28.03.2018
Präsidentschaftswahlen in Ägypten. Al-Sisi gegen seinen Fan
Die Ägypter haben die Wahl zwischen Abdel Fattah Al-Sisi und... tja, wem eigentlich? Auf den Straßen ist jedenfalls nur der Amtsinhaber präsent. Foto: Alsharq
Die Ägypter haben die Wahl zwischen Abdel Fattah Al-Sisi und... tja, wem eigentlich? Auf den Straßen ist jedenfalls nur der Amtsinhaber präsent. Foto: Alsharq

Nachdem alle Gegenkandidaten ausgeschaltet waren, schien es, als wäre Machthaber Al-Sisi bei der Präsidentenwahl in Ägypten konkurrenzlos. Um das zu verhindern, tritt nun einer seiner größten Unterstützer gegen ihn an.

Nachdem Abdel Fatah Al-Sisis ernstzunehmende Rivalen einer nach dem anderen verschwanden, sah es zunächst so aus, als werde die Phase vor der Wahl interessanter als die Wahl selbst, die derzeit (Montag bis Mittwoch) in Ägypten stattfindet. Ahmed Shafik, Kandidat und ehemaliger Premierminister, blieb einen ganzen Tag lang verschwunden, nachdem er aus den Emiraten nach Ägypten abgeschoben wurde. Ahmed Konsowa, junger Hoffnungsträger und Oberst der ägyptischen Armee, wurde zu sechs Jahren Militärhaft verurteilt, weil er ein Video veröffentlicht hatte, in dem er seine Kandidatur ankündigte. Dem älteren, höherrangigen General Sami Enan, steht nun, ebenfalls nach Ankündigung seiner Kandidatur, ein geheimer Militärprozess bevor. Zuletzt trat auch der linke Menschenrechtsanwalt Khaled Ali den Rückzug an. Auch ihm steht eine Haftstrafe bevor, falls seine Berufung im Verfahren wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ abgelehnt wird.

Mit Al-Sisi als einzig verbliebenem Kandidaten im Rennen um die Präsidentschaft riefen viele Talkshow-Moderatoren die Parteien und Politiker dazu auf, doch jemanden zu nominieren, um die Leere zu füllen. Dabei war das Problem zumindest rechtlich keines, wie Artikel 36 des Präsidentschaftswahlgesetzes festhält: „Die Wahlen für den Präsidenten der Republik sollen abgehalten werden, (selbst) mit nur einem Kandidaten.“

„Al-Wafd, die Partei, die Ägypten von 1924 bis 1952 beherrscht hat, kann keinen Kandidaten für die Wahlen nominieren!“, rief die Moderatorin Basma Wahba in ihrer Talkshow. „Bitte erweitert die Deadline fürs Einreichen der Kandidaten-Unterlagen“, titelte Emad Adeeb über seiner Kolumne in der nationalistischen Zeitung ElWatan. Mostafa El-Feki, Ehrenpräsident der Partei Al-Wafd, sagte in einem Telefonanruf beim TV-Sender dmc: „Wir versuchen, Sayed Al-Badawi zu überzeugen, dass er kandidiert… Ich rechne damit, dass das Ergebnis zugunsten von Al-Sisi ausfällt… Dennoch wäre es besser, den Kandidaten einer wichtigen Partei wie Al-Wafd bei den Wahlen dabei zu haben.“

„Der Staat hätte drei Gegenkandidaten aufbauen sollen“

Und tatsächlich: Am 26. Januar wurde berichtet, dass Sayed Al-Badawi, Vorsitzender der liberal-nationalistischen Al-Wafd-Partei, kandidieren wolle. Doch seine Partei erklärte, dass ihre offizielle Position zu diesem Thema noch immer offen sei, und berief für den folgenden Tag eine Notfall-Sitzung ein. „Das oberste Komitee der Al-Wafd hat die jüngsten öffentlichen Forderungen nach Aufstellung eines Kandidaten von Seiten unserer Partei in den kommenden Wahlen diskutiert. Nach langen Erörterungen haben wir entschieden, unsere vorige Entscheidung erneut zu bestätigen, dass wir Präsident Al-Sisi in den Wahlen unterstützen“, gab Hani Sarie-Eldin, Mitglied des Führungskomitees der Partei, anschließend bekannt. Die Partei würde demnach keinen Kandidaten ins Rennen schicken.

