07.12.2012
Stimmgewalt vs. Staatsgewalt
Reflektionen zur Revolution © Philipp Spalek (www.pspfoto.de)
Reflektionen zur Revolution © Philipp Spalek (www.pspfoto.de)

Kontroverser Einspruch, kollektiver Nachdruck. Teil I des Schwerpunktes Sprachlos?! zum Relaunch des Alsharq Portals ist eine musikalisch-politische Chronik der ägyptischen Revolution: Texte ägyptischer Rapper geprägt von und prägend für die Umbrüche im Land.

Dieser Beitrag ist Teil eins unseres Themenschwerpunkts Sprachlos?! Alle weiteren Texte finden Sie hier.

Rami Donjewan, „Ded el 7kooma - Gegen die Regierung, vom 7. Januar 2011, knapp drei Wochen vor dem Beginn der ägyptischen Revolution:

„Dein Blut, deine Heimat und deine Stimme – sie sind nichts wert. Sie vergießen dein Blut, machen deine Heimat lächerlich und bringen dich zum Schweigen. Unterdrücker gegen Unterdrückte, ein paar Herrscher gegen die Menge an Verdammten – die Fronten sind klar. Das Dilemma auch: eine Bevölkerung, die verstummt und Angst hat, weil sie durch die schmutzigen Schuhe des Regimes zu Boden getreten wurde; und eine Regierung, deren Herzen verkümmern, nachdem sie alles an sich gerissen haben. Die Menschen möchten sich beschweren, aber sie wissen nicht wie und bei wem.“

Revolution Records und Ahmed Rock, „Wa2t el Thawrageya“ und „Mamno3 min el Ta3eer – Veränderung ist verboten, vom 19. und 20. Januar 2011, eine Woche vor dem Beginn der Revolution:

„Ein letzter Ausweg verbleibt. Mit lautester Stimme müssen alle schreien, die wütend sind, die Respekt für den Wert menschlichen Lebens einfordern, und bekennen: ‚We are against the government‘. Dann können sie sich zusammen tun, um inmitten der Unterdrückung einen Funken Hoffnung zu verbreiten. Um Aufklärung zu schaffen über die Macht, die unsere Gedanken zerrüttet. Um die Wahrheit zu verbreiten, die das Regime so fürchtet. Mit lauter Stimme, denn meine Stimme ist das einzige, was mich beschützt, auch wenn sich mir jemand in den Weg stellt. Die Revolution ist das Ziel und das bedeutet, gemeinsam für die Freiheit einzustehen. Revolution ist ein Recht und in deren Namen stelle ich meine Stimme.“

Arabian Knightz mit Shadia Mansour, „Sagine - Gefangener, vom 4. Februar 2011, kurz nach dem „battle of the camel“ als Demonstranten auf dem Tahrir Platz von berittenen Schlägern angegriffen wurden:

„Wir müssen friedlich sein und unsere eigenen Gedanken entwickeln. Die Kräfte, die uns unterdrücken, versuchen uns zu spalten, die Bevölkerung auseinander zu treiben. Sie missbrauchen das Leid der Menschen, um unsere Forderungen und Vorschläge abzulehnen. Die Herrscher, eigensinnig und isoliert, beschimpfen uns als Terroristen, weil wir ihren Opportunismus entlarven. Und die islamische Öffentlichkeit und die Medien verbreiten diese mörderische Propaganda. Dabei haben sie ja Recht: Ich bin auf die Zähne bewaffnet mit einem Mikrofon und einem Stift, um meine Gedanken festzuhalten. Hier ist ihr Beweis, Mr. President: meine ‚weapons of mass destruction‘. Denn wir schmieden unsere Geschichte, die uns erkennen lässt, eine eigene Meinung zu fordern, um mit allen, die mir zustimmen, unsere Hoffnung zu teilen.“

Ahmed Mekky, „25 Yanāyir, vom 8. Februar 2011, kurz vor Mubaraks Abtritt:

„Wir bestätigen unsere Würde, wir, die Jugend, die den Wert von Einheit kennt. Wir sind zusammen hier und fordern Veränderung. Noch ist es nur ein Platz, aber es soll in das ganze Land hinaus. Auf dem Tahrir befindet sich eine kleine Nation, getragen von Respekt und Gerechtigkeit. Das ist das Ägypten, das wir uns wünschen. Unser Nationalstolz ist groß, wir lieben Ägypten. Um Euch zu befreien, kämpfen wir wie Löwen und werden nicht weichen. Denn so lange wir getrennt sind und uns die fitna (Spaltung) bedroht, sind unsere Rechte verloren. Aber auch wenn nicht all unsere Forderungen befolgt werden, so haben wir doch schon gewonnen, denn die ganze Welt kennt uns jetzt und hört unsere Stimme.“

