30.11.2011
Revolution belebt das Geschäft - Der Wandel in der arabischen Gesellschaft lässt die Medienlandschaft nicht unberührt
Seit Jahren bestimmen die Satellitensender Al Jazeera und Al Arabiya die arabische Nachrichtenlandschaft. Nun kündigt sich von mehreren Seiten Konkurrenz an.
 
Einer, der in Zukunft in der arabischen Medienlandschaft mitmischen möchte, ist der saudiarabische Investor und Milliardär Prinz Waleed bin Talal Al Saud, Mitglied der saudischen Königsfamilie. Er kündigte am 13. September diesen Jahres auf einer Pressekonferenz in Riyadh die Gründung des Senders Alarab als unabhängiges Unternehmen der Rotana Media Group und der Kingdom Holding Company an. Deren Eigentümer ist Waleed selbst, womit Alarab zu seinem Privatunternehmen wird. Der Sender, so Waleed, richte sich als internationaler 24h-Nachrichtensender an das arabisch-sprachige Publikum weltweit. Als mögliche Standorte werden bisher Manama, Doha, Dubai, Abu Dhabi und Beirut gehandelt. Alarab werde über aktuelle Entwicklungen weltweit berichten, mit besonderem Fokus auf politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen in Saudi Arabien und der arabischen Welt. Unterstützung soll dabei der Nachrichten- und Informationsdienstleister Bloomberg LP leisten, mit der Bereitstellung von fünf Stunden des täglichen Finanz- und Wirtschaftsnachrichten-Programms. Ob Alarab tatsächlich 2012 auf Sendung gehen wird, bleibt allerdings abzuwarten.
 
Es ist nicht das erste Mal, dass Prinz Waleed die Gründung eines solchen Senders ankündigt. Bereits im Juli 2010 war ein 24h-Nachrichtensender in arabischer Sprache geplant. Damals allerdings noch in Kooperation mit Rupert Murdochs Fox News. Obwohl Murdoch und Waleed langjährige enge Geschäftsbeziehungen verbinden, wurde bei der Ankündigung von Alarab dementiert, dass jemals die Partnerschaft mit Fox News geplant war.
 
So oder so, zur verpassten Chance für Murdochs Medienimperium wird Alarab dennoch nicht. Denn einerseits ist Murdochs News Corp. der zweitgrößte Teilhaber in Prinz Waleeds Rotana Media Group. Andererseits verfolgt der britische Pay-TV Anbieter Sky News Broadcasting ähnliche Pläne, um die weltweite Zielgruppe von 300 Millionen arabischen Muttersprachlern für sich zu gewinnen: Sky News Arabia soll die arabische Stimme für unabhängigen, innovativen Journalismus werden – das wiederum Prinz Waleed als zweitgrößter Teilhaber von News Corp., die ganze 39% an Sky News Broadcasting halten, damit ebenso an Sky News Arabia beteiligt ist, erscheint dabei schon kaum mehr überraschend. Trotz Verzögerung der Pläne im Sommer 2011, durch die Aufdeckung der Abhör-Skandale von Murdochs Boulevardzeitung News of the World, soll Sky News Arabia schon bald von Abu Dhabi aus auf Sendung gehen. Im Frühjahr 2012 will der Sender mit der Ausstrahlung seines Programms beginnen. Einen ersten Eindruck von der Website und den Studios kann man sich jetzt schon machen.
 
Wie bei Al Jazeera, Al Arabiya und Prinz Alwaleeds geplantem Alarab, sind auch hier die Verbindungen zu arabischen Herrscherhäusern eng geknüpft. Sky News Arabia hängt mit der Abu Dhabi Media Investment Group zusammen, ein Unternehmen von Scheich Mansour bin Zayed al-Nahyan, Mitglied der Herrscherfamilie von Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wenn auch kritisch zu hinterfragen, muss diese Nähe kein Hindernis für unabhängigen, investigativen Journalismus und redaktionelle Freiheit sein. Zumindest so lange die Kritik am eigenen Mäzen vermieden wird. Das hat die Entwicklung und Berichterstattung von Al Jazeera die vergangenen Jahre über gezeigt.
 
