09.07.2021
Der Beginn einer neuen Ära
Ganz ohne Kandidatur: Insbesondere Ayatollah Khamenei geht als Sieger aus den iranischen Präsidentschaftswahlen hervor. Illustration: Kat Dems
Ganz ohne Kandidatur: Insbesondere Ayatollah Khamenei geht als Sieger aus den iranischen Präsidentschaftswahlen hervor. Illustration: Kat Dems

Nach der Präsidentschaftswahl sind Irans moderate Kräfte endgültig entmachtet. Dass konservative Hardliner nun alle Machtzentren des Staates beherrschen, lässt Ayatollah Khameneis Träume Wirklichkeit werden, kommentiert Omid Rezaee.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne Des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Der vor wenigen Wochen frisch gewählte Präsident der Islamischen Republik Iran Ebrahim Raisi übernimmt in einem Monat offiziell die Regierungsgeschäfte. Der erzkonservative oberste Richter gilt als einer der loyalsten Unterstützer des Obersten Führers Ayatollah Khamenei. Mit seiner Amtsübernahme verabschiedet sich eine Fraktion der Islamischen Republik von der Macht: Die sogenannten Moderaten, die im Parlament bereits seit einem Jahr keine Mehrheit mehr haben, werden nun auch die Regierungsgeschäfte an ihre Gegner übergeben.

So komme „Gott sei Dank“ endlich ein Präsident an die Macht, der „auf den Obersten Führer hört, ihn versteht und seine Gedanken realisiert“, sagte Gholam Ali Haddad Adel, Khameneis Berater und ehemaliger Parlamentspräsident wenige Wochen nach der Wahl. Bei den letzten vier Regierungen, die jeweils acht Jahre an der Macht waren, habe Khameneis Vertrauter dieses Gefühl nicht gehabt. Haddad Adel ist nicht der Einzige, der sich auf die „Homogenität“ innerhalb des Regimes freut. Auch der Parlamentsabgeordnete und unterlegene Präsidentschaftskandidat Amir Hossein Ghazizadeh Haschemi, forderte in einem Interview, dass die politischen Grabenkämpfe nun mindestens zehn Jahre ruhen sollten, um das Land wieder auf die Beine zu bringen.

Ein Ende der Streitereien

Trotz des autokratischen Wesens der Islamischen Republik hatte es in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder Streitigkeiten zwischen den gewählten Präsidenten und ihren Regierungen auf der einen und dem Obersten Führer, der Revolutionsgarde und anderen nicht gewählten Institutionen auf der anderen Seite gegeben. Mal ging es um Wirtschaftspolitik, mal um politische Entwicklungen, mal um die Pressefreiheit.

Der umstrittene Ex-Präsident Mahmoud Ahmadinejad, der das Amt zwischen 2005 und 2013 innehatte, hatte eigentlich verfassungswidrige Anweisungen von Khamenei teilweise nicht befolgt. Das führte zu Konflikten, etwa darüber, wer die Vizepräsidentschaft, den Geheimdienst und das Außenministerium führen sollte. Auch die Entscheidungen von Ahmadinejads Nachfolger Hassan Rohani schienen dem Obersten Führer ein Dorn im Auge zu sein: Mehrfach hat sich Ayatollah Khamenei öffentlich gegen den noch amtierenden Präsidenten Rohani positioniert, zum Beispiel wenn es um die Beziehungen zu Europa und den USA ging.

Auch im Parlament sind die Reformer:innen bis zur letzten Legislaturperiode stets stark vertreten gewesen, entweder in der Mehrheit oder zumindest mit einer bedeutenden Minderheit. In dieser Zeit sind die Abgeordneten des Reform-Lagers häufig zu verschiedenen Gesetzentwürfen mit dem von Khamenei ernannten Wächterrat, der die parlamentarischen Beschlüsse bestätigen muss, in Streit getreten.

Es ist kein Geheimnis, dass sich das gegenwärtige Parlament, welches nun seit den Wahlen 2020 von Konservativen dominiert wird, hingegen an den Empfehlungen und Anweisungen des Obersten Führers orientiert. So folgte das Parlament im März dieses Jahres beispielsweise dessen Empfehlungen, indem es ein Gesetz zur Steigerung der Geburtenrate verabschiedete. Im Dezember erließ das Parlament mit den Stimmen konservativer Abgeordneter ein Gesetz, um den Zugang von Inspektor:innen der Internationalen Atomenergie-Organisation zu iranischen Atomeinrichtungen einzuschränken. Auch wenn sich die, zu diesem Zeitpunkt noch amtierende moderate Regierung gegen das Gesetz aussprach, genossen die Abgeordneten die öffentliche Unterstützung von Khamenei.

