22.05.2014
Saudische Delikatessen
Saudi-Arabien: mehr als Wahhabismus und Öl - aber was? Foto: VOA/Wikicommons, Public Domain (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/69/Worshipper_at_Masjid_Nabawi.%2C_Medina%2C_Saudi_Arabia.jpg)
Saudi-Arabien: mehr als Wahhabismus und Öl - aber was? Foto: VOA/Wikicommons, Public Domain (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/69/Worshipper_at_Masjid_Nabawi.%2C_Medina%2C_Saudi_Arabia.jpg)

Der offizielle „Kulturdialog“ ist ein heikles Feld. Effekthascherische Plattitüden konstruieren oft erst die Grenzen, die diese politischen Inszenierungen eigentlich zu überwinden vorgeben. Das war bei einer Veranstaltung zu Saudi-Arabien, über dessen Menschen wir gerne mehr erfahren hätten, leider auch nicht anders.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Journalismus-Serie. Alle Texte finden Sie hier.

Das Kulturbüro der Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien zu Berlin hatte Ende März zu einem „Saudisch-Deutschen Kulturdialog“ geladen. Auch Alsharq hatte eine Einladung erhalten. Und weil wir noch nicht so zynisch sind, solche Veranstaltungen zwar langweilig zu finden, aber dann des Fingerfoods wegen doch zu besuchen, haben wir mit freimütigem Interesse teilgenommen.

Im Rahmen unserer Serie zu den Chancen und Schwierigkeiten journalistischer Arbeit zum Nahen Osten haben uns zwei Punkte vor allem angesprochen: Zum einen sollte es bei der Veranstaltung um Saudi-Arabien gehen, jedoch ohne die billigen Stereotypen von Wahhabismus und Öl – Einblicke also, die wir auch suchen, weil wir selbst nur wenig über das Land wissen und deshalb kaum darüber schreiben. Zum anderen sind wir ja vielleicht auch irgendwie Teil des grenzübergreifenden Kulturdialogs (wer oder was ist eigentlich eine Kultur?), zu dem die Veranstaltung neue „verständnisvolle und humanistische“ Ansätze beitragen wollte.

Long story short, viel schlauer als zuvor sind wir nun nicht. Stattdessen hat die Veranstaltung gezeigt, wie hartnäckig sich folkloristische und elitäre Definitionen von Kultur halten. Der vielschichtige „Dialog“ lässt sich zudem nur dann politisch inszenieren, wenn „Kultur“ so sehr vereinfacht wird, dass das einende Charakteristikum auf recht beliebige Weise immer im Unterschied zu dem begriffen wird, was „gute“ von „weniger guten“ Kulturen trennt. Das zu beurteilen obliegt natürlich nur ausgewählten Experten.

Trachten in aufgeklärter Tradition

Auf dem Einladungsflyer zum „Event“ ist Deutschland durch Fotos des Brandenburger Tores sowie – ganz typisch – einer bayerischen Trachtentruppe dargestellt. Für Saudi-Arabien stehen dagegen Kamele, Wüstenschätze, islamische Kalligrafie und junge männliche Saudis. Was auch sonst?! Zum Empfang werden traditionelle Snacks wie Nüsse, Datteln oder Kleeja, ein Kardamon-Keks, von jungen Hostessen gereicht. Eine von ihnen hat allem Anschein zum Trotz mit dem Königreich gar nichts am Hut. Ihre Eltern kommen aus Marokko, sie selbst ist in Berlin geboren, aber sie spricht Hocharabisch; nach dem Dafürhalten der Initiatoren erfüllt sie damit wohl die oberflächlichen Anforderungen an diesen Kulturdialog.

Bei den beiden anschließenden Vorträgen dann sitzen rund 100 Menschen im Publikum; nur etwa zehn Prozent davon sind Frauen. Das Durchschnittsalter liegt ungefähr bei 50. Die color of choice für die vielen Anzugträger ist grau-schwarz. Nach den Grußworten an die anwesenden Honoratioren (und beiläufiger auch an alle anderen) dann der erste Vortrag zum Thema „Imagining the other: Arabs and Westerners across the divide“.