Rami Donjewan, „Message to Mushir Tantawi, vom 16. Juni 2011:

„Mr Tantawi, ich habe eine Nachricht für Sie. Meine persönliche Anklage an Sie, um ihre Pläne zu entlarven, einen Keil zwischen uns zu treiben. Ich lege Ihre Lügen bloß, damit wir uns der Bedeutung unserer Revolution vergewissern können, derer Sie uns beraubt haben. Wo sind die Strafprozesse gegen die, die Unrecht tun? Wo bleiben die Rechte für die Bevölkerung und für die, die gestorben sind? Jetzt sind Sie in der Verantwortung und wir werden Sie verantwortlich machen: wenn Sie ihre Pflicht nicht erfüllen, werden wir uns Ihnen entgegensetzen! Es ist Ihre Pflicht, uns zu unseren Rechten zu verhelfen, denn meine Rechte sind kein Geschenk an Sie!“

Revolution Records mit Ahmed Rock, „Yasqot 7okm al 3asskar – Nieder mit der Militärregierung, vom 16. November 2011, ein paar Tage vor den Parlamentswahlen, kurz nachdem der Militärrat ein Dekret lanciert hat, um sich über jegliche konstitutionelle/zivile Kontrolle hinwegzusetzen:

„Es war einmal eine Revolution. Unsere Revolution. 18 Tage an denen wir uns gemeinsam erhoben haben. Doch dieses Märchen ist vorbei. In Wirklichkeit haben wir die Diebe ermächtigt, die sich jetzt an uns dafür rächen, dass wir sie belästigen. Sie ziehen ihren Nutzen aus der Revolution, die Menschen sind die Opfer. Ihr Verbrecher! Ihr bedroht uns, bewaffnet die Polizei, werft uns Militärtribunalen zum Opfer und sperrt jeden ein, der die Stimme erhebt. Ihr beschmutzt die Bilder der Toten, unserer Helden. Teilt die Macht unter Euch auf. Meine Worte sind wie Blasphemie, aber überall kriechen sie hinter dem goldenen Kalb her. Nicht ihr habt die Revolution beschützt. Wir, das Volk, bewahren die Revolution. Gegen Euch und gegen den Tod. Wir sind eine Generation von Revolutionären, die den Tod nicht scheut und keine Angst mehr hat. Denn wer immer auch nur einen kleinen Geschmack von Freiheit bekommt, der lässt sie nicht mehr los. Niemals werde ich mich in mein Leid zurückziehen und niemals mehr werde ich ein Feigling sein. Denn wir sind im Recht. Nicht Sie, Feldmarschall, Sie stehen nicht über dem Gesetz! Diese Wahrheit wird nach draußen dringen, auch wenn sie eine Million Wärter bewachen: der Militärrat hat alle Glaubwürdigkeit verloren.“

Moody Rap, „Mafish ragu3 – Kein zurück!, vom 21. November 2011, bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften um den Tahrir Platz und auf der Mohamed Mahmoud Straße sterben über 40 Menschen:

„Unser Glaube darf nicht brechen. Unsere Hoffnung müssen wir bewahren und uns darauf berufen: alle zusammen, Hand in Hand, ein blutendes Herz, ohne Unterschiede zwischen uns. Sie sagen meine Worte seien falsch, wollen den Ereignissen eine andere Bedeutung geben. Aber davon lass‘ ich mich nicht unterkriegen. Denn Pessimismus zu streuen ist die Waffe unserer Gegner. Wir dagegen finden Hoffnung in unserer Entschiedenheit und Leidenschaft. Sie wollen vermeiden, dass unsere Enkel noch davon reden, was ihre Großeltern erreicht haben. Aber das wird ihnen nicht gelingen. Ich weiß, worum es geht. Doch dafür müssen wir uns wieder aufrappeln. In jedem Kampf müssen wir bestehen, denn es geht um die Gerechtigkeit. ‚Es gibt kein Zurück.‘“

Revolution Records, „Kazeboon – Lügner, vom 22. Januar 2012, kurz vor dem Jahrestag des Beginns der Revolution:

