06.06.2025
Gazas Schätze – beschädigt, zerstört und gerettet
Poster der Ausstellung: Gazas gerettete Schätze - 5000 Jahre Geschichte im Institut du monde arabe in Paris. Foto: Claire DT/IMA
Poster der Ausstellung: Gazas gerettete Schätze - 5000 Jahre Geschichte im Institut du monde arabe in Paris. Foto: Claire DT/IMA

Laut UNESCO sind 102 historische Stätten im Gaza-Streifen seit Anfang des Krieges von Israel beschädigt oder zerstört worden. In Paris zeigt das Institut du monde arabe eine Ausstellung zu geretteten Schätzen. dis:orient war vor Ort.

In der Ausstellung Trésors sauvés de Gaza - 5000 ans d’Histoire (dt.: Gerettete Schätze aus Gaza - 5000 Jahre Geschichte) sind bis zum 2. November 2025 verschiedene Artefakte aus Gaza zu sehen. Artefakte, die die letzten fünftausend Jahre Geschichte des Gaza-Streifens erzählen. Artefakte, die vor den Kriegen und Unruhen der letzten 30 Jahre gerettet wurden. Artefakte, die nie zurück in ihre Heimat kehren konnten. Artefakte, die Zuflucht im Genfer Museum für Kunst und Geschichte gefunden haben und nach fast 20 Jahren endlich wieder ausgestellt werden.

Artefakte im Krieg

Viele dieser Kulturgüter wurden bei französisch-palästinensischen Ausgrabungen ab 1995 gefunden, andere haben Palästinenser:innen in ihren Gärten zufällig entdeckt. Jawdat Khoudary ist einer von ihnen. Über die Jahre hat er viele Schätze angesammelt und sie in seinem Haus und Garten ausgestellt. 2008 hat er sogar ein eigenes Museum im Norden von Gaza-Stadt eröffnet. Heute bleibe nichts davon, erzählte er Le Temps im Februar 2024. Alles sei von Bomben zerstört oder von Soldat:innen geplündert worden. 

Obwohl Israel 1957 die Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (dt.: Konvention für den Schutz von kulturellem Eigentum im Falle eines bewaffneten Konflikts) ratifizierte, sprechen viele von einer gezielten Zerstörung des kulturellen Erbes in Gaza – ein Vorgehen, das unter dem Rom-Statut als Kriegsverbrechen gilt. Umso mehr bemühen sich internationale NGOs und die lokale Bevölkerung, das palästinensische historische und kulturelle Erbe zu retten. 2017 stellte Première Urgence Internationale (dt.: Erste Hilfe International) das Programm „Intiqal” auf: Palästinenser:innen bekamen die Möglichkeit, sich in diesem Bereich weiterzubilden und den Schutz des Kulturerbes mitzugestalten. 2020 begann die Schweizer Stiftung ALIPH (dt.: Internationale Allianz für den Schutz von Kulturerbe) mit palästinensischen Aktivist:innen im Gaza-Streifen Projekte durchzuführen, die sich in Kriegszeiten für den Erhalt und die Bewahrung von Museumssammlungen einsetzen. 

Artefakte als Zeitzeugen

Die in Paris ausgestellten Relikte und Artefakte ermöglichen eine Reise durch einige Epochen der langen Geschichte des Gaza-Streifens. Eine Reise, die von verschiedensten Kulturen und Zivilisationen zeugt, die dort einst beheimatet waren:

Aus der frühen kanaanäischen Ära Gazas wird eine Bronze-Schüssel ausgestellt. Kanaan ist der Name für eine Region, die weit über die heutigen Grenzen Israel/Palästinas, des Libanon und dem Süden von Syrien hinausreicht. Nachdem Kanaan 350 Jahre unter ägyptischer Herrschaft stand, ließ sich um 1200 vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) das Seevolk der Philister:innen dort nieder und gab dem Gebiet seinen heutigen Namen „Palästina“. Das Gebiet des Gaza-Streifens war in dieser Zeit von verschiedenen Großmächten, wie dem assyrischen, dem persischen und dem babylonischen beherrscht. Aus dieser Zeit, die bis ins 4. Jahrhundert hinein andauerte, sind zwischen zahlreichen Amphoren, eine kleine Statue aus Terrakotta sowie der Kopf einer Frau aus Kalk zu sehen.

Nach der Eroberung Alexander des Großen im Jahr 332 v. u. Z., blieb der Gaza-Streifen drei Jahrhunderte unter kulturellem Einfluss des Hellenismus. Daran erinnert eine aus Marmor angefertigte Statue der Aphrodite. Nach einer kurzen Phase der Revolte und Eroberung des Gebiets durch die jüdischen Hasmonäer, wird das Gebiet im Jahr 63 unserer Zeitrechnung Teil des Römischen Reichs. An die fast 700 Jahre unter römischen und byzantinischen Einfluss erinnern in Paris noch ein gigantisches Mosaik aus Dschabaliya im Norden des Gaza-Streifens sowie 30 Öllampen aus Terrakotta. Aus der früheren römischen Zeit sind kleine Lampen mit Gladiatoren-Motiv und ein Fläschchen in Form eines Kamels zu sehen, die aus Keramik angefertigt worden sind. 