Unumwunden stellte der vortragende Experte dabei fest, wie weitverbreitet es heutzutage ist, abschätzig über andere Menschen und Kulturen zu sprechen. Ein gefährlicher Reflex, vor dem mit Ausnahme „besonders aufmerksamer“ Menschen niemand gefeit ist – zumal er dazu dient (der Reflex natürlich, nicht etwa der besserwisserische Verweis auf die Gefahr), sich gegenüber anderen zu profilieren. In „aufgeklärter Tradition“ wollte er stattdessen einen wohlmeinenden Ansatz für kulturelles Verständnis lancieren, der sich vom Humanismus des Italieners Giovanni Pico della Mirandola, den romantischen Idealen des Orients des 19. Jahrhunderts sowie den Arbeiten Noam Chomskys und John Espositos inspirieren lässt. Wer mit solch hochgestochenen Referenzen nichts anfangen kann, hat in der großen Welt der Kulturdialoge vermutlich nichts zu suchen. Alle anderen nicken ergriffen.

Der wohlwollende Orientalismus

Der genealogische Exkurs des Experten mündete in dem Aufruf, ein „heiteres Bild des Anderen zu zeichnen“. Doch lassen sich von solchen Aussagen kaum konstruktive Ansätze ableiten, wie sich der „Dialog der Kulturen“ heute tatsächlich gestalten lässt. Wie beispielsweise organisiert sich in Saudi-Arabien die öffentliche Meinung, wo politische Parteien verboten sind und sich Menschen ihre Nischen zur Meinungsäußerung suchen müssen? Was vermögen Deutschlands Medien davon zu vermitteln? Und was passiert mit all jenen, deren Stimmen nicht gehört werden, weil ein paar Mächtige besonders laut brüllen?

Der Anschein von Friede, Freude und Eicherkuchen im offiziellen „Kulturdialog“ soll nicht durch Kritik gestört werden. Das weiß der Referent, der bezeichnenderweise Mitglied des saudischen Oberhauses ebenso wie „cultural critic“ ist. Doch was gefällig klingt, birgt oft auch Risiken. Denn Kritik ist nicht das Gegenstück zu Empathie, wie der Experte vorsätzlich argumentiert. Sie sich zu verbieten und stattdessen mehr Verständnis füreinander einzufordern, stellt Kritik absichtlich als destruktiv dar. Doch in schöntuerischer Mission taugen aller Einwand und Widerrede nichts; sie schmeicheln einzig dem Potentat. Aufrichtiger Dialog über Grenzen hinweg kann so auch vorsätzlich unmöglich gemacht werden. Eine Frage dazu hat sich im Anschluss an den Vortrag dann leider nicht ergeben – selbst wenn dazu die Gelegenheit bestanden hätte.

Daher gab es auf der Veranstaltung auch kein einziges kritisches Wort zu Saudi-Arabien oder den Rüstungsgeschäften deutscher Firmen mit dem Königreich. Woran das liegt, bleibt nicht zu klären. Vielleicht daran, dass solche Themen bei einer Kulturveranstaltung nichts zu suchen haben. Oder auch daran, dass sich alle Beteiligten in „humanistischer Mission“ einig waren, dass dazu ohnehin ein unausgesprochener Konsens besteht. Oder es wollte einfach niemand dem abschließendem Urteil des Experten widersprechen, der den Orientalismus deutscher Provenienz im Gegensatz zum amerikanischen, britischen oder französischen Orientalismus für nicht so politisch motiviert, dafür aber inhaltlich gründlicher hält. Da soll einem bloß kein Dattelkern im Halse stecken bleiben.

