07.09.2018
Die Undankbaren! Wenn Migrant*innen über Rassismus reden

„Du hast dich sehr verändert. Entweder hat Berlin dich verdorben oder unser universitäres Bildungssystem, das leider tief von Selbsthass geprägt ist, ist an deiner Verdorbenheit Schuld.“

Dieser Text ist Teil der Alsharq-Kolumne „Des:orientierungen“Alle Texte der Kolumne finden Sie hier.

Das schrieb mir ein Bekannter aus meiner Münchener Zeit in einer privaten Nachricht auf Facebook und zwar kurz bevor er mich geblockt hat. Ein öffentlicher Post von mir[1] war der Anlass für seinen Ärger und der Beleg für meine „Verdorbenheit.“ Ich schilderte darin eine Konfrontation mit einer Frau in der Berliner S-Bahn. Böse starrte sie mich sehr lange an, ohne ein Wort zu sagen, wahrscheinlich damit ich ihr einen Platz freimache. Als ich sie dann endlich bemerkte, lächelte ich sie an, fragte sie höflich, ob sie denn auch Deutsch spreche. Das war ihr zu viel. Auf den verachtenden, starrenden Blick folgten Beschimpfungen und dann kam das übliche „Geh nach Hause“.

Mein Münchener Bekannter war weder der Einzige, der sich von meinem Post gekränkt fühlte, noch war es das erste Mal, dass ich gekränkte Reaktionen erhalte, sobald ich oder andere Personen of Color[2] sich über Rassismus beschweren. Mein Bekannter – genauso wie viele, die sich darüber ärgern – wählt nicht die AfD. Er gibt sich als weltoffen und betont immer wieder, er habe „ja nichts gegen Migranten, Aber...“– ein „Aber“ muss diesem Satz immer folgen – und fragt dann weiter: ... Warum beklagen sich Migranten ständig wegen Äußerungen oder Verhalten von „Einzelnen“? Warum reagieren sie so „überempfindlich“ und stellen sich als Opfer dar, als ginge es ihnen in ihren Herkunftsländern besser? Sollen Migranten doch nicht lieber dem Land dankbar sein, das sie aufnimmt? In dem sie arbeiten und studieren dürfen?

Ein ehemaliger Studienkollege machte mich darauf aufmerksam, dass ich doch sogar promoviere und das noch mit einer Förderung aus staatlichen Mitteln. Grund genug, so meinte er, dass ich Rassismus aus „sozioökonomischen“ Gründen mit Verständnis begegnen solle, anstatt mich über die Deutschen zu beschweren. Das Problem ist aber, dass, selbst wenn ich anstatt zu promovieren Döner verkaufen würde, meine Beschwerden niemals ernst genommen werden würden. In diesem Fall würde man sich eher Gedanken machen, was wohl an meiner Integration schiefgelaufen sei.

Weitere Gründe, warum ich mich über Deutschland nicht beschweren sollte, führte eine andere verärgerte Bekannte aus. Erstens seien Rassisten in diesem Lande nur „ein paar Idioten, wie überall auf der Welt.“ Zweitens sei es unfair, dass ich in Deutschland „Vorteile und Freiheiten“ genieße, die ich in meiner Heimat Ägypten nicht hatte und trotzdem „das Nest beschmutze“, in dem ich es mir „bequem gemacht habe“. Zum Schluss erinnerte sie mich daran, dass sie schon einmal als „deutsche Schlampe“ beschimpft wurde. Wahrscheinlich von einem Mann „meinesgleichen“, einem Migranten oder einer Person of Color.

Wahrscheinlich möchte sie mir damit sagen, dass ich lieber daran denken sollte, dass sie wohl einmal von einem Migranten wie mir als Schlampe beschimpft wurde, wenn eine Frau mich in der S-Bahn abfällig anblickt oder sich rassistisch äußert. Das gleicht sich quasi aus. Rassismus ist also nachvollziehbar. Soll man sich darüber also nicht ärgern dürfen? Gefälligst den Mund halten?