„Ein Jahr ist vergangen. Nichts hat sich geändert, nicht die Berichterstattung der Medien, nicht die Arbeit der Ministerien, nicht das Gebaren der Militärpolizei oder die Kontrolle der Justiz. Alle beschützen sie die Verbrecher. Der Militärrat lügt und wir sterben und werden eingesperrt wenn wir ‚Nein‘ sagen. ‚Nein‘ dazu, dass unsere Revolution in Vergessenheit gerät. Wir müssen uns darauf besinnen: wir sind keine baltagiyya (Verbrecher, Unruhestifter) und sind nicht an Profit interessiert; der Militärrat versteckt sich hinter seinen Lügen wie ein Gefangener in seiner Zelle. Vor einem Jahr waren wir alle Khaled Saed, doch dieses Jahr sind wir noch mehr. Schaut und zählt wie viele Märtyrer es gibt. Mit jedem Märtyrer wird unser Wille stärker, die Revolution zu beschützen. Die Revolution ist immer noch in unseren Herzen, die Märtyrer leben und wir sterben. Wir müssen raus aus unseren Häusern und mit unserer lautesten Stimme verlangen: ‚Down with military rule‘!“

MC Amin, „El Thawra Mostamera – die Revolution geht weiter, 16. Februar 2012, zwei Wochen nachdem 79 Menschen durch Gewalt bei einem Fußballspiel zwischen al Ahly aus Kairo und al Masry in Port Said umgekommen sind:

„Diese Worte sind scharf wie eine Salve aus dem Gewehr. Wir haben ‚Nein‘ zu Tantawi gesagt und ‚Ja‘ zur Veränderung. Jetzt gibt es nur eine Lösung: Entweder wir bekommen unsere Rechte oder wir sterben wie sie gestorben sind. Kleine unschuldige Kinder, die Jugend von al Ahly, meine Familie. Von Anfang an mit an unserer Seite – jetzt wurden sie niedergetrampelt und erschlagen. Es ist eine Schande, ihr Blut überdeckt das Stadion. Doch ihr Blut ist der Preis und die Revolution muss weitergehen solange unsere Rechte uns verwehrt bleiben. Alle zusammen gegen die Unterdrücker und die korrupten und hinterlistigen Medien: ‚Fuck‘, Mubarak ist noch an der Macht nachdem wir ihn entthront, eingesperrt und entmachtet haben? Ihr sabotiert unser Land und tötet unsere Kinder. Vor unseren Augen! Doch auch wenn meine Stimme heiser wird, egal wie viel ich schreie, ihr werdet mich nicht zum Schweigen bringen. Auch wenn ich dabei sterbe, ich muss meine Rechte bekommen.“

Ahmed Rock, „Ana mish 3adad – Ich bin keine Nummer, vom 14. Juni 2012, knapp drei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen:

„Ich bin nicht nur eine Nummer, nicht nur ein einzelner Fall. Wir sind nicht irgendwer. Ich bin nicht eine Nummer auf meinem toten Körper. Ich bin eine normale Person, nicht eine Fahne oder ein paar Tage Trauer. Ich bin kein Protest und ich bin kein Lied. Du bist der Verräter. Du hast mich im Stich gelassen und mich meiner Rechte beraubt. Du bist der Mörder, weil Du mich sterben lässt und mein Blut nichts bedeutet bei so viel Tod, Ungerechtigkeit, Unterwerfung und Erniedrigung. Verharmlose mein Leid und mach eine Ziffer aus mir, einem Menschen. Wie kannst Du es wagen? Ich habe demonstriert und aus Liebe zu Dir Deinen Namen gerufen. Doch Du verleumdest mein Ansehen. Ich bin Dein einziges Andenken und Glück. Ich bin gestorben, damit Du, Ägypten, leben kannst. Ich bin ein Märtyrer. Ich bin Ghandour, Mina und Scheich Emad.“

 

Das sind nicht meine Worte. Sie entstammen den Texten ägyptischer Rapper. Ich habe die Texte übersetzt und etwas zusammengefasst, aber die direkte Rede und Ansprache bleibt bestehen. Die Lieder wurden an den angegebenen Daten veröffentlicht. Sie sind entstanden im unmittelbaren Eindruck der Erfahrungen junger Menschen mit den Ereignissen und Auseinandersetzungen im Verlauf der ägyptischen Revolution. Und mit diesen Erfahrungen setzen sie sich mit viel Nachdruck und Schärfe auseinander.

