26.11.2012
Presseschau zum Gaza-Konflikt - "Palästina ist der arabische Kompass"

Die arabische Presse ist sich ziemlich einig: Die Hamas kann den Waffenstillstand mit Israel als Achtungserfolg verbuchen. Ägyptens Präsident Mohammed Mursi hat Kairos Rolle in der Region gestärkt. Doch Israels Reporterlegende Ron Ben-Yishai ist zuversichtlich, dass die israelische Armee die Abschreckung gegenüber der Hamas wiederhergestellt hat.

Die Analyse der Tageszeitung al-Shoruq aus Kairo konzentriert sich auf die Rolle Ägyptens bei der Vermittlung des Waffenstillstands. Auch unter Muslimbruder Mohammed Mursi spiele Kairo die Rolle als dritte Partei in den Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Mursi spiele damit dieselbe Rolle wie schon Anwar al-Sadat, "einen radikalen Wandel in der Außenpolitik" hat es nach der Revolution nicht gegeben. Das Blatt verweist zudem darauf, dass die Zahl der pro-palästinensischen Demonstranten in Ägypten deutlich geringer gewesen sei, als beim letzten Gaza-Krieg 2008/09 oder gar bei Ausbruch der Zweiten Intifada 2000. Die Hamas habe durch das von Kairo vermittelte Abkommen an Ansehen und Anerkennung gewonnen, allerdings liege darin auch eine Gefahr: "Diese Entwicklung könnte den Weg ebnen für eine Drei-Staaten-Lösung des Nahostkonflikts, die ganz sicher nicht im Sinne der Palästinenser ist."

Die israelische Raketenabwehr "Iron Dome" habe sich als poröser Stahl erwiesen, schreibt Ghazi Aridi in seinem Kommentar für al-Ittihad aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Israelis seien davon überrascht wordem, dass trotzdem Raketen in großer Zahl auf ihrem Gebiet einschlugen. Aridi hebt hervor, dass Syrien und Iran als Unterstützer von Hamas und Islamischen Jihad bei den Verhandlungen des Waffenstillstands keine Rolle gespielt hätten - ganz anders als 1996 bei einem vergleichbaren Abkommen zwischen Israel und der libanesischen Hizbollah, bei dem Syrien als eine Art Bürge auftrat. Trotzdem ist der Kommentator überzeugt: "Wir stehen am Anfang eines langen Waffenstillstands." Dafür werde Ägyptens neue Regierung sorgen. "Nun müssen die Palästinenser die nationale Einheit bewahren."

"Israel hat es wieder geschafft, die Palästinenser zu teilen"

Elias Khoury, einer der bekanntesten Schriftsteller in der arabischen Welt, setzt sich in der unabhängigen, in London ansässigen palästinensischen Tageszeitung al-Quds al-arabi, mit der Gleichzeitigkeit von Israels Konflikten auseinander: der erneute Krieg in Gaza im Süden Israels und die Konfrontation mit Syrien, im Norden des Landes. Für Khoury ist klar: Das Schicksal des Nahen Ostens wird in der Levante (Bilad al-Sham) entschieden. Was ist nun die Beziehung zwischen dem aufständischen syrischen Volk „im Norden“ zu dem, was „im Süden“ mit den Palästinensern geschieht, fragt Khoury. Die Erlangung der Freiheit der Syrer hieße für Israel vor allem, dass eine „Fortsetzung der Ruhe im Golan“ nicht mehr möglich sein wird, denn „die Befreiung des Golan ist ein Teil des palästinensischen und syrischen Kampfes“. So erinnert Khoury an einen Leitspruch der palästinensischen Revolution von 1965: Palästina ist der arabische Kompass. Die Freiheit der arabischen Gesellschaften so die Bedeutung dahinter, ist der Weg nach Palästina. Was in Gaza passiere, so fährt Khoury fort, zeigt, dass eine neue Seite im Kampf mit der Besatzung möglich ist. Diese Seite nehme aber erst Gestalt an, wenn das Regime in Syrien gefallen ist. In der Levante, welche die Bühne dieses Krieges ist, würden sich die Konturen dieser neuen Phase zeigen. Dabei seien Palästinenser und Syrer gleichermaßen ihre Opfer und Helden. Die (israelische) Besatzung profitiere von der (syrischen) Diktatur und umgekehrt. Beide Masken werden jedoch fallen: gemeinsam im Süden und im Norden.

