11.01.2024
Sudan: Der Krieg, der niemanden interessiert
Wie viele andere verließ Khalid* die sudanesische Hauptstadt Khartum nach Beginn des Krieges im April 2023 und machte sich auf den Weg nach Kairo. Das Bild nahm er Ende Mai auf - bei einem Pausenstopp auf der Strecke von Atbara (im Nordosten des Sudans) nach Halfa (an der sudanesisch-ägyptischen Grenze). Foto: dis:orient.
Wie viele andere verließ Khalid* die sudanesische Hauptstadt Khartum nach Beginn des Krieges im April 2023 und machte sich auf den Weg nach Kairo. Das Bild nahm er Ende Mai auf - bei einem Pausenstopp auf der Strecke von Atbara (im Nordosten des Sudans) nach Halfa (an der sudanesisch-ägyptischen Grenze). Foto: dis:orient.
Auf dem Weg nach Kairo im Mai 2023: Reisebusse stehen in langen Schlangen am Ashkeet/Qustul-Grenzübergang vom Sudan nach Ägypten. Sudanes:innen, die zu dieser Zeit vor dem Krieg fliehen, berichten von Ungewissheit, Chaos und tagelangem Warten an der Grenze. Es mangelt an Lebensmitteln, Schatten und sanitären Anlagen. Foto: dis:orient.
Auf dem Weg nach Kairo im Mai 2023: Reisebusse stehen in langen Schlangen am Ashkeet/Qustul-Grenzübergang vom Sudan nach Ägypten. Sudanes:innen, die zu dieser Zeit vor dem Krieg fliehen, berichten von Ungewissheit, Chaos und tagelangem Warten an der Grenze. Es mangelt an Lebensmitteln, Schatten und sanitären Anlagen. Foto: dis:orient.

 Ein Ende des Krieges im Sudan ist nach Aussetzung der Verhandlungen in Dschidda weiter entfernt denn je. Inmitten der humanitären Krise bemühen Exil-Sudanes:innen sich, ihr Land international auf die Tagesordnung zu setzen.

Anstatt mit Feuerwerk beginnt das Jahr 2024 im Sudan mit Artilleriebeschuss, schreibt die sudanesische Politikwissenschaftlerin Kholood Khair auf X, vormals Twitter. Seit dem 15. April 2023 herrscht im Sudan ein Bürgerkrieg. Zwei Generäle, einst Partner, bekämpfen sich zum Leid der Zivilbevölkerung. Zum Jahreswechsel kontrollierten die Rapid Support Forces (RSF) den größten Teil der Region Darfur, nahmen Sudans zweitgrößte Stadt ein und waren dabei, den fünften von neun Staaten des Sudan unter ihre Kontrolle zu bringen.

Sechs Millionen Sudanes:innen mussten fliehen. Der 28-jährige Filmemacher Khalid* wollte eigentlich gar nicht weg aus seiner Heimatstadt Khartum. Nach Jahren der wiederkehrenden Gewalt schien sich das Leben für ihn im Frühjahr 2023 gerade wieder zu normalisieren. Junge Leute nahmen ihr Studium und ihre Arbeit wieder auf, fingen an, ihren Träumen und Zielen nachzugehen.

Wie mehr als 300.000 andere Sudanes:innen lebt Khalid heute in Ägypten. Ende April 2023, nach Beginn des Krieges hatte er sich schließlich doch entschlossen, zu gehen. Sein Leben soll weitergehen, er will es nicht von „diesen Idioten“ ruinieren lassen. Idioten, so nennt er die beiden Generäle, die derzeit Krieg über den Sudan bringen: Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als „Hemedti“, der Anführer der paramilitärischen RSF, und Abdelfattah al-Burhan, Chef der Sudanesischen Streitkräfte (Sudanese Armed Forces, SAF) und De-facto-Staatsoberhaupt des Sudan.

Der anhaltende Krieg hat mehr als 12.000 Todesopfer gefordert. Trotz alldem ist der Konflikt im Sudan ein „vergessener Krieg“, wie es die sudanesische Politologin und Journalistin Dallia Abdelmoniem, die ebenfalls in Kairo lebt, ausdrückt.