Es ist nicht so, dass Migrant*innen in Deutschland mundtot gemacht werden. Im Gegenteil, man möchte sie gerne hören, man möchte sie unaufhörlich reden lassen, aber nur, wenn sie bestimmte Dinge erzählen. Mit dem Reden können Migrant*innen in Deutschland eine Karriere machen, mit dem richtigen Reden qualifiziert man sich als „guter Migrant.“

Der gute Migrant kann gerne über seine Kultur reden. Er kann diese verachten, bloßstellen, aber auch einfach nur erklären und auseinandernehmen, so dass man „andere Kulturen“ kennenlernen kann und sich dabei gleichzeitig, explizit oder insgeheim, über die eigene Überlegenheit freut.

Der gute Migrant kann sich immerwährend über die Despoten der Heimat beklagen. Aber anders als die so naiven Linken, wird er seine Kritik an deutsche Waffenexporten und Flüchtlingsdeals mit eben diesen Despoten nur ganz leise anklingen lassen oder lieber verschweigen.

Ein guter Migrant macht keine Selfies mit Despoten. Er kann aber zustimmen, wenn deutsche Staatspolitiker diese als „beeindruckend“ bezeichnen und Diktaturen für „Schlüssel zur Stabilität“ halten.

Ein guter Migrant sollte ständig Bekenntnisse abgeben. Er muss andauernd beweisen, dass er kein Sexist, kein Antisemit, nicht homofeindlich und vor allem kein Terrorist ist. Um das zu beweisen, kann er sich zum Beispiel öffentlich als Ex-Muslim bekennen, per T-Shirt auf dem CSD verkünden „Allah ist schwul“, obwohl er selbst nicht schwul ist, und dabei sein Leben wegen Morddrohungen aufs Spiel setzen.

Das Ganze mag sich trotzdem lohnen. Die ersehnte mediale und politische Anerkennung für den Migranten wird in Deutschland groß sein. Einerseits weil ein weiterer Grund geliefert wird, „die gefährlichen Muslime“ zu hassen. Und andererseits, weil man sich dadurch nicht nur überlegen vorkommt, sondern auch als Beschützer.

Der gute Migrant kann aber auch seinen Glauben behalten, er muss ihn dann jedoch rechtfertigen und sich konstant von den unverschämten Taten „seiner Glaubensbrüder“ distanzieren. Hat er studiert und gelang es ihm, das sogenannte Expertenwissen zu erwerben, dann sollte er kriminelle Handlungen von Migranten „gründlich“ nachzeichnen: „Welche Bedeutung haben Messer für muslimische Männer?“ fragt der Moderator den Experten und guten Migrant Ahmad Mansour beim Frühstücksfernsehen zum Thema Chemnitz. Im Gegensatz zur Erklärung von Verbrechen „echter“ Deutscher scheinen sozioökonomische Aspekte übrigens bei solchen Fragen keine Rolle zu spielen.

Warnt der Migrant vor fortschreitender Islamisierung, wird man sich ihm achtungsvoll zuwenden. Er ist ja „einer von denen“, er weiß es bestimmt besser. Spricht er jedoch von einzelnen Tätern und „Idioten wie überall auf der Welt“ ist er Relativierer. Behauptete er, man müsse das Muslimsein von heute, das Arabersein, das Nichtwestlichsein überhaupt im Zusammenhang mit der Geschichte und den kolonialen Verflechtungen verstehen, ist er ein Verharmloser, der sich gerne als Opfer versteht. Beschwert er sich zudem noch über Rassismus, dann hört der gute Migrant auf gut zu sein, dann ist er eben verdorben - ein Nestbeschmutzer.