Eine Analyse vor dem Hintergrund der neuen Konstellationen und Konkurrenzen liefert Mustafa al-Libat- Präsident des Orientzentrums für regionale und strategische Studien- in der linksgerichteten libanesischen Tageszeitung as-Safir. Er weist zum einen darauf hin, dass die offizielle ägyptische Rhetorik die Auseinandersetzungen um Gaza der Hamas zuschreibt. So sei in den Verlautbarungen nicht die Rede vom „Angriff auf das palästinensische Volk“, wohl aber vom „Angriff auf Hamas“. Kritisch meint al-Libat dazu: „[nur leider] fragen die [israelischen] Raketen nicht danach, ob jemand sich der Hamas zugehörig fühlt, bevor sie die Körper [von Palästinensern] zerfetzen“. Libat fährt fort zu erklären, dass alle Parteien - Ägypten, Hamas und Israel - aus der jetzigen Situation politisches Kapital schlagen könnten. Israel habe es wieder einmal geschafft, die Palästinenser zu teilen: in einen „hamas`schen Gazastreifen“ und das Westjordanland.

"Der palästinensische Frühling bleibt ein Waise"

Nachdem das irakische Außenministerium die „israelische Aggression“ in einer Erklärung verurteilt hat und eine Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft verlangt hat, gibt es in der irakischen Presse weitaus weniger Kommentare zum Krieg auf Gaza als erwartbar. Dennoch solidarisieren sich mehrere Pressestimmen, so etwa die stark linksgerichtete Zeitung Yanabee´ al-Iraq mit den Palästinensern. Sie verurteilt die israelischen Angriffe auf unschuldige Zivilisten, welche unter dem Einverständnis der USA mit der radikalen regierenden Rechten geschähen seien. Netanjahu wolle von seinen innenpolitischen Krisen ablenken und die „Karten vermischen“. Das alles sei nur ein Schachzug vor den Wahlen und er profitiere vor allem von der anhaltenden Spaltung in den Reihen der Palästinenser. Die Zeitung ruft zur Solidarität des irakischen Volkes mit den Palästinensern auf und dazu, dass ihre palästinensische Schwesterpartei, die Palästinensische Volkspartei, die nationale Einheit der Palästinenser herstellen möge. Denn das sei die Grundvoraussetzung, um den Kampf gegen die Besetzung zu gewinnen und das Selbstbestimmungsrecht zu erlangen.

In der irakischen Zeitung al-Bayan, dessen Besitzer der schiitischen Hisbollah im Irak angehört, kommentiert Jasin Majid die Geschehnisse als den lange erwarteten „palästinensischen Frühling“. Erst der palästinensische Frühling gäbe dem arabischen ein „gutes Führungszeugnis“. Majid erwartet jedoch, dass dieser Frühling ein Waise bleibt, ohne Unterstützung von den arabischen Regierungen wie etwa Unterstützung mit Waffen, welche die Palästinenser zur Selbstverteidigung bräuchten. Eine Konferenz der „Freunde des palästinensischen Volkes“ wie es in Solidarität mit Syrien geschehen ist, werde wohl ausbleiben. Mit dem abgeänderten Revolutionsspruch „Verschwinde Netanjahu (Irhal Netanjahu)“ werden die Regierungen, die „mit dem Zug des arabischen Frühlings“ an die Macht gekommen sind, nicht reagieren. Das Lustige, was einen fast zum Lachen bringe, sei jedoch, dass Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), der die arabischen Revolutionen verteidigt hat, kein Wort verliere über das, was in Gaza passiert. Damit tue er genau das, was er vor Wochen angekündigt hatte: er werde das Ausbrechen einer palästinensischen Intifada nicht dulden. Somit gilt sowohl für Bahrain als auch Palästina: der Frühling kann erst verwirklicht werden, wenn er aus der Bevormundung einiger sabotierender Regierungen heraustritt.

