09.06.2016
Schlimmer geht’s immer – Fragen und Antworten zur Kabinettsumbildung in Israel
Premierminister Benjamin Netanjahu. Photo: Masa Israel Journey/Flickr (https://flic.kr/p/cgX96W, CC BY-ND 2.0)
Premierminister Benjamin Netanjahu. Photo: Masa Israel Journey/Flickr (https://flic.kr/p/cgX96W, CC BY-ND 2.0)

Die säkular-nationalistische Partei Yisrael Beitenu ist wieder Teil der Koalition um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, ihr Vorsitzender Avigdor Lieberman wieder Minister. Welche Auswirkungen hat die Kabinettsumbildung auf den politischen Prozess in Israel und den israelisch-palästinensischen Konflikt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was sind die Gründe für die Kabinettsumbildung?

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte sich seit Wochen darum bemüht, die hauchdünne Mehrheit (61 zu 59 Stimmen) der Koalition im israelischen Parlament zu vergrößern. Das Streben nach einem stabileren Fundament für die Koalition wurde umso dringlicher, als in der vergangenen Woche der Machtkampf zwischen Netanjahu und Verteidigungsminister Mosche Jaalon eskalierte.

Netanjahu hatte zunächst wochenlang mit Jitzhak Herzogs Zionistischer Union, der zweitstärksten Kraft in der Knesset, über die Bildung einer großen Koalition verhandelt. Die Einigung mit Avigdor Lieberman und dessen Ernennung zum Verteidigungsminister kam nun umso überraschener, hatte Netanjahu doch erst vor einem Monat Lieberman als „Amateur“ ohne militärische Kompetenz bezeichnet. Nun gibt Netanjahu dem „Amateur“ in einem Land im Konfliktzustand den womöglich wichtigsten Ministerposten. Damit beweist er einmal mehr, dass seine Politik weniger von Ideologie und Inhalten als vom Streben nach Machterhalt geprägt ist.

Wie verändert sich das Kabinett?

Mit der Aufnahme Yisrael Beitenus sind nun sämtliche rechts-nationalistischen Parteien in der Regierung vertreten. Mit Mosche Jaalon verlässt ein Schwergewicht des konservativen Establishments das Kabinett. Jaalon gilt als besonnener, verantwortungsvoller Politiker, der sowohl in der Gesellschaft, in der Opposition als auch im Militär hoch angesehen ist. An seine Stelle tritt der Scharfmacher Lieberman, der seit Jahren mit rassistischen Äußerungen gegen Geflüchtete auf sich aufmerksam macht und der die palästinensische Minderheit in Israel als „fünfte Kolonne“ diffamiert. Die Regierung rückt nach Rechtsaußen und ist um einen Populisten reicher. Liebermans Beitritt zur Koalition gepaart mit Jaalons Rücktritt werden eine weitere Polarisierung zwischen Regierung und Opposition bewirken.

Welche Auswirkungen hat die Kabinettsumbildung auf den israelisch-palästinensischen „Friedensprozess“?

Keine. Seit Monaten finden keine direkten Gespräche statt. Die palästinensischen Führungen, ob Fatah oder Hamas, nahmen der ultra-rechten israelischen Regierung auch vor der Ernennung Liebermans zum Verteidigungsminister nicht ab, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Leitlinie, den Friedensprozess voranzubringen, mit Leben zu füllen. Mit Lieberman wird der Ton rauer. Sicherlich wird sich der in der Siedlung Nokdim lebende Lieberman gemeinsam mit der national-religiösen Partei Beit HaYehudi für die Interessen der Siedler_innen einsetzen. An Netanjahus Politik, den Status Quo (und somit die Besatzung) zu managen, wird sich indes nicht verändern.

Hat die Kabinettsumbildung negative Auswirkungen auf das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen der Regierung und der Armee?