Die Reform ist tot

So sind die 13. Präsidentschaftswahlen nicht nur wegen der geringsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik beispiellos. Mit diesen Wahlen tritt schließlich ein, was sich schon lange abzeichnet: Lange Zeit sahen moderate Kräfte die Teilhabe an der politischen Macht als Möglichkeit, Reformen durchzusetzen. Diese Hoffnung ist nun endgültig vorbei, wie Said Hajjarian, einer der wichtigsten Theoretiker der Reform-Bewegung kurz nach den Wahlen auf Twitter schrieb: „Die Reform, die auf die Wahlurnen angewiesen ist, ist tot.“

Bis zu diesen Wahlen, oder im Grunde nur noch bis zu den Parlamentswahlen im Februar 2020, wurden die Reformer:innen einigermaßen in politischen Machtpositionen toleriert. Doch anscheinend will der harte Kern des Regimes nun einen anderen Weg gehen. Ayatollah Khamenei und die Revolutionsgarde haben mit diesen arrangierten Wahlen, in denen der Wächterrat alle reformorientierten Kandidaten mit realistischer Gewinnchance ohne Begründung disqualifiziert hatte, einen entscheidenden Schritt gewagt, um die Zukunft des Regimes zu bestimmen. Wie diese Zukunft aussehen könnte, deutet der konservative Abgeordnete Ghazizadeh Haschemi an: Die nächsten Jahre solle das Land nur von einer einzigen Fraktion geführt werden, erst danach könnten die demokratischen Institutionen wieder aktiv werden.

Den letzten Rest „Demokratie“ beseitigen

Anders gesagt: In der neuen Ära des Islamischen Regimes sollen die halbwegs „demokratischen“ Aspekte offenbar noch weiter eingeschränkt werden. Das lässt sich auch in der Siegesrede von Ali Nikzad, dem Vizepräsident des Parlaments und Direktor der Wahlkampagne von Raisi, feststellen: Raisis Regierung werde die Voraussetzungen für einen „Islamischen Staat“ schaffen, sagte Nikzad in einer Zeremonie in seiner Heimatstadt Ardabil– und vermied dabei ganz bewusst den Begriff der „Republik“.

Mit Raisis Präsidentschaft wird die Welt ein neues Gesicht des Teheraner Regimes erleben – das unverblümte Gesicht. Die Islamische „Republik“ wird sich nicht länger die Mühe machen, sich nach außen als einen demokratischen Staat zu verkaufen. Schon am 4. Juni dieses Jahres hat Khamenei in einer Rede angedeutet, es sei möglich, dass Wahlen in Zukunft keinen Sinn mehr ergeben und andere Wege entstehen würden, über die sich die Bevölkerung politisch einbringen könne.

Ayatollah Khamenei, der das Land seit 32 Jahren führt, scheint seinen Traum damit endlich erreicht zu haben: Alle Einzelteile des Systems hören auf ihn und bemühen sich, seine Agenda zu verfolgen. Quasi ungestört kann er nun darauf hinarbeiten, seine Atom-Ambition zu realisieren, in der Region noch breiter geopolitisch mitzumischen, die Meinungs- und Internetfreiheit weiter einzuschränken und die wirtschaftliche Tätigkeit der Revolutionsgarde auszuweiten. Als allerletztes könnte der mittlerweile 82-jährige Khamenei sogar in aller Ruhe seine eigene Nachfolge regeln, und damit die Zukunft des Landes auch nach seiner Zeit weiter prägen – und das Land damit auf die Zeit nach ihm selbst vorbereiten.

Mehr Arbeiten der Illustratorin Kat Dems finden sich auf ihrem Instagram-Account oder auf ihrer Webseite.

 

 

Omid Rezaee ist ein iranischer Journalist. 2012 verließ er seine Heimat, nachdem er aufgrund seiner journalistischen und politischen Tätigkeiten einige Monate im Gefängnis verbracht hatte. Bis Ende 2014 berichtete er aus dem Irak vor allem über den Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat. 2015 kam er nach Deutschland und schreibt seitdem...
Redigiert von Maximilian Ellebrecht, Johanna Luther