Großspurig vereinnahmen

Im zweiten Vortrag dann ging es um „The impact of the Arabic language on science and civilization“. Eine weniger protzige Beschreibung ist dem Referenten vermutlich nicht eingefallen. Der gab zunächst einen historischen Abriss zum Arabischstudium in Deutschland und stellte dann einige ausgewählte Projekte in Saudi-Arabien vor, die Arabisch unterrichten und den Gebrauch der Sprache zu verbreiten suchen. In diesem Sinne war sein Vortrag weniger inhaltlich tiefgründig, als um „cultural diplomacy“ bemüht – womit ein besonderer Politikbereich bezeichnet ist, bei dem auf charmante Art Machtansprüche umgesetzt werden sollen. Das hat auch der dröge Duktus des Vortragenden, der Direktor des King Abdullah bin Abdulaziz International Center for Arabic sowie Arabischprofessor an der Imam Muhammad bin Saudi Islamic University ist, nicht wirklich zu kaschieren vermocht.

Der Vortrag wurde auf Hocharabisch gehalten. Die Dominanz der englischen Sprache betrachte der Experte mit Vorbehalt. Doch sei er zuversichtlich, dass sich Arabisch weiter verbreite – der Koran werde schließlich überall gelesen und, „gelobt sei Gott für seine Güte“, auch in „entlegenen“ Winkeln wie dem Tschad unterrichtet. All das kam reichlich steif daher. Mit keinem Wort ging er zum Beispiel auf die Dynamik ein, mit der die zahlreichen Arabischdialekte gesprochen, oft mit anderen Sprachen vermischt und so immer wieder neu erfunden werden. Das ist überall so, im Nahen Osten und anderswo. Nur ob dies auch im Falle Saudi-Arabiens gilt, blieb leider unbeantwortet. Die vielen Formen und Möglichkeiten, heutzutage miteinander zu kommunizieren, egal in welcher Sprache, bleiben den distinguierten Gästen daher vermutlich weiter verschlossen. Auch hierfür war die Veranstaltung nicht der richtige Rahmen.

All das wäre vielleicht zu erwarten gewesen. Anlass zu dem Bericht über die Veranstaltung gibt daher einzig, dass solche Foren trotz (oder gerade wegen) aller Plattitüden einen Effekt haben. Denn die Repräsentationskultur erfüllt im weiten Feld des „Kulturdialogs“ eine besondere Aufgabe. Das Besondere dabei ist, dass eigentlich immer schon klar ist, worum es geht: die Möglichkeit nämlich, sich kulturell großspurig zu beweihräuchern. Daher rückt der kulturelle Gegenstand insofern in den Hintergrund, als dass die offiziellen Komplizen ihn für ihre Absichten verwursten.

Bekannt ist das beispielsweise auch im Hip Hop, der vom Politikbetrieb immer wieder gerne als Ausdrucksmittel „unterprivilegierter Menschen mit Migrationshintergrund“ vereinnahmt wird. Wohlwollend wird insinuiert, dass der Umgang mit „subversiven“ Meinungen schließlich ein Maßstab für kulturellen Austausch sei. Oh yeah! Dabei ist es unerheblich, ob das nun besonders authentisch oder aufrichtig ist. Wenn der Rahmen stimmt, dann ist der Inhalt zweitrangig – und gar nicht erst geht es um so unnötige Dinge wie kritische Ideologien. In politischer Absicht wird so der „Kultur“ eine Bühne geboten, die vor allem den Politikern dient.

Immerhin: Von Saudi-Arabien und seinen Menschen wissen wir jetzt zwar immer noch reichlich wenig; wo wir mit der Suche nach Mehr anfangen können – und wo gerade nicht – dafür umso besser.

Johannes kam 2011 zu Alsharq und freut sich sehr, dass daraus mittlerweile dis:orient geworden ist. Politische Bildungsarbeit zur WANA-Region, die postkoloniale Perspektiven in den Vordergrund rückt und diskutiert, gibt es im deutschsprachigen Raum nämlich noch viel zu wenig. Zur gemeinsamen Dis:orientierung beschäftigt sich Johannes daher vor...