01.02.2013
Zivilehe im Libanon: Bis dass die Religion Euch scheidet
Die maronitische Kirche "Notre Dame de Harissa" (links) neben der griechisch-katholischen "St. Paul"-Kathedrale. Bild: Straub
Die maronitische Kirche "Notre Dame de Harissa" (links) neben der griechisch-katholischen "St. Paul"-Kathedrale. Bild: Straub

Um im Libanon zu heiraten, braucht man eine Moschee, Kirche oder Synagoge. Im Standesamt ist eine Eheschließung nicht möglich. Doch seit Mitte Januar ein Paar bekanntgab, zivil geheiratet zu haben, ist Bewegung in die Diskussion gekommen. Und der Präsident twittert gegen seinen Premierminister an.

Rund 14 Stunden liegen zwischen dem Abflug als Junggesellin und Junggeselle und der Rückkehr als Ehefrau und Ehemann. Ein Paar, das mit OrientPlus  bucht, fliegt morgens um halb neun von Beirut ins zyprische Larnaca. Dort holt ein Mitarbeiter der Firma die beiden ab und fährt sie direkt ins Rathaus, wo die beiden – vom Reisebüro gestellten – Trauzeugen schon warten und wo sie zu Mann und Frau erklärt werden. Um 11:10 Uhr dann die Weiterfahrt nach Nicosia, um die Ehe legalisieren zu lassen, sowohl vom zyprischen Außenministerium als auch von der libanesischen Botschaft. Um 13 Uhr geht‘s ins Hotel, das den Frischvermählten bis 19:30 Uhr zur Verfügung steht, dann Auschecken, Abfahrt zum Flughafen, um Viertel vor elf Landung in Beirut. So einfach geht das, alles für 1450 Euro pro Paar. Wer es luxuriöser mag, bucht mit Nadiatravel, dort kann man sogar eine ganze Nacht und nicht nur den Nachmittag im zyprischen Fünf-Sterne-Hotel verbringen, und Blumen für die Braut sind auch noch im Preis inbegriffen, der dann allerdings stolze 1900 Euro beträgt. Die Billig-Variante bietet beispielsweise die Anastasiagroup  mit unter 1000 Euro pro Paar, man sollte jedoch die zusätzlichen Gebühren, etwa für die Kopie der Hochzeitsurkunde, nicht außer Acht lassen.

Im Libanon gibt es eine beachtliche Zahl von Reiseanbietern, die sich auf zivile Ehen spezialisiert haben Sie organisieren vor allem Kurztrips ins nahegelegene Zypern. Damit füllen sie eine große Marktlücke: Denn bisher kann man im Libanon nur religiös heiraten. Der Staat erkennt zwar Ehen an, die in ausländischen Standesämtern geschlossen werden – im Land selbst sind sie jedoch nicht möglich. Religiöse Hochzeiten jedoch sind in der Regel nur innerhalb der eigenen Konfession erlaubt, so würde zum Beispiel kein libanesischer Imam einen Schiiten mit einer armenischen Christin trauen, und ein libanesischer Pfarrer vermutlich ebenso wenig.

Die Autorität der Kirchen gerät ins Rutschen

In einem kleinen Land, in dem offiziell 18 verschiedene religiöse Gemeinschaften leben, schränkt diese Regelung die Auswahl an potenziellen EhepartnerInnen natürlich enorm ein. Eine Änderung schien lange nicht in Sicht, da die mächtigen Kirchen den Status Quo unbedingt erhalten wollen – sie leben ja schließlich von den ritualisierten und sozialen Dienstleistungen wie Taufe, Eheschließung oder Begräbnis. Abgesehen davon haben sie durch ihre Ausnahmestellung in der Gesellschaft auch politisch großen Einfluss, wie etwa jüngst die Einmischung des maronitischen Patriarchen Beshara al-Rai in die Debatte um das libanesische Wahlgesetz  zeigte. Setzt sich die Ansicht durch, dass in gesellschaftlichen Bereichen wie zum Beispiel der Eheschließung die Kirchen nichts zu sagen haben, untergräbt dies deren Autorität.

Dabei ist diese längst ins Rutschen geraten, seit Mitte Januar Kholoud Sukkariyah and Nidal Darwish bekannt gaben, zivil geheiratet zu haben – im Libanon. Sie stützen sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1936, also noch aus der französischen Mandatszeit, das zivile Ehen erlaubt, wenn beide Eheleute keiner Konfession angehören. Schon 2008 hatten die beiden ihre sunnitische bzw. schiitische Zugehörigkeit aus dem Familienregister streichen lassen. Der Fall liegt mittlerweile bei Innenminister Marwan Charbel, der nun entscheiden muss, ob die Ehe rechtens ist.

Und Präsident Michel Sleiman forderte ihn auf, die Angelegenheit schnell zu prüfen. Das Staatsoberhaupt hat das Thema entdeckt, um sich zu profilieren – und tut dies auch allgemein kund, auf Twitter. Am vergangenen Sonntag war dieser Post von ihm zu lesen:

Twitter-Nachricht von Michel Sleiman: "Es gibt Instanzen, die sich der zivilen Ehe widersetzen, aber das ändert nicht meine Überzeugungen und hält mich nicht davon ab, den Zug auf das richtige Gleis zu setzen."