Byzantinisches Mosaik aus Dschabaliya im Norden des Gaza-Streifens. Foto: Claire DT/IMA

Byzantinisches Mosaik aus Dschabaliya im Norden des Gaza-Streifens. Foto: Claire DT/IMA

Grabsteine mit arabischer Schrift aus dem 13. Jahrhundert zeugen von der muslimischen Periode, die von 637 bis 1917 dauerte. Nach der erfolgreichen Belagerung der Stadt Gaza im Jahr 634 eroberten die militärisch überlegenen muslimischen Armeen schließlich den ganzen Gaza-Streifen und weiteten in den folgenden Jahren ihre Herrschaft über große Teile der Regionen Westasiens und Nordafrikas aus. Die christliche Mehrheit und eine jüdische Minderheit Gazas lebten nun unter muslimischer Herrschaft. Diese wurde nur kurzzeitig durch Eroberungen im Rahmen der christlichen Kreuzzüge zwischen 1149 und 1187 unterbrochen. Der Krieg zwischen den Kreuzrittern und den Ayyubiden unter der Führung Saladins, führte 1187 zum Ende der christlichen Herrschaft in Gaza. Nachdem 70 Jahre später, im Jahr 1260, die Mamluken, von Ägypten kommend, Gaza eroberten, wurde Gaza 1516 Teil des Osmanischen Reichs. Langsam verliert Gaza seinen Status als jahrtausendlange wichtige Handelsstadt zwischen Asien, Afrika und Europa. Die Handelsrouten führten über die Meere, nicht mehr über Landwege.

Artefakte im Museum

Die Ausstellung in Paris erstreckt sich über zwei Räume. Im oberen Raum, dem kleineren der beiden, werden alte schwarz-weiß Fotos aus dem Gaza-Streifen gezeigt. Zu sehen sind Moscheen, Kirchen und andere wichtige Bauten aus dem letzten Jahrtausend. Viele, wenn nicht die meisten von ihnen, gibt es heute nicht mehr. Sie wurden Opfer von Gewalt; denn der Krieg, den Israel im Gaza-Streifen führt, richtet sich nicht nur allein gegen die über zwei Millionen Einwohner:innen, deren Leben von Bomben, Hunger und Tod bestimmt wird. Er richtet sich auch gegen die Infrastruktur: Schulen und Krankenhäuser sind nicht mehr funktionsfähig. Er richtet sich auch gegen Wohnhäuser: fast 70 Prozent der Gebäude liegen in Trümmern. Und er richtet sich gegen historische und archäologische Stätte: die Große al-Omari Moschee, den alten Hafen der ehemals hellenistischen Küstenstadt Anthedon, die byzantinische Kirche in Dschabaliya, Tell al-Sakan, die einstige ägyptische Hauptstadt der Region, sowie 98 weitere historische und archäologische Orte. 

Mehr zu diesen historischen Stätten erfahren Besucher:innen im unteren Saal. Dort sind alle Artefakte ausgestellt, mittig platziert auf bewegbaren Plateaus unter Plexiglas. An den Wänden werden verschiedene Perioden der Geschichte des Gaza-Streifens und die bedeutendsten historischen Stätten beschrieben. Daneben befindet sich eine Karte des ganzen Streifens, auf der beschädigte und zerstörte historische Stätten markiert sind. Anhand von Satellitenbildern, Listen historischer Stätte von der UNESCO und weiteren internationalen Organisationen, sowie des palästinensischen Ministeriums für Tourismus und Antiquitäten erstellt, konnten französische, schweizerische und palästinensische Wissenschaftler:innen ein Bestandsverzeichnis der zerstörten erstellen.

Karte kennzeichnet die geschädigten und zerstörten historische und archälogische Stätte im Gaza-Streifen. Foto: Claire DT/IMA

Karte kennzeichnet die geschädigten und zerstörten historische und archälogische Stätte im Gaza-Streifen. Foto: Claire DT/IMA

Inmitten der Artefakte befinden sich auch Tische, auf denen kurze, informative Texte zu einigen zerstörten Orten und Gebäuden aufgestellt sind. Zu den Beschreibungen gibt es große, farbige before and after-Fotos – vor dem 7. Oktober 2023 und danach. Hier lernen Besucher:innen für immer verlorene Schätze kennen. Es ist einem zum Weinen zumute. Die Atmosphäre ist drückend. In die Ausstellung zu gehen, lohnt sich trotzdem.

 

 

Claire studierte in Berlin, Paris, Montréal und Tel Aviv Sozialwissenschaften mit einem Schwerpunkt in Rechtswissenschaften. Sie recherchierte und arbeitete viel zu Grundrechten in Demokratien und dem israelisch-palästinensischen Konflikt. 
Redigiert von Filiz Yildirim, Sören Lembke, Jessica Schuhmann
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