19.05.2014
Braucht Israel besondere „Erklärungspolitik“? Ein Interview mit Davidi Hermelin
Werbung, die unter die Haut geht. Dieser Mann wirbt sogar in seinem Nacken für Israel. Foto: Tobias Pietsch (C)
Werbung, die unter die Haut geht. Dieser Mann wirbt sogar in seinem Nacken für Israel. Foto: Tobias Pietsch (C)

Wie kaum ein anderes Land investiert Israel in staatliche Öffentlichkeitsarbeit, um ein positives Selbstbild im Ausland zu fördern. Hasbara, wörtlich „Erklärung“, ist der hebräische Begriff für diese Informationspolitik. Über Sinn und Inhalt des Konzepts spricht Davidi Hermelin, Leiter des Zentrums für Public Diplomacy und Hasbara.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Journalismus-Serie. Alle Texte finden Sie hier.
Seit den 1970er-Jahren hat der hebräische Begriff Hasbara seinen Weg in internationale politische Magazine gefunden. Im politischen Kontext ist hiermit eine Form staatlicher Öffentlichkeitsarbeit gemeint, die darauf abzielt, einerseits die israelische Regierungspolitik einer ausländischen Öffentlichkeit zu erklären und andererseits ein positives Bild Israels im Ausland zu fördern. Von seinen Kritikern als zionistische Staatspropaganda“ verunglimpft, verweisen seine Verfechter auf die historisch bedingte Notwendigkeit, Israels Wahrnehmung im Ausland besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zu den Aktivitäten zählen staatlich geförderte Journalisten-Reisen nach Israel und vom Außenministerium gesponserte Publikationen zum Nahostkonflikt, die kostenfrei im Ausland verbreitet werden.

Alsharq: 2009 schuf die Regierung eigens ein Hasbara-Ministerium, darüber hinaus gibt es verschiedene Hasbara-Nichtregierungsorganisationen und Think Tanks. Aus Notwendigkeit?

Davidi Hermelin: Leider gibt es das Ministerium nicht mehr, vergangenes Jahr wurde das Portfolio direkt dem Premierminister unterstellt und verlor an Relevanz. Dies macht mich traurig, denn wir brauchen ein solches Ministerium. Jeder, der das Holocaust-Museum in Yad Vashem besucht hat, versteht, dass die Shoa nicht mit Auschwitz begann: Sie begann mit der Dämonisierung der Juden als „hässliche Wesen“ und wurde fortgesetzt mit der Delegitimierung und der Aberkennung von Rechten. Erst danach kam die physische Vernichtung.

Seit langem haben Teile der politischen Klasse Europas – speziell unter den „roten“ und „grünen“ Strömungen – die eindeutige Linie zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und Aufwiegelung überschritten. Auf dem internationalen Parkett hat das wilde Aufhetzen gegen den israelischen Staat die Ebene der Dämonisierung bereits hinter sich gelassen und die Ebene der Delegitimierung erreicht. Der spezifische und diskriminierende Umgang mit dem Nationalstaat des jüdischen Volks ist ein Ausdruck des neuen Antisemitismus.

Dies ist eine gefährliche Entwicklung: Die Delegitimierung Israels führt dazu, dass selbst diejenigen, welche die Lügen in Bezug auf Israel glauben, aber die physische Zerstörung Israels nicht notwendigerweise unterstützen, gleichgültig gegenüber unserem Recht werden, in Sicherheit zu leben.

Das iranische militärische Atomprogramm als Bedrohung unserer Existenz ist ein gutes Beispiel: Wenn in der demokratischen Welt die öffentliche Meinung anti-israelisch ist oder sich auch nur apathisch in Bezug auf die Möglichkeit eines nuklearen Holocausts verhält, werden selbst uns wohl gesonnene Regierungen dieser Angelegenheit keine Priorität beimessen und das einzige Land, das von der Vernichtung durch das iranische Ayatollah-Regime bedroht ist, nicht schützen. Dementsprechend geschehen israelische Hasbara-Aktivitäten, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit aus Notwendigkeit.

Sie leiten das Zentrum für Public Diplomacy und Hasbara. Was macht ein solches Zentrum konkret?

Erstens bieten wir Trainings für Israelis in den Bereichen Public Diplomacy und Hasbara an. Dazu kommt unser Aushängeschild „Missions to Israel“, ein Programm für internationale Besucher. Wir begleiten Delegationen durch Israel und auch in die Gebiete der Palästinensischen Autonomiebehörde. Unsere Touren geben den Teilnehmenden die Möglichkeit, sowohl ganz Israel als auch Judäa und Samaria – auch bekannt als das Westjordanland – zu entdecken und Israelis wie Palästinenser für Diskussionen zu treffen. Viele israelische politische Führungsfiguren, Vertreter der Armee und den Universitäten sowie palästinensische Vertreter der Zivilgesellschaft werden als Experten hinzugezogen.

Ich ermutige unsere Gäste, palästinensische Aktivisten zu treffen, obwohl ich mit ihnen große Meinungsverschiedenheiten habe. Mein Ziel ist es, dass die Gäste verschiedene Perspektiven und Meinungen hören, sodass sie nicht mit dem Gefühl nach Hause gehen, einseitig manipuliert worden zu sein.

Als Vorsitzender der Jugendorganisation der Likud-Partei, Regierungspartei des Premierministers Netanjahu, habe ich viele Palästinenser getroffen, die zu den größten Kritikern Israels gehören. Unsere Gäste sollen genau mit diesen Aktivisten sprechen, um die Komplexität der Situation zu verstehen, anstatt in die Lügenfalle von Teilen der westlichen Medien zu fallen.

Gehören auch ausländische Journalisten, die den Nahostkonflikt beleuchten, zur Zielgruppe des Besucherprogramms?

Unter anderem. Die Teilnahme an unseren Aktivitäten ist zudem Politikern, Young Leaders, Studierenden und Aktivisten möglich.

Was entgegnen sie Kritikern, die behaupten, dass Hasbara israelischer Regierungspropaganda gleichkommt?

Solche Behauptungen klingen für mich wie das Schreien der vermeintlichen Opfer, die tatsächlich die Täter sind. Angesichts Jahren unwahrer Propaganda gegen uns müssen wir Israelis unsere Positionen mit klarer, lauter und unmissverständlicher Stimme vortragen. Sonst werden wir die europäische öffentliche Meinung nicht von der Rechtmäßigkeit unserer Politik überzeugen können.

Die von mir sehr respektierte arabische Nation hat 22 Staaten. Der einzige Staat der jüdischen Nation kann nicht zulassen, dass andere unsere Identität verleugnen oder die Geschichte der Region verfälschen. Israels Staatsbürger und ihre Regierung müssen sich ihren rechtmäßigen Platz unter den Nationen zurückerobern und die laut internationalem Recht jüdische, exklusive, rechtmäßige Souveränität über unser Land verteidigen. Nur wenn dies allseits akzeptiert ist, werden wir über einen Verzicht unserer Rechte und die optionale Opferung einiger unserer Territorien nachdenken. Das tun wir, um unserem demografisch und sicherheitspolitisch bedingten Bestreben, den Konflikt zu beenden, Nachdruck zu verleihen. Es ist wichtig die verlogenen Behauptungen der Feinde des Friedens zu entlarven. Solch ein Bestreben muss eine langfristig angelegte Kampagne zur Re-Legitimierung Israels beinhalten. Das ist unsere Verantwortung als Bürger Israels und die Verantwortung unserer Regierung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...