Hätte ich nicht lieber doch den Mund halten sollen, um „gut“ und „unverdorben“ zu bleiben? Hätte ich die Frau nicht lieber schweigend sitzen lassen oder zumindest ihr „Geh nach Hause“ einfach ohne weiteres schlucken sollen?  Vor kurzem schrieb die in Berlin lebende ägyptische Politikwissenschaftlerin Dina Wahba in Madamasr etwas, das mich tief berührt hat: „Manchmal schreit mich jemand auf der Straße an: „Geh nach Hause“ und er denkt dabei, er habe mich so beleidigt. Aber damit kann ich doch nicht gemeint sein. Ich will eigentlich so sehr nach Hause [...] zu einer Heimat, die frei von Angst ist und in der ich mich frei entfalte.“

Es geht mir sehr ähnlich. Ich könnte das „Geh nach Hause“ tatsächlich überhören. Das Problem ist nur, dass ich so - wie zu Hause auch - weiterhin unfrei bleiben werde. Ich kann mich niemals frei fühlen, es mir „bequem machen“ wie meine Bekannte gemeint hat, wenn ich alles überhöre, wenn ich – um mir überhaupt die Freiheit zu verdienen – immer wieder meine Dankbarkeit laut hinausposaunen soll. Ich kann nicht frei sein, wenn ich abermals erinnert werden muss, dass ich ein Araber oder Muslim bin, aber gleichzeitig dieses Arabersein denunzieren oder zumindest rechtfertigen muss, um überhaupt mitreden zu dürfen. Ich kann nicht frei sein, wenn ich Blicke der Verachtung, des Misstrauens, ja sogar Rassisten entschuldigen muss, weil sie „besorgte Bürger“ sein mögen. Ich kann nicht gut sein, wenn ich schließlich nur gut sein kann, trotz meines Araberseins.

Wie der „bon negro“ in Frantz Fanons Schwarze Haut, Weiße Masken (1952) bleibt der gute Migrant unfrei. Man wird ihn „in einen bestimmten Bild fixieren, fangen, einsperren, zu einem ewigen Gefangenen eines Wesens, einer Erscheinungsform machen, für die er nichts kann.“[3] Verlässt der bon negro seinen zugewiesenen Platz, rebelliert er gegen das Unrecht, bekommt er folgendes zu hören: „Wir haben dich als ebenbürtig erzogen und jetzt wendest du dich gegen uns, deine Wohltäter! Du Undankbarer!“ [4]

Ich habe nichts gegen gute Migrant*innen. Ohne, dass ein „Aber“ diesen Satz folgen muss. Ich kann sie alle gut verstehen. Wie kann man sie auch nicht verstehen, wenn einige die Heimat verlassen mussten, bloß um zu leben. Ich wollte letztendlich auch einer sein. Ein guter Migrant. Nun bin ich müde geworden. Nicht das Gutsein an sich macht mich müde, sondern immer wieder euer Guter sein zu müssen. Der Gute, dessen Gutsein nur so weit reichen darf bis zum Horizont, den seine Wohltäter, die „wirklichen Zugehörigen“, erlauben und bestimmen. Der Gute, der sogar vor Rassisten den Blick senken muss, um gut zu bleiben.

Dankbar bin ich tatsächlich auch. Dankbar bin ich für sehr viele Menschen, die mir in diesem Land das Gefühl geben, dass ich hier hingehören kann. Dankbar für diejenigen, die es verstehen können, dass ich weiterhin über Rassismus reden muss.

 

[1]Der Post wurde entfernt, um die Anonymität der Beteiligten zu bewahren.

[2] Person of Color: „PoC ist eine selbst gewählte Bezeichnung von verschiedensten Menschen, die sich als nicht-weiß definieren,“ Zitat: Missy Magazine. Mehr dazu findet ihr hier:https://missy-magazine.de/blog/2017/04/03/hae-was-heisst-denn-people-of-color/

[3]Fanon, Frantz: Peau noire, masques blancs (Schwarze Haut, Weiße Masken), Éditions du Seuil, 1952, S. 32.

[4]Ebd.

Iskandar Abdalla, geboren in Alexandria, Ägypten, studierte Geschichte und Nahoststudien an der Ludwig-Maximilian-Universität München und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zurzeit promoviert er an der „Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies“. In seiner Forschung beschäftigte er sich mit dem Islam in Europa, aber...
Redigiert von Alicia Kleer, Julia Nowecki