Al Jazeera genießt in der arabischen Bevölkerung weltweit große Glaubwürdigkeit, vor allem unter jenen die seit Monaten auf die Straßen gehen, um ihre diktatorischen Herrscher zu stürzen und Freiheit, Würde, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung einzufordern. Wie groß das Ansehen Al Jazeeras unter einigen Zuschauern ist, zeigen Szenen aus Kairo, in denen Protestierende nach dem Rücktritt Mubaraks Banner hochielten, auf denen sie den Schriftzug des Logos von Al Jazeera [Insel, Arabische Halbinsel] in Al Hurriya [Freiheit] umgewandelt hatten. Und nicht nur unter ihnen wird die Arbeit des Senders geschätzt. Medien und Journalisten weltweit berufen sich mehr und mehr auf die Berichterstattung Al Jazeeras, um über Länder berichten zu können, in denen sie selbst keine Korrespondenten mehr vor Ort haben oder ihnen die Einreise verwehrt wird. Allerdings, auch wenn die Rolle, die Al Jazeera seit seiner Gründung 1996 als unabhängige Informationsquelle und Raum für politische und gesellschaftliche Debatten in und über die arabische Welt spielt, kaum überschätzt werden kann, ist eine gewisse politische Befangenheit in der Berichterstattung nicht auszuschließen. Es heißt, der Sender habe während des “Arabischen Frühlings” die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen offen unterstützt. Die Berichterstattung aber über die gewaltvolle Niederschlagung der Proteste in Bahrain seitens der Regierung, sei vergleichsweise unter den Tisch gefallen. Der sonst so unabhängige Sender könne sich seinen kritischen Blick in Berichten über Qatar und angrenzende Länder nicht leisten, sei befangen und habe sich gerade in den vergangenen Monaten mit seiner Berichterstattung über die Unruhen in Ägypten, Libyen und Syrien politisch positioniert, so die allgemeine Kritik.
 
Prinz Waleed ist bemüht, ähnliche Bedenken bezüglich Alarab von vornherein aus dem Weg zu räumen. Der saudischen Zeitung Al-Hayat sagte er, Alarab werde keine Anweisungen vom saudischen Informationsministerium annehmen. Darüber hinaus sei er bereit, die anfallenden Rundfunkkosten für die nächsten zehn Jahre selbst zu bezahlen.
 
Spannender als die herrschaftlichen Verbindungen ist allerdings die Frage, inwieweit sich der Einfluss der westlichen Medienkonglomerate Bloomberg und Sky News auf die Berichterstattung der neuen arabischen Nachrichtensender auswirken wird. Um die Aufmerksamkeit des arabischen Publikums auf sich zu ziehen, müssten die neuen Sender sich nicht nur von etablierten Informationsquellen wie Al Jazeera, BBC Arabic und Al Arabiya abgrenzen, sondern vor allem auch redaktionelle Unabhängigkeit von ihren westlichen Partnern beweisen.
 
Ob Journalismus im Murdoch-Format beim arabischen Publikum Anklang finden wird, bleibt abzuwarten. Die Mitarbeiter und Maxime von Al Jazeera jedenfalls kamen in den Anfängen vor allem auch von der BBC. Ein Blick in den Ethikkodex von Al Jazeera zeigt, dass man sich an journalistischen Werten wie Objektivität, Unabhängigkeit, Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vielfältigkeit orientiert. Auch bei Alarab sollen Rede- und Pressefreiheit im Vordergrund stehen. Laut Pressemitteilung sei es Richtlinie des Senders, einen freien Informationsfluss sowie eine objektive, ausgeglichene und zuverlässige Berichterstattung zu gewährleisten.
 