Mit Sicherheit. Armee und Regierungschef liegen seit Monaten überkreuz. Die Armeeführung macht immer wieder deutlich, dass sie extremistische Kräfte innerhalb der Regierung als Gefahr für die Stabilität des Landes ansieht. Als Vize-Generalstabschef Jair Golan am Holocaust-Gedenktag von Tendenzen innerhalb der israelischen Gesellschaft sprach, die ihn an die Anfänge der Nazi-Zeit in Deutschland erinnerten, bezeichnete Netanjahu diese Aussagen als „empörend“. Die Armeeführung verurteilte scharf, dass ein israelischer Soldat einen am Boden liegenden palästinensischen Attentäter erschoss, während Netanjahu dem Vater des angeklagten Soldaten Mut zusprach. Moshe Jaalon, selbst bis 2005 Generalstabschef, stellte sich dabei immer wieder auf die Seite der Armeeführung, was letztlich zum Bruch mit seinem Regierungschef Netanjahu führte. Neu-Verteidigungsminister Lieberman wird den Konflikt mit der Armee jedoch auf Seiten Netanjahus weiter befeuern. So fordert er gezielte Tötungen und die Todesstrafe für Terroristen – populistische Maßnahmen, die aus Sicht der Armeeführung zur Eskalation der relativ ruhigen Situation der letzten Monate führen könnten. Zuletzt besuchte Lieberman, zum Unmut der Armeeführung, aus Solidarität die Militärgerichtsverhandlung des Soldaten, der den Attentäter in Hebron erschossen hatte.

Was bedeutet die Amtsübernahme Liebermans militärisch?

Aus einer sicherheitspolitischen Perspektive kritisieren viele Israelis Lieberman nicht nur wegen seiner provokanten Äußerungen, sondern auch wegen seiner fehlenden militärischen Erfahrung. Der General Jaalon, einst Generalstabschef der israelischen Armee, wird durch den Corporal Lieberman (entspricht in Deutschland einem Stabsgefreiten) ersetzt. Damit sitzt ein weiterer militärisch unerfahrener, niederer Dienstgrad am Kabinettstisch und auch im wichtigen Sicherheitskabinett. Die Kluft zwischen Israels mächtigen Militärs und Netanjahus Kabinett wird dadurch noch größer. Außer dem Bauminister Yoav Galant, der Generalmajor ist, hat keiner der zehn Minister des wichtigen „Inneren Kabinetts“ nennenswerte militärische Erfahrungen. Viele befürchten nun, dass Israels Feinde Lieberman auf die Probe stellen wollen und mit militärischen Attacken provozieren, um seine Reaktionen auszutesten.

Wie wird sich die Kabinettsumbildung auf die palästinensische Bevölkerung Israels auswirken?

Palästinensischen Israelis stehen schwierige Zeiten bevor, obwohl die Minderheit nicht in Liebermans Portfolio als Verteidigungsminister fällt. Liebermans populistisch-rassistische Äußerungen gegen „Araber“ – ob in Israel, Palästina oder anderswo – werden das Mit- und Nebeneinander der jüdischen und arabischen Gesellschaften belasten. Gesellschaftlicher Rassismus, staatliche Diskriminierung, aber auch Messerattacken seitens palästinensischer Israelis haben die Koexistenz bereits in den letzten Monaten vor eine Zerreißprobe gestellt. Sollte Lieberman, nun wieder im staatstragenden Amt des Ministers, der palästinensischen Minderheit absprechen, Teil der israelischen Gesellschaft zu sein, sind gewalttätige Auseinandersetzungen programmiert.

Wie blickt die Welt auf die Kabinettsumbildung?

Während seiner Amtszeit als Außenminister war Lieberman in den USA persona non grata. Obama und Kerry versuchten jeglichen Kontakt zu Lieberman zu vermeiden und verhandelten in außenpolitischen Fragen meist direkt mit Premier Netanjahu. So teilten beide sich die Welt auf: der moderatere Premierminister war für die Kontakte zu den USA und der westlichen Welt zuständig, während sein Außenminister vor allem mit Russland in Verbindung stand. Nun hofft Netanjahu, dass sein neuer Verteidigungsminister die Beziehungen zu Russland weiter ausbaut. Bemühungen in Washington, Berlin oder Paris, den Dialog zwischen Israel und den Palästinensern wiederzubeleben, dürften bei Lieberman auf wenig Resonanz stoßen. Besonders in Frankreich trübt die Amtsübername die Hoffnungen auf einen Erfolg der Pariser Initiative.

 

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Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...