05.02.2016
Sudanesische Flüchtlinge in Jordanien: Abschiebung der „vergessenen Menschen“ – Teil 1
Protestcamp sudanesischer Flüchtlinge vor dem UNHCR-Hauptgebäude in Amman. Photo: Florian Barth
Protestcamp sudanesischer Flüchtlinge vor dem UNHCR-Hauptgebäude in Amman. Photo: Florian Barth

Sudanesen sind in Jordanien Opfer von Diskriminierung durch die Gesellschaft und die staatlichen Behörden. Aus Protest haben 800 sudanesische Flüchtlinge einen Monat lang vor dem Hauptgebäude des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Amman kampiert – und wurden daraufhin in ihr Heimatland abgeschoben. Damit verstößt Jordanien gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Teil 1 einer Geschichte über Rassismus von Florian Barth.

Das erste Mal treffe ich Ali im Laden eines Schneiders in Amman Downtown. Der Schneider, ein älterer Herr, hat mich auf einen Kaffee eingeladen, Ali lässt dort seine durchlöcherte Kleidung stopfen. Er stammt, wie die meisten sudanesischen Flüchtlinge in Jordanien, aus der Region Darfur, in der laut den Vereinten Nationen seit dem Jahr 2003 mehr als 300 000 Menschen getötet wurden.

Beim Kaffee beklagt sich der jordanische Schneider bei mir, dass die „Schokolade“ immer zu ihm komme und deutet dabei abfällig in die Richtung des dunkelhäutigen Sudanesen. Ali starrt einen Moment auf den Boden, gibt mir dann seine Telefonnummer und verlässt den Laden.

Alltäglicher Rassismus

Kurze Zeit später sitze ich in einem Hinterhof auf einem abgewetzten Teppich. Sechs junge Männer aus dem Sudan und Somalia teilen sich hier zwei Zimmer, jedes acht Quadratmeter groß und nur von einem Wellblechdach bedeckt. Sie haben weder fließendes Wasser noch eine funktionierende Toilette. Nach einer anderen Wohnung haben sie gesucht, sind aber nur im als prekär geltenden Osten Ammans fündig geworden, wo sich die palästinensischen Viertel und Flüchtlingslager befinden. Ihr Alltag ist von Rassismus und Gewalt geprägt, wie sie mir erzählen. Sie werden bespuckt oder mit Müll beworfen. Im schlimmsten Fall wird auf sie uriniert. Wegen der verbalen und tätlichen Angriffe trauen sie sich kaum noch, ihre Wohnung zu verlassen.

In Jordanien werden Sudanesen nicht nur von der Gesellschaft diskriminiert, sondern auch von den Behörden. Beispielsweise haben die meisten Familien nicht genügend Geld, um ihre Kinder zur Schule zu schicken. Falls sie das Geld doch aufbringen können, weigern sich viele der Schulen, die Kinder zu registrieren. Falls es doch Schulen gibt, die sich bereit erklären, die Kinder aufzunehmen, dürfen diese ohne Aufenthaltsgenehmigung keinen Abschluss machen. Sudanesische Eltern berichten, dass ihre Kinder sich die Haut aufkratzen oder sogar versuchen, sich selbst zu verbrennen, um gegen die ständige Diskriminierung durch jordanische Mitschüler zu protestieren.

Ali versteht den alltäglichen Rassismus nicht. Er sieht Parallelen zwischen Sudanesen und Jordaniern: „Wir Sudanesen sind Muslime, sprechen Arabisch und haben ähnliche Traditionen. Die Regierung und die Bevölkerung Jordaniens sind daran gewöhnt, dass Flüchtlinge in das Land kommen. Menschen aus dem Irak, Palästina und Syrien. Doch unsere Hautfarbe wird uns hier zum Verhängnis.“

Keine Hilfe vom UNHCR

Im Dezember 2015 hat der UNHCR in Jordanien insgesamt über eine Million Flüchtlinge registriert. Davon kommen 937 000 aus Syrien und 57 000 aus dem Irak. Nichtregierungsorganisationen sprechen sogar von mehr als zwei Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen im Land. Im Schatten dieser Menschen leben die Sudanesen; sie bekommen kaum oder gar keine Hilfe des UNHCR. In den ersten vier Wochen nach ihrer Ankunft in Jordanien sie eine einmalige Starthilfe, danach sind sie auf sich allein gestellt.