Bei Sky News Arabia erklingen die Richtlinien in einem etwas anderen Ton. Mit der Unterstützung einer der führenden Nachrichtenorganisationen der Welt, solle Sky News Arabia den Sky News Standard an objektiver, innovativer und unabhängiger Weltklasse-Nachrichtenberichterstattung bewahren und die Firmenziele erwirtschaften. So ist es der Website zu entnehmen. Für die Umsetzung dieser Ziele ist Nart Bouran verantwortlich. Er kann auf zwanzig Jahre journalistische Arbeitserfahrung zurückblicken und war zuletzt als Direktor für TV-Programme bei Thomson Reuters tätig. Weiterhin hat der Sender Yasser Thabet, zuvor bei Al Arabiya, und Pierre Kesserwani von BBC Arabic in die Redaktionsleitung geholt. Zudem hat man sich der Nachwuchsförderung und Journalistenausbildung verpflichtet. Man wolle vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten für neue Jobs im Medienbereich sorgen. Dort sei dies bisher ein eher untypischer Beruf für junge Emiratis gewesen.
 
Auch Alarab scheint daran gelegen, neben arabisch-sprechenden Medienexperten neue Talente zu gewinnen. Für die Umsetzung der Senderichtlinien wird hier Jamal Kashoggi, ehemaliger Chefredakteur der führenden Tageszeitung Al-Watan in Saudi-Arabien verantwortlich sein. Kashoggi hatte 2010 sein Amt bei Al-Watan niedergelegt, nachdem ein kritischer Artikel über den Salafismus veröffentlicht worden war, nach eigener Aussage in seiner Abwesenheit. Ob er zur Kündigung gezwungen wurde bleibt Spekulation. Nun ist er bei Alarab tätig und lässt wenig Zweifel an den Ambitionen des Senders. Die Frage nach der redaktionellen Linie Alarabs kommentierte Kashoggi via Twitter mit den Worten: „Alarab wird zur Linken von Al Arabiya und zur Rechten von Al Jazeera stehen.“ Es geht um regionalen Einfluss und darum, den beiden Sendern Konkurrenz zu machen. Ob das gelingt und Alarab sowie Sky News Arabia auf dem pan-arabischen Medienmarkt Fuß fassen können, bleibt abzuwarten. Faisal Abbas zufolge, ehemals Redakteur der arabischen Zeitung Asharq Alawsat in London, sei dieser Markt bereits sehr gesättigt. Im Wettbewerb um das arabische Publikum tummeln sich schon seit langem andere regionale Nachrichtensender, unter anderem der von der US-Regierung finanzierte Sender Al Hurra und BBC Arabic.
 
Welche Bedeutung dem arabischen Medienmarkt beigemessen wird, zeigt sich auch darin, wie öffentlich-rechtliche Sender ihre dortigen Programme aufrechterhalten und ausbauen. So wird der arabischsprachige Service der BBC nicht nur von massiven Ausgabenkürzungen die das Unternehmen in den folgenden Jahren vornehmen wird, ausgespart, es sollen auch noch zusätzliche Gelder bereitgestellt werden. Während der BBC World Service durch die Einschnitte im vergangenen Jahr insgesamt einen Rückgang von 14 Millionen Zuschauern verzeichnete, konnte BBC Arabic TV erneut ein Zuschauerwachstum von 2 auf 13,5 Millionen vorweisen. Auch die Deutsche Welle reagiert auf die Ereignisse im Jahr 2011 mit einem Ausbau des Fernsehangebots in arabischer Sprache und will auf mehr Dialog in Zeiten des Umbruchs setzen.
 
