31.07.2016
Serie: 10 Jahre nach dem Krieg – Erinnerungen und Ausblicke aus dem Libanon und aus Israel
Die südlichen Vororte Beiruts wurden während des Krieges stark bombardiert. Photo: Privat
Die südlichen Vororte Beiruts wurden während des Krieges stark bombardiert. Photo: Privat

Es war ein Krieg mit Ansage – und doch waren alle Beteiligten überrascht, als er losbrach: Der „Juli-Krieg“, „34-Tage-Krieg“ oder eben der „Sechste arabisch-israelische Krieg“, der vor zehn Jahren im Sommer zwischen Israel und der Hisbollah wütete. Alsharq beleuchtet die Eskalation in einer Mini-Serie aus der Perspektive von Betroffenen im Libanon und in Israel.

Der Krieg kam mit Ansage, da die libanesische Hisbollah in Israel zunehmend als Bedrohung galt, auch weil kurz zuvor ihr iranischer Patron erstmals erfolgreich Uran angereichert hatte. Die Hisbollah hatte ihrerseits rhetorische Geschütze gegen Israel aufgefahren und sich in das Versprechen verstiegen, die libanesischen Gefangenen in Israel – allen voran Samir Quntar – zu befreien. Auf der internationalen Ebene träumte die Bush-Regierung in Washington nach der libanesischen „Zedernrevolution“ von einem pro-westlichen Libanon, ohne syrische Besatzung – und auch ohne die mit Assad-Regime verbündete Hisbollah.

Ein Krieg mit Ansage – und überraschendem Anlass

Überraschend war der Anlass: Man kann Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah glauben, dass er nicht mit einer derartigen israelischen Vergeltung gerechnet hatte für die Ermordung einer israelischen Grenzpatrouille und die Entführung der beiden Sergeants Udi Goldwasser und Eldad Regev. Israel reagierte mit einer „gerechten Belohnung“ – so der zynische Name der Militäroperation.

Am Ende der 34 Tage im Juli und August hatte der Libanon laut dem britischen Journalisten und Historiker David Hirst rund 1.000 tote Zivilisten zu beklagen. Zudem starben mehrere Hundert Milizionäre der Hisbollah. Eine Million Libanesen, ein Viertel der Gesamtbevölkerung, war auf der Flucht. Ganze Dörfer und Städte waren zerstört, 30.000 Wohnungen insgesamt, die meisten davon im Hisbollah-Stronghold Dahiyeh in Süd-Beirut, dazu 900 Geschäfte, 77 Brücken und zwei Krankenhäuser. In Nord-Israel starben 43 Zivilisten, mehr als 300 Gebäude waren zerstört und hunderte weitere waren beschädigt. Über 120 Soldaten fielen. Eine halbe Million Menschen floh in Richtung Süden.

Beschädigte Karrieren und „Ikonen des Widerstands“

Am Ende standen ein Waffenstillstandsabkommen, in dessen Folge die UN-Truppen im Südlibanon massiv verstärkt wurden – unter anderem ist die deutsche Marine vor der Küste des Zedernstaats seither im Einsatz –, und eine Menge Fragezeichen: Warum brach die Hisbollah diesen Krieg vom Zaun, der dem Libanon massiven Schaden zufügte? Warum gelang es Israel nicht, die Hisbollah trotz heftigsten Bombardements nachhaltig zu schwächen? Was sollte die israelische Bodenoffensive, 63 Stunden bevor der Waffenstillstand in Kraft trat, bezwecken? Und warum immer wieder Qana? Das libanesische Dorf, in dem Jesus sein erstes Wunder vollbracht haben soll, wurde zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren Schauplatz eines Massakers: 28 tote Menschenkörper, viele davon Frauen und Kinder, wurden am 31. Juli aus den Trümmern eines dreistöckigen Gebäudes gezogen, das die israelische Luftwaffe bombardiert hatte. Ein Angriff, der zum Wendepunkt hinsichtlich der internationalen öffentlichen Meinung wurde und dazu beitrug, dass der Krieg ein riesiger PR-Erfolg für die Hisbollah wurde. Während die politischen Karrieren des israelischen Premiers Ehud Olmert und des Verteidigungsministers Amir Peretz aufgrund der schlecht geplanten Kampfeinsätze Schaden nahmen, stieg Hassan Nasrallah im Libanon und der gesamten arabischen Welt zu einer „Ikone des Widerstands“ auf. Laut einer von Alsharq 2007 erhobenen Studie unter Studierenden, war Nasrallah nach dem Krieg der einzige libanesische Politiker, der auch außerhalb seiner eigenen Religionsgemeinschaft eine größere Anhängerschaft hatte.

Eines scheint sicher: Der Konflikt wird erneut eskalieren

Die Fronten zwischen Israel und der Hisbollah sind auch in der Gegenwart verhärtet, die feindliche Rhetorik unverändert. Israels Premierminister Netanjahu verkündete anlässlich des Jahrestags, auf jeglichen Angriff der Hisbollah ,mit eiserner Faust‘ zu reagieren. Da die Hisbollah ihre Kräfte im Syrien-Krieg bündelt, köchelt der Konflikt zwischen Israel und der Schiiten-Miliz jedoch momentan auf Sparflamme.

Zehn Jahre nach dem Krieg haben wir Libanesen und Israelis gefragt, wie sie die Geschehnisse erinnern. Zudem gingen wir in Interviews der Frage nach, wie der Krieg die Gegenwart geprägt. Eine neuerliche Gewalteskalation scheint den meisten Befragten wahrscheinlich. In zwei aufeinander folgenden Beiträgen bildet Alsharq in den kommenden Tagen Perspektiven von vom Krieg betroffenen Menschen ab.

Sein Journalistik-Studium führte Bodo vor einigen Jahren in den Libanon. Es folgten viele weitere Aufenthalte im Libanon und in anderen Ländern der Levante, auch als Reiseleiter für Alsharq REISE. Bodo hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens in Marburg und arbeitet heute als Journalist, meist für die Badischen...
Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...