Eine junge Mutter aus Darfur beschreibt den Umgang des Flüchtlingshilfswerks mit ihren Landsleuten folgendermaßen: „Der UNHCR hat uns zu Hause besucht, um unsere Situation einzuschätzen. Obwohl sie wussten, dass es unseren Ehemännern nicht möglich ist zu arbeiten, bekamen wir keine Hilfe. Die meisten unserer Männer und Kinder sind krank. Oft haben wir nicht einmal Geld, um sie in ein Krankenhaus zu bringen.“

Falls die Männer trotzt der schlechten Lebensumstände doch gesund genug sind, um arbeiten zu können, wird dies von den jordanischen Behörden verhindert. Oft werden sie illegal als Tagelöhner angeheuert. Dann arbeiten sie auf Baustellen in West-Amman und verdingen sich für vier Dinar (etwa vier Euro) am Tag. Doch meistens finden die jungen Männer wochenlang keine Arbeit.

 Florian Barth

Photo: Florian Barth

Auch Sara, Mutter von zwei Kindern, ist von der fehlenden Unterstützung durch den UNHCR enttäuscht: „Der UNHCR geht mit uns anders um, als mit den irakischen und syrischen Flüchtlingen. Wenn wir psychologische Probleme haben und um einen Termin mit einem Sozialarbeiter bitten, dann sagen sie uns immer: Geht nach Hause. Wir rufen euch an.“

Somit befinden sich die 3500 Sudanesen in einem nicht endenden Kreislauf aus Angst, Ungewissheit und Rassismus.

Hoffnung auf ein Leben in Frieden

Die meisten Sudanesen reisen nach Jordanien mit einem Visum für eine medizinische Behandlung ein. Dieses wird ihnen von Schleppern organisiert, welche die Sudanesen gegen Bezahlung in ein Land bringen, in dem sie sich als Flüchtlinge registrieren können und somit unter internationalem Recht stehen. Nachdem die Sudanesen als Flüchtlinge anerkannt sind, stehen ihnen nach eigener Aussage offiziell 75 jordanische Dinar im Monat zur Verfügung. Dieses Geld erhält aber nur ein geringer Prozentsatz der Sudanesen im Land. Laut Auskunft des UNHCR in Jordanien stehen den Sudanesen theoretisch folgende Möglichkeiten zur Verfügung: eine freiwillige Rückführung in das Heimatland, eine lokale Integration oder eine Umsiedlung in ein Drittland.

Als Ali zwei Jahre zuvor vor dem Krieg in seinem Heimatland nach Jordanien floh, hatte er die Hoffnung, in Frieden leben zu können. Jordanier selbst bezeichnen Jordanien als Hinterhof Israels und der Vereinigten Staaten. In Jordanien ist, trotz des andauernden Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien, die alltägliche Sicherheit  gegeben und auch die sudanesischen Flüchtlinge wollen von ihr profitieren.

„Wir wissen, dass die irakischen, syrischen und anderen Flüchtlinge leiden, aber wir leiden auch. Alles, worum wir bitten, ist, dass wir mit demselben Respekt und derselben Fürsorge wie alle anderen Flüchtlinge in diesem Land behandelt werden“, sagt Ali.

Da die Hilfe des UNHCR seit Jahren ausbleibt, hat die britische Organisation Humanitarian Family Aid sich dieser Gruppe von Menschen angenommen und versorgt die Sudanesen mit Gas, Essen und im Notfall auch ärztlicher Hilfe. Auf ihrer Facebook-Seite erklären sie: „Wir werden oft gefragt, warum wir uns entschieden haben, so viel Zeit zu investieren, um den somalischen und sudanesischen Flüchtlingen zu helfen, obwohl die Zahl der Iraker und Syrer im Land viel höher ist. Wir antworten darauf: weil es die vergessenen Menschen sind.“ Weiter schreibt die Organisation: „Diese Menschen haben die falsche Hautfarbe und erhalten deshalb kaum Hilfe in Jordanien.“

Artikel von Florian Barth