Al-Wafd gilt als eine der ältesten Parteien in der Region. Sie wurde 1923 von Saad Zaghloul gegründet, der 1919 die Revolution gegen die britischen Besatzer anführte. Obwohl es immer noch eine der etablierten Parteien in Ägypten ist und eine der bekanntesten Zeitungen herausgibt, hat Al-Wafd in den vergangenen Jahren keine nennenswerte Rolle mehr in der Opposition gespielt. Im Gegenteil, der ägyptische TV-Sender Al-Hayah, seinerzeit im Besitz des Parteichefs Al-Badawi, berichtete sehr voreingenommen gegen die Revolution 2011. Darüber hinaus hat die Partei ihre Unterstützung für Al-Sisi in den Wahlen 2014 und 2018 verkündet. Al-Wafd stellt die drittstärkste Fraktion im Parlament mit 45 Sitzen.

Yasser Al-Hudaibi, ebenfalls Mitglied des Führungskomitees der Al-Wafd-Partei, sagte dem TV-Sender CBC: „Wir haben diskutiert, ob Al-Wafd die Wahlen besser aussehen lässt, wenn die Partei teilnimmt oder nicht. Wir haben herausgefunden, dass es sogar einen schlechteren Eindruck machen würde, wenn wir jetzt in die Schlacht einsteigen, weil es nach einem Fake-Wettkampf aussähe.“

Er fügte hinzu: „In einem Land wie Ägypten, das noch keine umfassende Demokratie hat und mit Terrorismus kämpft, hätte der Staat die Demokratisierungstheorie anwenden sollen und drei Gegenkandidaten von verschiedenen Parteien vorbereiten sollen, mit demselben patriotischen Hintergrund, um sich mit dem Präsidenten zu messen – so lange, bis wir echte Demokratie erreicht haben.“ Welche Theorie er damit genau meint, bleibt unklar. Vermutlich sollte das Wort nicht im akademischen Kontext verstanden werden.

Der Last-Minute-Kandidat

Schließlich gab die Nationale Wahl-Kommission (NEC) am 24. Februar bekannt, dass zwei Kandidaten am Rennen um die Präsidentschaft teilnehmen werden: Abdel Fattah Al-Sisi und Moussa Mostafa Moussa, Anführer der Al-Ghad-Partei.

Die Al-Ghad Partei wurde 2004 von Ayman Nour gegründet, eine berühmte Persönlichkeit der Opposition, der den damaligen Machthaber Hosni Mubarak in den Präsidentschaftswahlen von 2005 herausforderte. Moussa war Vizepräsident der Partei. 2008 warf Gamila Ismail, Nours damalige Ehefrau, Moussa und seinen Unterstützern vor, das Hauptquartier der Partei in Downtown Kairo nach einem langen Streit um die Vorherrschaft in der Partei zwischen Moussa und Nour niedergebrannt zu haben. Nach dem Sturz Mubaraks 2011 gründete Nour eine neue Partei, „Ghad Al-Thawra“.

Nun trat also Moussa gegen Al-Sisi an. Dabei hatte er noch im September 2017 in einem TV-Interview erklärt: „Jeder, der kandidiert, braucht Popularität, Charisma, Ideen und Projekte, die er den Bürgern präsentieren kann. Er muss zumindest 10 Prozent dessen anbieten können, was Al-Sisi erreicht hat. Wer kann sich jetzt mit dem Präsidenten messen? Oder sollte irgendwer einfach sagen: ‚Ich kandidiere‘?“ Am 29. Januar 2018 reichte Moussa, ein unbekanntes Gesicht für die meisten Ägypter, seine Unterlagen zur Kandidatur ein, buchstäblich zehn Minuten vor Ablauf der Frist. 

Nicht nur ist Moussa nun Al-Sisis einziger Konkurrent, er ist auch einer seiner größten Unterstützer: „Wir wollen, dass der Präsident nicht einfach gewinnt, wir wollen, dass er über die Wahlen hinwegfegt... Wir wollen, dass er mehr als 90 Prozent der Stimmen erzielt, damit er den Plan weiterverfolgen kann, den er begonnen hat“, sagte Moussa am 22. September 2017 in einem Fernseh-Interview zu der von ihm gestarteten Unterstützer-Kampagne, die das Ziel hatte, Stimmen für Al-Sisi in den Präsidentschaftswahlen 2018 zu sammeln.

