27.07.2018
Reflex: Abwehr
Daniel Walter, Kolumnist und Vorstandsmitglied bei Alsharq, ist freier Autor mit Sitz in Berlin. Grafik: Tobias Pietsch
Daniel Walter, Kolumnist und Vorstandsmitglied bei Alsharq, ist freier Autor mit Sitz in Berlin. Grafik: Tobias Pietsch

Ob Rassismus oder #metoo – immer und immer wieder wehren Menschen Kritik in erster Linie ab, statt sich selbst zu hinterfragen oder Betroffenen zuzuhören. Daniel Walter mit einem Servicepost zum Einstieg in Privilegien- und Rassismuskritik.

Dieser Text ist Teil der Alsharq-Kolumne „Des:orientierungen“. Alle Texte der Kolumne finden Sie hier.

Deutschland ist ein strukturell rassistisches Land. Wer dieser These in der Woche nach NSU-Prozess und Özil-Rücktritt irgendetwas entgegenhalten möchte – don’t come at me.

Und trotzdem: Geht es den Almans an den Kragen, feuern sie zuverlässig wie aus der geölten Luger: „ABER NICHT ALLE DEUTSCHEN SIND SO!“

Deutschland ist ein strukturell frauenfeindliches Land. Wer dieser These nach einer durchschnittlichen Woche mit sogenannten „Beziehungstaten“ irgendetwas entgegenhalten möchte – don’t come at me.

Und trotzdem: Geht es den Menners an den Kragen, knallen sie zuverlässig die Dschungelkeule auf den Tisch: „ABER NICHT ALLE MÄNNER SIND SO!“

Natürlich ließen sich die Beispiele für strukturelle und tagtägliche Gewalt gegen Marginalisierte um etliche Gruppen erweitern. Doch möchte ich anhand von Patriarchat und white supremacy verdeutlichen, wie sich Abwehrmechanismen unabhängig vom Kontext ähneln. NICHT ALLE MÄNNER und NICHT ALLE DEUTSCHEN soll signalisieren: Rassismus und Frauenfeindlichkeit sind Probleme der Anderen.

Statt die Erzählungen von Betroffenen – und zwar nicht als passive Opfer – ernst zu nehmen, diese Zustände anzuerkennen, die eigene Position und das eigene Handeln zu hinterfragen und zu untersuchen, wie Betroffene gestärkt werden können, wird der Spieß hier auf vielfältige Weise umgelenkt oder -gedreht.

Dazu werden abseitige Details auseinandergedröselt, um vom eigentlichen Thema abzulenken. Es wird Betroffenen die Schuld zugeschoben oder whataboutism das Wort geredet. All diese Ansätze sind in der rassismuskritischen Literatur seit Jahren leicht verständlich in deutscher Sprache nachlesbar. Buchempfehlung zum Einstieg: „Deutschland Schwarz Weiss“ von Noah Sow.

Willkommen im Happyland der Nahostspezis

Ein spezieller Fall ist es jedoch, wenn es um Rassismus et al. bei gebildeten weißen Mittelstandskids mit Nahostfaible geht – ein Mikrokosmos, bei dem ich mich vollumfänglich als Experten bezeichnen kann. Weil sie Hummus von Tabouleh unterscheiden können, drei syrische Geflüchtete kennen und ein wenig in der Welt umhergereist sind, fühlen sie sich immun dagegen, selbst rassistisch sein zu können.
 

Tupoka Ogette hat diese Komfortzone in „Exit Racism“ (Buch hier kaufen) wunderbar beschrieben. Ogette nennt sie Happyland:

„Happylandist eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der Anderen ist. In Happyland wissen alle Bewohner*innen, dass Rassismus etwas Grundschlechtes ist. Etwas, das es zu verachten gilt. Rassismus ist in Happyland enorm moralisch aufgeladen. Rassismus ist NPD, Baseballschläger, Glatzen und inzwischen auch die AfD. Es ist Hoyerswerda, Hitler und Ku-Klux-Klan. Der Begriff ist nicht ambivalent, denn rassistisch ist, wer schlecht ist. Darüber gibt es in Happyland einen Konsens. Gelernt hat der*die Happyländer*in dies seit seiner oder ihrer* Kindheit. Immer wieder wurde es ihm oder ihr* eingebläut. […] Hinzu kommt, dass man in Happyland davon ausgeht, dass Rassismus etwas mit Vorsatz zu tun hat. Damit man etwas rassistisch nennen kann, muss es mit Absicht gesagt oder getan worden sein. Des Rassismus bezichtigt werden kann also nur jemand, der oder die* vorsätzlich beschließt, dass die nun folgende Handlung oder das im Folgenden Gesagte rassistisch sein soll. Eine Wirkung, die der Verursachende derselben nicht beabsichtigt hat, liegt entsprechend nur im Auge des Betrachters und der Verursachende trägt keinerlei Verantwortung.“

Und wie kann Happyland angetastet werden? Zum Beispiel, indem auf strukturelle Rassismen und Rückständigkeit im Kosmos der „Orientfächer“ Islamwissenschaft, Arabistik, Iranistik usw. hingewiesen wird. Nahostspezis würgen Kritik ab, indem sie Betroffenenberichte als nichtssagende Einzelfälle abtun. So geschehen als Antwort auf den letzten Text an dieser Stelle, infolgedessen weiße Uniangehörige die Diskriminierungserfahrungen – von denen selbstverständlich keine einzige erfunden war – als Einzelfälle abtaten. Schließlich bestimmen Almans, was Rassismus ist – und Menners, was Sexismus.

Das Silencing kritischer Stimmen ist in dem Betrieb, in dem mehrheitlich weißeStudierende/Akademiker*innen Benjamin Disraelis berüchtigte Formulierung The East is a Career zum Motto haben, ein ökonomisch verständlicher Ansatz: Viele Leute an den Unis, Think Tanks und in anderen Positionen wissen, dass sie ohne ihre unterbezahlten Gatekeeper nichts wären. Ohne ihre Bekannten und Kontakte vor Ort, die ihnen Zugänge in Gesellschaften verschaffen, die sie nie ganz durchdringen werden. Dass sie bei Reisen in die Länder der Region bevorzugt behandelt werden, sei es durch die Generosität der Menschen im Alltag oder eine ungewohnte Aufmerksamkeit für die eigene Person. Dass sie von der versicherheitlichten Aufmerksamkeitsökonomie rund um Westasien, Nordafrika und nicht zuletzt ISLAM gut leben können, weil sie sich als Expert*innen für alles rund um Terror, Öl und den Koran verdingen können – und ja, NICHT ALLE aus dem Betrieb gehören dazu.

Außerdem kommt Kritik am eigenen Stall nicht gut an, möchte man die Chancen auf Fördermittelanträge, Buchkooperationen, Rufe oder andere Karriereoptionen nicht verspielen. Doch selbst, wenn man das eigene Fell nicht riskieren will: Schweigen und besser machen wären sinnvollere Optionen, als offenkundige Missstände kleinzureden.

Stattdessen fallen die Reaktionen auf Kritik an Rassismus häufig sinngemäß oder buchstäblich so aus:

 

Es gilt jedoch nach wie vor: Das Problem heißt Rassismus. Und das Problem heißt toxische Maskulinität. Daher hört auf, rumzuheulen und Betroffene weiter zu schikanieren. Ihr seid, wir sind das Problem. Zu wissen, wann man zurückzustecken, zuzuhören und sich an die eigene Nase zu packen hat, war noch immer die beste Strategie, um Missstände gemeinsam zu bekämpfen.

Der Abwehrmechanismus impliziert nichts so sehr, wie dass die eigene Loyalität im Zweifel beim Unterdrücker liegt – sei dies die weiße Mehrheitsgesellschaft oder das Patriarchat.

BE HUMBLE

Daniel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Er interessiert sich für internationale und Globalgeschichte, Dekolonisierung und Ideengeschichte mit einem Schwerpunkt auf Iran. Er ist seit 2015 bei dis:orient aktiv, dabei von 2016 bis 2020 im Vorstand. Für Alsharq REISE ...