dürfte Rohani machtlos sein am Ende.

In Wahrheit ist es noch einmal komplizierter. Beide Seiten, Konservative wie Reformer, stehen für ein und dasselbe Übel, rufen uns die Demonstranten zu. Ob sie das Land nachhaltig verändern können, bleibt unklar. Verschiedenste Schichten kommen hier zusammen. Ohne klare Führung bislang. Dafür mit radikalen Slogans.  

Eingreifen ist deshalb problematisch in der aktuellen Lage, es könnte die Lunte ans Pulverfass legen. Die Folgen sind kaum kalkulierbar. Wegschauen aber geht auch nicht. Die deutsche Politik zögert. Verständlich. Es gilt, den Atom-Deal mit Teheran zu retten, während die USA hier gerade ihr eigenes Porzellan zerstören. Die politische Beziehung der Vereinigten Staaten und Deutschlands zu Saudi-Arabien ist im Übrigen nicht weniger ambivalent als zu Iran, beide gelten als moralisch umstritten.

Darf Deutschland einen ehemaligen Richter medizinisch behandeln?

Auch das Gastrecht für Besucher aus Iran bei uns ist auf einmal ein Thema geworden: Vor wenigen Tagen hatte sich Irans ehemaliger höchster Richter, gegen den mehrere Strafanzeigen wegen seiner Rolle als ausführendes Organ während der iranischen Revolution vorliegen, zur Operation in einem deutschen Krankenhaus aufgehalten.

Die deutschen Behörden ließen ihn unbehelligt nach Teheran zurückfliegen. Erst dann kamen Zweifel auf. Ärztliche Hilfe ist immer ein hehres Ziel, aber am besten nicht primär an jene, die womöglich Dreck am Stecken haben. Das sollte für Machthaber aus Iran gelten, aber auch für ehemalige Warlords und andere Größen, die ihre Pflege in Deutschland suchen.

Was fehlt, ist eine klare Linie: Noch mehr Handel deutscher Firmen mit Iran? Aber was, wenn dieser das Regime stützt, statt dem Volk zugute zu kommen? Will man Opposition und Demokraten stärken? Wenn ja, wie soll dies aussehen? Oder warten die Hardliner in Iran nur auf diese Falle, um „ausländische Einmischung“ zu rufen und die Mehrheiten auf ihrer Seite zu ziehen?

Die Einmischung hat Tradition

Diese Rhetorik hat in Iran eine Tradition. So wie es Tradition hat, dass der Westen Iran und seine Menschen immer wieder bevormundet und durch koloniale Einflussnahme zum Spielball gemacht hat: Besetzung durch Briten und Russen 1907 und nochmals 1941. Staatsstreich gegen Premier Mohammad Mossadegh durch amerikanische und britische Geheimdienste, als dieser die Öl-Produktion verstaatlichen wollte in den 50er-Jahren. Seine Atom-Pläne hat Teheran übrigens gestartet, weil im Irak-Iran-Krieg, dem 1. Golfkrieg, der Westen ausschließlich Saddam Hussein unterstützte.

Einen Königsweg, von außen auf Iran einzuwirken, gibt es nicht. Dialog ist allemal besser als Säbelrasseln. Aber mehr Farbe zu bekennen, darf es schon sein. Oder ist uns das Eintreten von Menschen für mehr Demokratie nur etwas wert, solange keine deutschen Interessen auf dem Spiel stehen? Man muss nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, darf lautes Tamtam nicht mit Diplomatie verwechseln. Es geht besser als Trump.

Martin Gerner ist freier ARD-Korrespondent und Alsharq-Autor. Er berichtet regelmäßig aus Konflikt- und Krisengebieten, Nahen und Mittlerem Osten, der arabischen Welt und Afghanistan. Sein Dokumentarfilm „Generation Kunduz“ wurde international ausgezeichnet.