Genau ein halbes Jahr nach diesem Interview, am 22. März 2018, sagte Moussa in einem TV-Interview: „Die Unterstützer-Kampagne hatte nicht nur das Ziel, den Präsidenten zu unterstützen, sondern auch, Programme und Ideen vorzustellen.“ Nach den jüngsten Ereignissen sei es für ihn und seine Partei „inakzeptabel zuzusehen, wie sich die Wahlen in ein Referendum verwandelten. Zumal wir wissen, dass die Muslimbruderschaft nur auf eine solche Gelegenheit wartet, und dass es andere gibt, die zum Boykott der Wahlen aufrufen. Daher haben wir als Führungskomitee der Partei entschieden, dass ich antreten solle, vor allem, weil wir ein gutes Programm haben.“

Video: Moussa gibt seine Kandidatur bekannt

Schon kurz nachdem Moussa seine Kandidatur eingereicht hatte, klagte der Anwalt Tarek El Awady beim Obersten Gerichtshof, um Moussa wieder vom Präsidentschaftswahlkampf ausschließen zu lassen. Er führte an, dass der Kandidat keinen höheren Bildungsabschluss habe und dass er in der Vergangenheit verurteilt worden sei, weil er gefälschte Schecks ausgestellt hatte.

Nach Artikel 1 des Wahlgesetzes muss ein Kandidat eine „höhere Bildungs-Qualifikation“ besitzen und darf „nicht wegen irgendeines Verbrechens oder einer Straftat verurteilt worden sein, die moralische Verwerflichkeit oder Unehrlichkeit voraussetzt, selbst wenn der Kandidat anschließend rehabilitiert wurde“. Moussas Anwalt Samir Elewa wies die Anschuldigungen im TV-Sender Mehwar zurück. Er sagte, Moussa habe einen Universitätsabschluss aus Frankreich, der einem Bachelor in Ägypten entspreche, und der Fall der gefälschten Schecks sei schon vor langer Zeit geklärt worden. Kurz darauf wies der Oberste Gerichtshof die Klage zurück, da nach Artikel 13 des Wahlgesetzes „nur Kandidaten das Recht haben, die Kandidatur anderer Bewerber anzufechten“. 

Moussa selbst äußerte sich beim Sender Al-Hayah in einem seiner letzten TV-Interviews vor der Wahl zu seiner Kandidatur wie folgt: „Jeder weiß, dass das Wahlergebnis vorhersagbar ist. Dennoch bewundern die Leute meinen Mut, unter diesen schwierigen Umständen anzutreten… Ich fühle, dass ich bereits gewonnen habe. Die Niederlage der Feinde dieses Landes ist mein Sieg. Ihr Ziel war es, alles zu zerstören. Ich habe eine patriotische Rolle gespielt, auf die ich stolz bin. Und ich wünsche mir auch, die Wahlen zu gewinnen.“ Das Ergebnis wird für den 2. April erwartet.

Rufe nach einem Wahlboykott

„Wir werden an dieser Farce nicht teilnehmen. Dies ist keine Wahl. Ohne Versprechen, Kandidaten und Freiheiten ist es keine Wahl“, sagte Hamdeen Sabahi, Präsidentschaftskandidat 2014, bei einer Pressekonferenz der Zivilen Demokratischen Bewegung (CDM) im Januar. „Unser Slogan ist: Bleibt zuhause… Dieses Regime ist verantwortlich für diese Situation, mit seiner Unterdrückung, seiner Grausamkeit und Arroganz.“ CDM ist eine Allianz verschiedener Oppositionsparteien und mehr als 140 öffentlichen Persönlichkeiten, die im Dezember 2017 gegründet wurde.

Sabahi hatte bei den Wahlen 2014 übrigens 3,1 Prozent der Stimmen geholt, als einziger Gegenkandidat zu Al-Sisi, der 96,9 Prozent erzielt hatte. Yehia Hussein, Sprecher des Bündnisses, sagte nun: „Es gab keinen Kontakt mit den Kampagnen von Shafik oder Enan. Dennoch stehen wir hinter dem verfassungsmäßigen Recht eines jeden ägyptischen Bürgers, zu kandidieren, selbst wenn wir nicht seiner Meinung sind.“ Zwei Tage später unterzeichneten mehr als 100 Persönlichkeiten aus Politik und Öffentlichkeit ein Statement, in dem sie „alle Sicherheits- und Verwaltungs-Vorkehrungen kritisieren, die das Regime genutzt hat, um einen fairen Wettkampf in den kommenden Wahlen zu unterbinden“.

Abdel Moneim Abouel Fotouh, der noch 2012 bei den Präsidentschaftswahlen antrat, verlangte gemeinsam mit anderen Unterzeichnern „den Abbruch der derzeitigen Wahlen, da sie ungültig wurden“. Kurz darauf wurde berichtet, dass der Generalstaatsanwalt Ermittlungen gegen CDM und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeleitet hatte, die den Ruf nach Boykott unterstützt haben. Dazu zählen unter anderem der bekannten ägyptischen Regisseur Daoud Abdel Sayed. Anklagepunkt war beispielsweise „Verschwörung zum Sturz des Regimes“.