Die Rolle der Türkei verblasst

Eine scharfe Kritik an der Hamas, aber vor allem an Israel, nimmt der Kommentator des libanesischen L'Orient le Jour vor: "Benjamin Netanjahu gefällt sich darin zu wiederholen, dass 'Israel aufhört zu existieren, wenn es keine Waffen besitzt, es jedoch andererseits keinen Krieg mehr gibt, wenn die Araber keine Waffen besitzen'. Bis dahin gibt es eben Krieg." Dieser sei nicht mehr asymmetrisch, und gleichzeitig eben doch, wie der Busanschlag in Tel Aviv beweise. Nach acht Tagen sei das Ergebnis des Krieges ebenso beeindruckend wie sinnlos mit 1100 von der Hamas abgefeuerten Raketen und 1450 von Israel getroffenen Zielen. "Bei dieser sehr erschreckenden Liste gilt einmal mehr, dass der offensichtliche Hass derart tief sitzt, dass es erstaunlich wäre, wenn die Protagonisten in einigen Jahrhunderten oder Jahrtausenden zu irgendeiner Form der Versöhnung kämen."

In zwei Monaten, bei der israelischen Wahl, werde man sehen, ob "Bibi" die Konsequenzen seines Manövers gut abgeschätzt habe. "Er wird auch den großen amerikanischen Bruder wieder auf die Erde zurückholen müssen, der bisher weiterhin auf der rosa Wolke seines Sieges vom 6. November schwebt." Der ägyptische Präsident Morsi habe selbstverständlich gegen die Israelis gedonnert, seinen Botschafter abberufen und Himmel und Erde in Bewegung gesetzt. "Kurz gesagt, er hat brav herumgetobt, ohne jemals den Eindruck zu erwecken, dass er es auf eine Konfrontation ankommen lassen, nicht einmal den Abgrund der Konfrontation auch nur streifen würde, worin ihm seine arabischen Amtskollegen folgten, allesamt eher Schaumschläger als Krieger." Das Kollateralopfer sei die Türkei, die gezwungenermaßen zusehe, wie ihre Rolle als Vermittler verblasst.

"Scheinsiege haben ein Verfallsdatum"

Ron Ben-Yishai, israelische Reporterlegende, die seit dem Sechstagekrieg 1967 über alle israelische Kriege berichtet hat, zieht nach dem Waffenstillstand in der Yedioth Ahronoth ein gemischtes Fazit der Operation "Säulen der Verteidigung". "Nur die Zeit wird zeigen", ob die israelische Offensive Erfolg hatte. Trotz der Jubelschreie der Hamas und der betrübten Stimmung in der israelischen Öffentlichkeit, sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Sicherheit der Bürger mittelfristig erhöht werde. Ben-Yishai erinnert an den Libanonkrieg 2006: Damals habe sich Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah als Sieger feiern lassen - doch Israel hat die Abschreckung gegenüber der Schiitenmiliz wiederhergestellt. Seit sechs Jahren herrscht an der Grenze zum Libanon gespannte Ruhe und die Bürger im Norden können in Frieden leben.

"Genau wie die Abschreckung haben auch kurzfristige Scheinsiege ein Verfallsdatum", bilanziert Ben-Yishai. Der Kriegsveteran relativiert zudem die Rolle der neuen Medien wie Twitter und Facebook während des Konflikts. "Die meisten Menschen in Gaza haben weder Facebook- noch Twitter-Accounts und werden nicht davon beeinflusst, was ihnen die israelische PR einreden will." Seumas Milne, Kommentator bei der britischen Tageszeitung Guardian, kritisierte am Dienstag scharf die Berichterstattung der amerikanischen und britischen Presse. Politiker wie Journalisten hätten, so Milner, die offizielle Rhetorik Israels größtenteils übernommen indem sie die israelische Militäroffensive als Akt der Selbstverteidigung darstellten. „Tatsächlich zeigt sich bei genauer Betrachtung der Ereignisse des letzten Monats, dass Israel die entscheidende Rolle in der militärischen Eskalation spielte“, meint Milne. „Aber die zentrale Frage ist nicht nur, wer angefangen oder die Situation hat eskalieren lassen, oder auch wie zermürbend unverhältnismäßig die israelischen Vorstöße wieder einmal sind“, so Milnes Kommentar, sondern „dass Israel als eine Art Opfer darzustellen, welches ‚jedes Recht dazu hat’, sich gegen Angriffe von ‚außerhalb seines Territoriums selbst zu verteidigen’ einer krassen Umkehrung der Realität entspricht“. Israel halte nach wie vor sowohl das Westjordanland als auch Gaza besetzt. Die Palästinenser, nicht Israel, hätten somit „das Recht sich zu verteidigen und zu bewaffnen, ob sie sich dafür entscheiden oder nicht“.

Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.