Die Lieder bewirken etwas. Sie sind ein performatives Mittel der Verständigung, anziehend, inspirierend, einfallsreich. Mit den Worten der Texte wird eine kollektive Erfahrung umschrieben, die Hoffnung, Euphorie, Sorge, Enttäuschung und Resignation der vergangenen Monate.
Es geht um die Bedeutung der Revolution und die Bedeutung der Revolution für das Leben der Menschen. Nicht weniger. Was soll und was kann die Revolution bedeuten? Das ist umstritten und längst Opfer des Kulturkampfes geworden. Eine autoritäre Macht versucht die Bedeutung in ihrem Sinne festzuzurren. Aber gerade deshalb ist die Vermittlung einer anderen – gemeinsamen – Erfahrung so wichtig, als Kritik, aber auch als Alternative, um sich seiner Verbündeten und Ziele zu vergewissern.

Eine abweichende Meinung ist so subversiv wie das Umfeld restriktiv ist. Rap bietet ein Medium, um eine solche Meinung zu artikulieren und hat so eine kleine aber bedeutende Rolle im Entstehen der Bewegungen und des politischen Bewusstseins gespielt, die zur Revolution beitragen. Die Raptexte sind zu einem Teil der kommunikativen Infrastruktur urbanen Lebens geworden, in dem Symbole und die Bedeutung der Revolution ausgehandelt werden.

Die Autoritäten scheren sich darum nicht besonders. Stattdessen wird in den Texten ein „wir“ angerufen. Dieses „wir“ ist absichtlich offen. Es schließt all die Menschen ein, die sich mit den Erfahrungen verbinden, ob nah ob fern, indem persönliche Eindrücke vermittelt werden, die sich auf die kollektive Erfahrung mit der Revolution beziehen. Diese Anteilnahme bestätigt den Wert der Auseinandersetzung. Die Aktionen der Revolutionäre und Lieder der Musiker erhalten so einen wertvollen Resonanzraum. Obwohl Rap in Ägypten kein Massenphänomen ist, stoßen die Lieder auf viel Anklang, gerade weil sie sich mit Themen wie Recht, Gerechtigkeit und Zukunft auseinander setzen, die allesamt gegenwärtig verhandelt werden.

Weil die Texte zudem im unmittelbaren Eindruck der Ereignisse entstehen und die Emotionen im Eifer des Gefechts widerspiegeln, bieten sie viel Raum für Assoziationen. So erfassen die Texte die Ereignisse im Entstehen. Die Gewalt gegenüber Zivilisten zum Beispiel wird aus persönlicher Betroffenheit konfrontiert, direkt und frontal. Ein Eindruck für die Vehemenz der Szenerie ginge verloren, würde sie mit mehr artistischen und intellektualistischen Umschweifen dokumentiert werden.

Es geht dabei um Authentizität. Authentizität ergibt sich für die Musiker im Verhältnis zu ihrem Umfeld. Das bedeutet zum einen, dass die Texte Einfluss auf ihr Umfeld haben. Zum anderen aber werden auch die Texte und Musiker von ihrem Umfeld beeinflusst. Beides geschieht in vielfältiger Weise. Innerhalb der ägyptischen Gesellschaft sind die Musiker daher ebenso beeinflusst von der offiziellen Narration, dem gesellschaftlichen Wertsystem und den Machtverhältnisse im Land wie sie diese in kleinen Schritten, durch Texte und Lieder anfechten und in Frage stellen. In diesem Sinne wirft die entstehende ägyptische Rapmusik kontroverse Fragen auf, die Teil des Bemühens um gesellschaftlichen Einspruch und Ermächtigung sind. Für die ägyptische Revolution bedeutet das, dass viel mehr passieren muss als zu erkennen, dass es laute Stimmen gibt, die wir kaum hören.

 

Bei mehr Interesse schaut auf Revolutionary Arab Rap - The Index vorbei. Eine tolle Webseite und Anlaufstelle für arabischen Rap.

Johannes kam 2011 zu Alsharq und freut sich sehr, dass daraus mittlerweile dis:orient geworden ist. Politische Bildungsarbeit zur WANA-Region, die postkoloniale Perspektiven in den Vordergrund rückt und diskutiert, gibt es im deutschsprachigen Raum nämlich noch viel zu wenig. Zur gemeinsamen Dis:orientierung beschäftigt sich Johannes daher vor...