Ein Machtkampf zwischen zwei Generälen

Am 19. Dezember 2023 jährte sich der Beginn der Revolution im Sudan zum fünften Mal. „Wir hatten so viele Kriege, so viel Hoffnung durch die Revolution 2018“, erinnert sich Khalid. „Einer der Slogans damals lautete: ‚Das Militär in die Kasernen und die Janjaweed auflösen‘“ [Arabisch: العسكرللثكنات والجنجويد ينحل, Anm. d. Red.], erzählt er in einem Kairoer Café, das vor allem Sudanes:innen besuchen.

Die Janjaweed-Miliz, der Vorläufer der heutigen RSF, war ab 2002/2003, bereits Teil einer Strategie der sudanesischen Regierung zur Aufstandsbekämpfung. In dieser Zeit starben in Darfur 200.000 bis 400.000 Menschen durch den Konflikt, Tausende wurden in Darfur unter maßgeblicher Beteiligung der Janjaweed-Miliz ermordet. Später integrierte der damalige autoritäre Präsident Omar al-Baschir die Janjaweed als RSF in den staatlichen Sicherheitsapparat, „um seine Herrschaft gegen Putschversuche seiner eigenen Armeeführung und des Geheimdienstes abzusichern“, so der sudanesische Journalist Mat Nashed in analyse&kritik. Die Konkurrenz zwischen den RSF und den sudanesischen Streitkräften SAF geht auf diese Zeit zurück.

Zugleich entwickelt sich der Bürgerkrieg immer mehr zu einem Stellvertreterkrieg zwischen regionalen Akteur:innen wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate. Auch Ägypten hat ein strategisches Interesse am Sudan, da es seine Wasserressourcen aus dem Nil, der durch den Sudan nach Ägypten fließt, sichern will.

Im Dezember 2023 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die politische UN-Mission zur Unterstützung des Übergangs im Sudan (UNITAMS) zu beenden. UNITAMS, darunter insbesondere dessen Leiter und UN-Sonderbeauftragter für den Sudan, Volker Perthes, standen in der Kritik, obsolet oder gar kontraproduktiv zu sein. Peter Schumann, der selbst im Rahmen einer UN-Friedensmission im Sudan tätig war, meint, die internationale Gemeinschaft hätte den wirtschaftlichen Aufbau Sudans unterstützen müssen, habe das aber bei der Aufstellung von UNITAMS und bei der Auswahl der Führung ignoriert. „Der politische Prozess sollte ohnehin den Sudanes:innen selbst überlassen sein“, so Schumann.

Europäische und deutsche Verstrickungen

Die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland scheinen das Interesse am Sudan verloren zu haben – schon vor dem aktuellen Krieg. Und das, obwohl die Bundesrepublik im Kalten Krieg enge Beziehungen zum Sudan unterhielt und dort auch Rüstungsproduktion mitaufbaute. Mit dem „Khartum-Prozess“ seit 2013 war der Sudan dann noch einmal unter dem Aspekt der Migrationsabwehr im deutschen Fokus.

Kritische Stimmen warnten immer wieder, dass das von der EU geförderte Migrationsmanagement auch repressive staatliche Gruppierungen direkt oder indirekt stärke, etwa die ab 2015 für Grenzkontrollen zuständigen RSF. Im Jahr 2019 stoppte die EU ein Projekt zur Ausbildung sudanesischer Sicherheitskräfte, berichtete die Deutsche Welle. Neuere Recherchen zeigten außerdem, dass mehrere EU-Mitgliedsstaaten eine Sicherheitsfirma, die zur Schattenwirtschaft der RSF gehört, beauftragt und bezahlt hatten, um ihre Botschaften zu schützen. Kund:innen der Firma waren auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die deutsche Botschaft in Khartum.

Konflikt kann nicht auf ethnische Zugehörigkeiten reduziert werden

Die Angst vor einem kompletten Zusammenbruch Sudans und weiterer tödlicher Gewalt wächst. Expert:innen verweisen außerdem auf die Gefahr eines libyschen Szenarios, eines Staates mit zwei Regierungen. Erst im Jahr 2011 spaltete sich der Südsudan vom Sudan ab. „Ich denke, der Sudan wird erneut geteilt werden“, befürchtet Khalid. Ein Szenario, von dem Abdelmoniem hofft, dass es nicht eintreten wird.

In West-Darfur ermordeten die RSF im November innerhalb weniger Stunden Hunderte Angehörige der Masalit-Volksgruppe. Videos und Berichte von Überlebenden zeichnen ein Bild gezielter rassistischer Gewalt. „Dies ist nicht mehr die Heimat der Masalit, sondern die Heimat der Araber“, sagt ein RSF-Kämpfer in einem durch den Sender France24 ausgestrahlten Video.

