20.11.2022
Fußball in WANA: Mehr als nur Sport
Fan-Szenen in WANA, Nachhaltigkeit und Machtspiele unter Nachbarn – das sind nur einige Themen des Dossiers zur Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar 2022. Grafik: Eva Hochreuther
Fan-Szenen in WANA, Nachhaltigkeit und Machtspiele unter Nachbarn – das sind nur einige Themen des Dossiers zur Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar 2022. Grafik: Eva Hochreuther

Fußball ist schon längst mehr als nur Sport. Das verdeutlicht die aktuelle Debatte um die FIFA-WM der Männer in Katar. Dieses Dossier beleuchtet kritisch verschiedene Facetten des Turniers.

Dies ist das Editorial unseres Fußball-Dossiers anlässlich der Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar. Im Dossier blicken wir auf die politischen und gesellschaftlichen Berührungspunkte zwischen WANA und dem Ballsport. Alle Artikel des Dossiers sind hier zu lesen.

Fußball verbindet – das trifft nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Themen zu. So ist auch in unserem Dossier der schwarz-weiße Ball das Bindeglied. Aber Fußball ist natürlich mehr als Freizeitvergnügen. Mittlerweile ist der Sport ein lukrativer Wirtschaftszweig, Machtmedium im positiven wie negativen Sinn, aber auch Leidenschaft und Sehnsuchtsort von vielen Menschen weltweit.

Starke Fußballcommunity in WANA

In WANA (Westasien und Nordafrika) hat sich seit der Kolonialzeit eine eigene und lebhafte Fußballszene entwickelt. Dort fiebern bei Spielen von heimischen und ausländischen Vereinen regelmäßig mehrere Millionen mit. Beispielsweise mischen sich Ultra-Gruppen von Vereinen in Ägypten oder Algerien ins Geschehen ein – auch jenseits des Stadions. Bei vielen Protestbewegungen der letzten Jahre waren und sind sie fester bis antreibender Bestandteil. Ist es daher an der Zeit, dass eine FIFA-Weltmeisterschaft endlich in einem Land der Region stattfindet?

Die diesjährige WM der Männer in Katar erregt derzeit Gemüter und politische Debatten in Deutschland, Europa und der Welt. Beinahe seit Bekanntgabe des Austragungsortes in Doha im Jahr 2010, gab es Kritik: fehlende Fanszene, falsches Klima, ausbeuterische Arbeitsbedingungen für Migrant:innen und Diskriminierung von Minderheiten. Inwieweit die Vorwürfe berechtigt oder getrieben sind von Eurozentrismus, Orientalismus, moralischer Doppelzüngigkeit oder ökonomischen Machtinteressen, streifen wir in diesem Dossier nur am Rande. Wir konzentrieren uns stattdessen auf Aspekte, die in der medialen Berichterstattung zu Katar in Deutschland eher selten vorkommen.

Kritik, Eindrücke und Bücherempfehlungen

Den Auftakt für unser Dossier macht Marlon Saadi. Er erklärt die Beweggründe Katars, sich überhaupt auf die Austragung des Turniers zu bewerben und welche Rolle die Rivalität zwischen Katar und dem Königreich Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten spielte.

In ihrem Artikel „Stadtentwicklung in Katar a la FIFA“ hinterfragt Bruna Rohling, inwieweit die Nachhaltigkeitsstrategie Katars und der FIFA wirklich Mensch und Klima nützt und schützt. Ihr Beitrag präsentiert neue Ideen zur Frage: Wie recycelt man eigentlich eine Weltmeisterschaft?

Im Beitrag „Kommerz, Menschenrechte und Fußball“ drehen wir die Perspektive um und befragen drei Fans des ägyptischen Fußballvereins Al-Ahly, wie sie für sich das Fan-Sein gestalten und was ihre Gedanken zur WM in Katar sind. Ihre Stimmen bleiben die einzigen Meinungsbilder aus der Region. Sie stellen lediglich einen Ausschnitt und kein Gesamtbild der Ansichten und Debatten vor Ort dar.

Anregungen, wie die Ansichten eingeordnet werden können, bieten die aktuellen wissenschaftlichen Debatten zu Fußball in WANA. Es finden sich in diesem Dossier daher eine Lang- und zwei Kurzrezensionen zu journalistischen und wissenschaftlichen Publikationen.

In „Geld, Macht und Rebellion“ behandelt Charlotte Wiemann den im Sommer erschienen Sammelband „Das rebellische Spiel. Die Macht des Fußballs im Nahen Osten und die WM in Katar“ von René Wildangel und Jan Busse. Den Autor:innen des Bandes, so ihr Fazit, gelingt es, anschaulich und leicht verständlich aufzuzeigen, wie eng Fußball und Politik zusammenhängen.

Um die Verquickungen und Verstrickungen zwischen Fußball und Politik geht es auch in der Buchkritik von Bodo Weissenborn zu Ronny Blaschkes „Machtspieler. Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution“. Vier Kontinente, mehrere Epochen und eine Vielzahl an Themen streift der Sportjournalist Blaschke und zeigt dabei, so Weissenborn, wie der Sport jenseits des Fußballplatzes instrumentalisiert, korrumpiert aber auch mobilisiert.

Ein ähnliches Lesevergnügen bereitet der Sammelband „Football in the Middle East. State, Society and the beautiful Game“ von Abdullah al-Arian, findet Eva Hochreuther. Mehrere Länder, Epochen und Disziplinen untersuchen die Autor:innen durch die Fußball-Linse und eröffnen so einen Zugang zur Region für Laien wie für Kenner:innen.

In diesem Dossier ist Fußball Klammer und Kontext, in dem die Beiträge sich bewegen und zueinanderstehen. Dabei behandeln wir lediglich einen Bruchteil der möglichen Themen, hoffen dennoch unserem Ziel gerecht zu werden, uns bestehenden Debatten aus einer neuen Perspektive zu nähern und so ein wenig Mehr- und Neuwert zu generieren für alte WANA-Hasen und für Frischlinge.

In diesem Sinne wünschen wir viel Spaß beim Lesen der kommenden Beiträge.

 

 

 

Eva Hochreuther studierte Nah- und Mitteloststudien in Mabrug und Migrationswissenschaften in Schweden. Während ihrer Studienjahre verbrachte sie einge Zeit in Kairo, Amman und Beirut.
Redigiert von Henriette Raddatz, Jennifer Kleemann