Al Jazeera indes ist selbst mit der Ausweitung des eigenen Programmangebots und der Erschließung neuer Zuschauerkreise beschäftigt. Seit November diesen Jahres sendet Al Jazeera Balkans aus Sarajevo in serbischer, kroatischer, bosnischer und montenegrinischer Sprache und erschlieβt sich damit die Möglichkeit ein regionales Publikum von bis zu 35 Millionen Menschen zu erreichen. Ziel ist es, eine regionale Alternative gegenüber den einheimischen Medienanbietern darzustellen, welche dazu tendieren würden ihr Programm ethnienspezifisch auszurichten. “Wir glauben, dass Al Jazeera Balkans wirklich eine freie Plattform für die Menschen in den Balkanstaaten öffnen kann, die den freien Dialog und Diskussion ermöglicht.”, so Scheich Ahmed bin Jassim Al Thani, Generaldirektor von Al Jazeera.
 
Einen Schritt voraus wird Al Jazeera seinen Einfluss trotz der neuen Konkurrenz zu halten wissen. Spannend bleibt, ob sich der vor kurzem vollzogene Führungswechsel innerhalb des Senders auf die Berichterstattung auswirken wird. Wadah Khanfar trat nach acht Jahren von seinem Posten als Leiter und Nachrichtenchef von Al Jazeera im September 2011 zurück. Schwere Anschuldigungen, darunter der, dass WikiLeaks ihn als amerikanischen Geheimagenten enttarnt habe und unter seiner Leitung Filmmaterial von Demonstrationen in Syrien gefälscht wurde, hatten zu Khanfars Rücktritt geführt. An seiner Stelle sitzt nun ein Mitglied der königlichen Familie Qatars im Chefsessel von Al Jazeera. Man spekuliert ob sich das Emirat mit diesem Schachzug mehr Einfluss auf Al Jazeeras Nachrichtenberichterstattung sichern will. Dies könnte zu Verlusten im Ansehen des Senders führen, bedenkt man, dass einer der Gründe für Al Jazeeras hohen Zuspruch im arabischen Publikum die weitgehende politische Unabhängigkeit ist.
 
Die aktuellen Entwicklungen in arabischen Gesellschaften von Marokko bis zum Jemen lassen den Medienmarkt nicht unberührt. Der Wandel in Politik und Gesellschaft beeinflusst auch die Medienlandschaft. Die interessanteste Entwicklung geht aber nicht von den neuen und alten überregionalen Nachrichtensendern aus, sondern von den lokalen Medien. Jetzt, wo einige der autoritären Regime nach und nach fallen und damit auch deren Kontrolle über das Staatsfernsehen, besteht die Chance, dass sich die lokalen Medien öffnen und neue Kanäle entstehen. In Ägypten hat sich dazu die Nationale Koalition für Medienfreiheit zum Wiederaufbau ägyptischer Medien für eine demokratische Zukunft gegründet. Die Empfehlungen und Forderungen des Kommittees, das aus verschiedenen Journalisten, Aktivisten und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren besteht, betonen die Rolle der Medien als öffentliches Organ der Gesellschaft und nicht der Regierung. Die Umformung der ehemaligen Staatsmedien sowie die Entwicklung neuer Strukturen und Leitlinien, die Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit widerspiegeln und aufrechterhalten, sind wesentliche und notwendige Schritte, wenn der gesellschaftliche und politische Wandel in eine demokratische Zukunft führen soll. Hier dürfte die bei weitem größte Herausforderung hinsichtlich des Wandels in der arabischen Medienlandschaft liegen.
 
Stefanie Groth, 24, hat in Erfurt und Berlin Religionswissenschaft, Islamwissenschaft und Kommunikationswissenschaft studiert. Derzeit ist sie an der School of Oriental and African Studies, London, und macht ihren Master am Centre for Media and Film Studies. In ihrem Studium konzentriert sie sich auf Internationale Politische Kommunikation mit Fokus auf Nahost, Medien und Entwicklung sowie das Zusammenspiel von Kultur, Identität und Politik in arabischen Gesellschaften.
Artikel von Stefanie Groth