Video: Offizielle Kampagne zu den Wahlen: "Du sagst, Deine Stimme sei nicht wichtig, oder du willst die Wahlen boykottieren, weil sich nichts ändert... Unser Land kämpft gegen den Terrorismus, intern und aus allen Richtungen, allein... Dieses Mal ist es egal, wer gewinnt. Es geht darum, der Welt zu zeigen, dass die Ägypter einig sind, wenn ihr Land angegriffen wird."

  „Ägypten: Geplante Präsidentschaftswahl weder frei noch fair. EU und USA sollten ihre Stimme erheben“, sagte Human Rights Watch im Februar. „Die Vereinigten Staaten, Europäische Union und europäische Staaten, die der ägyptischen Regierung beträchtliche finanzielle Unterstützung zukommen lassen, sollten das Beharren auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihre Beziehungen zu Ägypten in konsistenter Art und Weise einbeziehen. Diese Länder sollten alle Unterstützung im Sicherheitsbereich aussetzen, die zur Unterdrückung der Bevölkerung genutzt werden könnte, und ihre Hilfe auf konkrete Verbesserungen beim Schutz von Grundrechten konzentrieren.“

Bärbel Koffer, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, kommentierte die Situation in Ägypten mit den Worten: „Besonders besorgt bin ich über die zahlreichen Berichte über die Verhaftung und Einschüchterung von potentiellen Kandidaten und ihrer Unterstützer, über die massiven Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie über das repressive Vorgehen gegen unabhängige Medien im Vorfeld der Wahlen.“

Die ägyptische Botschaft in Berlin wies noch am selben Tag in einem Statement auf Facebook Koffers Äußerung zurück: „Wir betonen unsere vollständige Ablehnung betreffend der inakzeptablen Einmischung in Ägyptens innere Angelegenheiten und die nicht-objektive Analyse der ägyptischen Realität. Wir wünschten uns, die deutsche Beauftragte hätte Ägypten seinen Weg in Richtung Demokratie, Modernität und Respekt vor den Menschenrechten erfüllen lassen, besonders vor Beginn der vierten Wahlen, die nach der Revolution vom 30. Juli stattfinden, ohne solche Standpunkte einzunehmen.“

Al-Sisi: „Was vor sieben Jahren geschah, wird sich nicht wiederholen!“

Al-Sisi gab derweil seine Absicht, sich zur Wiederwahl zu stellen, am 19. Januar zum Abschluss einer dreitägigen Konferenz bekannt, auf der es im Wesentlichen um die Erfolge seiner ersten Amtszeit ging. Die Konferenz wurde auf verschiedenen ägyptischen TV- und Radiosendern live übertragen.

Video: Al-Sisi erklärt seine Kandidatur

Um als Kandidat gelten zu können, muss eine Person die Empfehlung von mindestens 20 Parlamentsabgeordneten oder 25.000 Wahlberechtigten vorlegen. Die Wahlkommission NEC gab bekannt, dass Al-Sisi die Empfehlung von 549 Abgeordneten (von insgesamt 596) sowie von 161.107 Wahlberechtigten vorgelegt habe. „Lasst niemanden an der Sicherheit Ägyptens herumpfuschen oder Euch, Ägypter, auf einen Pfad führen, der dieses Land ruiniert… Ich schwöre, all [diese Errungenschaften] wären ohne Stabilität, Sicherheit und ohne euch Ägypter nie erreicht worden… Ich würde sterben, bevor ich irgendwen mit Ägyptens Sicherheit spielen lasse“, sagte Al-Sisi mit fester Stimme bei der Einweihung des „Zohr“-Gasfelds, einen Tag nach der Pressekonferenz des CDM. „Seht Euch vor! Was hier vor sieben Jahren geschah [der Sturz Hosni Mubaraks, Red.], wird sich nicht wiederholen! Was damals versagt hat, wird jetzt keinen Erfolg haben. Ihr scheint nicht zu wissen, wer ich wirklich bin. Ich bin kein Politiker, der nur redet … Dieses Land ist nicht auf Worte gebaut… Ich fürchte Gott allein!“

Den Namen des Autoren haben wir aus Sicherheitsgründen geändert.

Artikel von B. Philipp
Übersetzt von Bodo Weissenborn