Wissenschaftler:innen zufolge kann der Konflikt in Darfur in seiner ganzen Komplexität trotzdem nicht als bloße Konfrontation zwischen afrikanischen Stämmen und arabischen Milizen beschrieben werden. So meint Rogaia Abusharaf, Professorin für Anthropologie an der Georgetown University, dass „ethnische Zugehörigkeit, wenn sie politisch mobilisiert und manipuliert wird, andere grundlegende Dimensionen des Konflikts verschleiert, wie Banditentum, Systeme von Landeigentum, Umweltzerstörung, Waffenverbreitung und Militarisierung, Grenzpolitik und systemische Marginalität.“

Unterschiedliche Wirtschaftsinteressen der Kriegsparteien

Die RSF und die SAF benötigen als Kriegsparteien grundlegend unterschiedlichen Vorrausetzungen, um ihre jeweiligen Wirtschaftsmodelle rentabel zu halten. Die SAF ist mit zahlreichen Unternehmen in den Bereichen Handel, Transport und Logistik, aber auch Landwirtschaft und Kleinindustrie tätig, die vor allem von ehemaligen hochrangigen Militärs geführt werden. Für diese wirtschaftlichen Aktivitäten benötigen sie eine funktionierende Infrastruktur und politische Stabilität.

General Dagalo und die RSF hingegen kontrollieren Goldminen in Darfur und leisteten Söldnerdienste im Bürgerkrieg im Jemen, finanziert von Saudi-Arabien, und zur Unterstützung von General Haftar in Libyen. Die RSF brauchen folglich keine funktionierende Infrastruktur oder Zivilverwaltung, sondern Sicherheitskräfte, die Minen und Transporte sichern. Ein Bericht des International Food Policy Research Institute (IFPRI) zeigt, wie die gegensätzlichen wirtschaftlichen Interessen der beiden Gruppen und die Kämpfe um Landressourcen zu einer geografischen Ausweitung der Kämpfe führten, die zunächst noch auf Khartum beschränkt waren.

Im Zuge dessen wurden weite Teile der ländlichen Bevölkerung sowie der Stadtbevölkerung Khartums vertrieben. Wichtige Infrastruktur wie Banken und die Landwirtschaft kam zum Erliegen, ganz zu schweigen von der Beschlagnahmung von Gütern durch die RSF und die SAF, die die Situation weiter verschärft. Die Lebensmittelversorgungskette im Sudan ist unterbrochen und führt zu einer ersthafte Bedrohung der Ernährungssicherheit im Sudan, heißt es in dem IFPRI-Bericht. „Der Lebensmittelsektor im Sudan ist völlig zusammengebrochen“, sagt auch die Politologin Dallia Abdelmoniem.

„Übt Druck auf die beiden Generäle aus"

Abdelmoniem organisierte im November gemeinsam mit anderen Exil-Sudanes:innen in Kairo die „Sudan Humanitarian Crisis Conference 2023“. „Die Beteiligung der internationalen Hilfs- und Geberorganisationen war besser als erwartet", so Abdelmoniem, „und vor allem haben wir lokale Nichtregierungsorganisationen und Aktivist:innen zusammengebracht“.

Dass diese „zivile und humanitäre Seite“ bei den durch Saudi-Arabien vermittelten Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien nicht vertreten war, sieht Abdelmoniem als deren große Schwachstelle. „Die Gespräche in Dschidda sind gescheitert. Wir werden keinen Frieden schließen, wenn lediglich die beiden Generäle am Tisch sitzen.“ Die letzten Verhandlungen fanden im Oktober statt und wurden dann ausgesetzt. „Andere Länder der Region und die internationale Gemeinschaft müssen mehr Druck auf die beiden Generäle ausüben, damit sie die Kämpfe beenden", fordert Abdelmoniem. „Wir zahlen den Preis für diesen Krieg“. 

 

* Name von der Redaktion geändert.

 

 

 

Jana hat Frankreichstudien und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Université Paris 8 Vincennes–St.-Denis studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin für das Qamar Magazin und hat unter anderem ein Praktikum beim tunesischen Blog nawaat.org gemacht. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit Gewerkschaften in Marokkos...
Redigiert von Charlotte Hahn, Rebecca Spittel