 

Und um ganz sicher zu gehen, dass es auch alle verstehen, schrieb er elf Minuten später das gleiche auf Englisch:

Sleiman_Twitter

Nun bekamen es die religiösen Führer mit der Angst, und am folgenden Tag erließ der Großmufti des Libanon, Scheich Mohammad Rashid Qabbani, eine Fatwa zum Thema. Darin erklärte er „alle Muslime mit legislativer oder exekutiver Gewalt im Libanon“, welche „die Bakterie der Zivilehe“ befürworteten, zu Abtrünnigen, die sich außerhalb des Islam bewegten. Weiter drohte er, sie würden nach ihrem Tod nicht gewaschen, nicht ins Leichentuch gewickelt, niemand würde für ihre Seele gemäß den islamischen Gesetzen beten, und sie würden später auch nicht auf einem muslimischen Friedhof beerdigt.

Ein solchermaßen gewarnter Muslim mit exekutiver Gewalt und legislativen Kompetenzen ist zum Beispiel Premierminister Najib Mikati, der sich prompt ebenfalls auf Twitter äußerte:

Mikati_Twitter (4) Twitter-Nachricht von Najib Mikati: "Ich bin der Meinung, dass das Thema der zivilen Ehe nicht von oben herab behandelt werden kann."

 

denn:

Mikati_Twitter (3) Twitter-Nachricht von Najib Mikati: "Es liegt an allen nationalen Teilhabern, zu einem Konsens zu kommen."

 

Insgesamt sind die Sunniten gerade vor allem dabei, ihrem Großmufti weder zu widersprechen noch ihm zuzustimmen. Die größte sunnitische Partei Future Movement erklärt: „Es wäre besser, das Thema heute nicht anzusprechen. Jeder Muslim hat das Recht, an seiner Überzeugung festzuhalten, der Future Block ist eine zivile Partei.“ Damit gemeint ist: Gar nichts. Die schiitische Hizbollah ihrerseits ist gegen die zivile Ehe, nicht zuletzt, weil sich auch ihr Vorsitzender Hassan Nasrallah mit Hilfe der Religion Autorität und Legitimität verschafft hat. Diese würde durch eine Änderung des Gesetzes zumindest ein Stück weit untergraben.

Die Bevölkerung beginnt, sich zu organisieren

Aber die von Mikati angesprochenen Teilhaber der Nation sind eifrig dabei, sich zu organisieren: Auf Twitter gehen unter dem Hashtag #civilmarriageleb  minütlich neue Kommentare zum Thema ein, immer wieder auch von Präsident Sleiman; eine vor kurzem gegründete Facebook-Gruppe, in der zivil verheiratete Paare ihre Hochzeitsbilder posten, hat schon über 23.000 Mitglieder, zu einer Demonstration am kommenden Montag in Beirut sind bereits mehr als 1000 Teilnehmer angemeldet – was deutlich mehr wäre, als was die kleine, aber aktive Säkularisierungsbewegung sonst normalerweise auf die Straße bringt – und eine vor einer Woche gestartete Online-Petition wurde schon 2600 Mal unterzeichnet.

Der Stein ist im Rollen, und Najib Mikati versucht mit aller Kraft, ihn aufzuhalten. Es sei gerade nicht die richtige Zeit für ein kontroverses Thema mit solcher Spaltkraft, erklärte er. Die leidige Diskussion über das neue Wahlgesetz ist bereits in vollem Gange und wenn sich die Parteien nicht bald einigen, müssen womöglich die kommenden Parlamentswahlen verschoben werden. Aber beide Themen hängen natürlich zusammen:

Es geht um die Macht der Religion im Libanon, um ein Ende des Konfessionalismus, letztendlich geht es darum, aus einer Ansammlung von Minderheiten siebzig Jahre nach der Unabhängigkeit endlich eine Nation zu formen. Und es ist ja keine gesellschaftliche Spaltung, wenn zwei Menschen von unterschiedlicher Konfession gemeinsam den Bund fürs Leben schließen, im Gegenteil. Man stelle sich einen Libanon vor, in dem die meisten Kinder eine sunnitische und eine maronitische Großmutter und einen schiitischen und einen armenischen Großvater haben – wie könnte dieses Kind jemals wieder einen Hass auf Angehörige anderer Konfessionen entwickeln? Und dies ist das eigentliche Schreckensbild der Gegner der Zivilehe, denn nur in einem gespaltenen Land hört noch jemand auf sie. In einem geeinten Land können sie ihre Autorität, die auf Abgrenzung und Betonung der eigenen Überlegenheit beruht, nicht aufrecht erhalten.

Im Libanon läuft gerade ein Prozess ab, an dessen Ende die Religionsführer einiges zu verlieren haben – wahrscheinlich noch mehr als die Reiseveranstalter.

Sein Journalistik-Studium führte Bodo vor einigen Jahren in den Libanon. Es folgten viele weitere Aufenthalte im Libanon und in anderen Ländern der Levante, auch als Reiseleiter für Alsharq REISE. Bodo hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens in Marburg und arbeitet heute als Journalist, meist für die Badischen...