12.08.2018
Teil II der Alsharq-Serie: Tschüss ya biladi, hallo gorba!

Schweren Herzens verabschieden sich Ahmad und Muhammed von ihrer Heimat Ägypten – und mit viel Hoffnung beginnen sie in Berlin ein neues Leben. Dort hat sich Aisha Abdelrahman mit ihnen getroffen und über das Leben in Deutschland gesprochen, was sie sich davon erhofft haben und was ganz anders gekommen ist.

Alle Texte der Serie finden Sie hier. Ab morgen beginnt der zweite Teil: drei junge Menschen aus Ägypten erzählen vom Ankommen in Deutschland.

Deutschland hat einen guten Ruf in Ägypten: hoch entwickelt soll es sein, sauber, schön grün, wohlhabend und gerecht. Besonders gelobt wird auch die Ausbildung in Deutschland, die gut, günstig und in vielen Ländern anerkannt sei. Immer mehr Ägypter*innen schreiben daher auf Facebook und teilen Informationen: Wie kann man in Deutschland studieren und arbeiten, wie finanziert man sein Studium, wie funktioniert das Leben – auch mit Kopftuch? Auch posten immer mehr Ägypter*innen Photos von sich im Schwarzwald, an der Nordsee, vor dem Schloss Neuschwanstein oder mit einer Portion Kirschtorte. Sie erzählen, wie gut in Deutschland alles funktioniert. Es gibt Ordnung und Regeln für alles – ganz anders als in Ägypten.

In Kairo gibt es zum Beispiel die Goethe-Institute. Dort muss man Schlange stehen, um einen Platz in einem der teuren Deutsch-Kurs zu bekommen. Außerdem gibt es mittlerweile mehrere private Sprachenzentren, wo Deutsche unterrichten und Vorbereitungskurse für die erforderlichen Sprachtests für deutsche Universitäten anbieten. Inzwischen erledigen diese Institute auch die Online-Bewerbungen bei deutschen Universitäten – allerdings nur gegen eine Bearbeitungsgebühr, die manchmal bis 500 Euro reicht.

Wunsch und Realität?

Nachdem es im ersten Teil dieser Serie noch um Menschen ging, die Ägypten verlassen wollen, haben wir für den zweiten Teil mit Menschen gesprochen, die nach Deutschland gezogen sind. Wie ergeht es ihnen? Wie weit entsprechen die Hoffnungen und schönen Photos ihrer Realität in Deutschland?

Los geht es mit Muhammed Ibrahim. Er ist 27 Jahre alt. Als Produktionsingenieur hat er in Ägypten zwar ganz gut verdient, aber ohne „Kontakte“ keine beruflichen Perspektiven gesehen. Auch in der ägyptischen Gesellschaft, die er als „scheinheiligen und betrügerisch“ empfindet, hat er sich immer unwohler gefühlt. Mit einem Visum für ein Masterstudium kam er Anfang 2017 nach Berlin. Dort hat er zwar weder viele Freunde noch eine eigene Wohnung. Auch teilte die Universität ihm inzwischen mit, dass sein Sprachkurs abgesagt worden ist. Obwohl seine Sprachkenntnisse nicht ausreichen, um seine Anliegen selbständig zu erledigen, fühlt sich Muhammed jedoch nicht fremd in Deutschland und denkt nicht an Ägypten.

Das zweite Gespräch haben wir mit Ahmad Mustafa geführt. Der 21-jährige junge Mann brach im Winter 2014 sein Studium der Ingenieurwissenschaft in Kairo ab. Ein Jahr später zog er mit geringen Deutschkenntnissen nach Berlin, um hier zu studieren. Ahmad dachte, sein Leben in Deutschland würde schnell in gesicherten Bahnen verlaufen. Doch auch nach acht Monaten weiß er noch immer nicht, wie es weitergehen wird. Er wiederholt derzeit seinen Sprachtest, um einen Platz in einem Vorbereitungskurs für das Studium in Karlsruhe zu erhalten. Ahmad vermisst seine Familie inzwischen sehr und denkt oft über seine Heimat nach.

Zuletzt berichtet Aisha Abdelrahman, die Autorin dieser Serie, über sich selbst. Sie ist 25 Jahre alt und wohnt seit einigen Jahren in Berlin. Aus einer traditionellen, streng religiösen Familie ist sie im Frühling 2015 abgehauen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In Berlin fühlt sie sich inzwischen sicher und frei. Über Ägypten denkt sie meist negativ; doch mittlerweile verspürt sie auch immer wieder Heimweh. Sie erzählt uns, wie sie dazu kam, diese Serie zu schreiben und welche Erfahrungen sie mit Ibrahim, Muhammad und den vielen anderen Ägypter*innen teilt, die jenseits von Ägypten eine Perspektive für ihr Leben suchen.

INFO: Die Gesamtbevölkerung in Ägypten wächst jedes Jahr; im November 2017 sind es 96 Millionen (laut Central Agency for Public Mobilization and Statistics). Rund 28 Millionen davon sind zwischen 18 und 35 Jahren alt. Nabila Makram, die Ministerin für Migrationen, sagte in einem Interview, dass mittlerweile zwischen 8 und 12 Millionen Ägypter*innen im Ausland leben. Die Zahl der Ägypter*innen in Deutschland steigt seit 2013 rasant (laut des Statistischen Bundesamtes). Im August 2017 wurde in Berlin zuletzt ein Abkommen über einen „bilateralen Dialog zur Migration“ zwischen Ägypten und Deutschland unterzeichnet, um „die Ursachen der Migration nach Europa durch wirtschaftliche Zusammenarbeit anzugehen“. Dafür soll in die berufliche Bildung junger Menschen in Ägypten investiert und zusätzliche Stipendien für junge Ägypter*innen in Deutschland bereitgestellt werden.
Artikel von Aisha Abdelrahman
Redigiert von Johannes Gunesch, Jan-Holger Hennies