14.07.2016
Hassan Nasrallah über Hisbollah und Iran: Teure Worte
Hat da mal was ausgeplaudert: Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, hier auf einem Poster im libanesischen Baalbek. Photo: David Holt/Flickr (https://flic.kr/p/75q3go, CC BY 2.0)
Hat da mal was ausgeplaudert: Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, hier auf einem Poster im libanesischen Baalbek. Photo: David Holt/Flickr (https://flic.kr/p/75q3go, CC BY 2.0)

Weltweit wurden Bankkonten der Hisbollah geschlossen. Um Kämpfer und Parteibasis zu beruhigen, macht Hassan Nasrallah ein Geständnis, das nicht nur Iran eine Menge Geld kosten, sondern sogar die Früchte des heute vor einem Jahr geschlossenen Atomdeals in Gefahr bringen könnte. Von Ali Sadrzadeh

Wie lautet der teuerste Satz der jüngsten Geschichte? Was sich wie eine Quizfrage anhört, beschäftigt dieser Tage viele iranische Juristen. Für sie ist dies keine Denkaufgabe, sondern eine sehr ernste Angelegenheit: das Bemühen, zu begreifen, was demnächst wahrscheinlich auf ihr Land zukommt. Deutsche Leser würden sich bei dieser Frage wohl sofort an die Deutsche Bank und Leo Kirch erinnern, an jenen verhängnisvollen Satz von Rolf Breuer, Sprecher der Deutschen Bank, über den inzwischen verstorbenen Medienmogul Leo Kirch und dessen Kreditwürdigkeit im Februar 2002. Nach einer jahrelangen Prozessschlacht zahlte die Bank wegen eines einzigen Satzes den Kirch-Erben schließlich 928 Millionen Euro. Peanuts, verglichen mit dem, was voraussichtlich auf die Islamische Republik zukommt – um mal im Jargon der Deutschen Bank zu bleiben.

Warten auf die Worte des Herrn

"Alles erhalten wir aus Iran" – Hassan Nasrallah, Generalsekretär der libanesischen Hisbollah („Partei Gottes“), hat den verhängnisvollen Satz gesprochen, am 24. Juni im Hisbollah-eigenen Fernsehsender Al Manar. An diesem Abend lauschten nach dem Fastenbrechen nicht nur Anhänger und Parteifunktionäre, sondern auch Gegner und Journalisten dem mächtigen Milizenführer. Besonders aufmerksam, denn diese Ansprache war als sehr wichtig angekündigt worden, tagelang hatten libanesische Medien und sogar iranische Webseiten auf sie hingewiesen.

Nasrallah, der sich seit Jahren nur aus einem Versteck meldet, wollte an diesem Abend seinen Anhängern ebenso wie der gesamten arabischen Öffentlichkeit erklären, wie er den hermetischen Sanktionen begegnen will, an denen sich inzwischen sogar die libanesischen Banken beteiligen. Die Finanzquellen der Partei Gottes sollen in einer weltweit koordinierten Aktion geschlossen werden. Deshalb hatte alles, was Nasrallah sagte, direkt oder indirekt mit dem Schicksal der ganzen Region zu tun: Seine Organisation bestimmt derzeit die Zukunft des Kriegs in Syrien ebenso mit wie die des Libanon.

Mehr noch: Am Ende seiner Rede dämmerte iranischen Zuhörern, dass Hassan Nasrallah auch die Zukunft Irans entscheidend mitbestimmt. Verkehrte Verhältnisse, der Schwanz wedelt mit dem Hund.

Die Geburt des Kindes

Die Hisbollah ist das Kind der islamischen Revolution. Selbst ihr Name stammt aus Iran. „Hezb faghat Hisbollah“ – „Es gibt keine Partei als die Partei Gottes“: Dieser Schlachtruf erwies sich während der Islamischen Revolution 1979 als sehr erfolgreich, mit ihm hat man fast alle Gegner Khomeinis niedergebrüllt. 1982 im Libanon, mitten im Bürgerkrieg (1975 bis 1990) und kurz nach dem Einmarsch der Israelis, wurde der Slogan zur Kriegsparole. Dafür sorgte zunächst eine Fatwa von Ayatollah Khomeini, in der er alle Moslems der Welt zum Kampf gegen Israel aufrief. In dieser Fatwa taucht das Wort Hisbollah auf. Und es wurde auch zur offiziellen Bezeichnung einer Einheit von 1.500 iranischen Revolutionsgardisten, die in einer Kaserne im libanesischen Baalbek stationiert war.

Die iranischen Revolutionäre waren mit ihren Erfahrungen auch fern der Heimat erfolgreich. Unter den libanesischen Glaubensbrüdern schmiedeten sie eine schlagkräftige Miliz namens Hisbollah, die schließlich die jüngste Geschichte der Region entscheidend mitprägen sollte. So wurde Iran direkt und indirekt ein Teil des libanesischen Bürgerkrieges.

Heute sind Iran und Hisbollah gemeinsam in einen regional entgrenzten Bürgerkrieg involviert. Wie Vater und Kind sehen sie sich einer sunnitischen Welt gegenüber, die zunehmend feindlicher wird. Iran und Hisbollah haben sich zu einer Art Schicksalsgemeinschaft entwickelt, unzertrennlich und voneinander abhängig. Hier ein undurchschaubarer Staat, dort eine mächtige Miliz, die auch eine anerkannte soziale Bewegung darstellt. Für viele Staaten dieser Welt, die arabischen eingeschlossen, gilt die Hisbollah aber als terroristische Organisation.

Die arabische Front gegen Hisbollah

Als im vergangenen März auch die Arabische Liga die Hisbollah zur Terrororganisation erklärte, gab es keine Gegenstimme. Nur Irak und Libanon enthielten sich. Nun sieht sich der Libanon gezwungen zu handeln. Eine Woche vor Nasrallahs Ansprache hatten mehrere libanesische Banken Hisbollah-Konten gesperrt. Der Gouverneur der Beiruter Zentralbank, Riad Salameh, begründete diesen Schritt ganz rational: „Unsere Priorität ist es, den Libanon auf dem internationalen Finanzmarkt zu halten. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, das US-Gesetz im Libanon umzusetzen. Wir haben die erforderlichen Strukturen eingeführt, um die Ziele des Gesetzes zu erfüllen und gleichzeitig die Rechte der Schiiten zu wahren, wenn sie mit Banken verhandeln.“ Der Libanon will nunmal das Finanzzentrum der Region bleiben und muss deshalb den Aufforderungen der USA nachkommen und die Finanzierung der Hisbollah stoppen.

Parteigänger werden nervös

Von den Kontensperrungen ist nicht nur die Kriegskasse betroffen. Es droht das Ende der Partei Gottes als soziale Bewegung: Schon einen Tag nach dieser Ankündigung schrieb die Hisbollah-nahe libanesische Zeitung Al-Akhbar, die Umsetzung des US-Gesetzes greife nicht nur den Geldfluss an. Durch die Schließung der Konten seien viele soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser bedroht. Dies könne zu Entlassungen von tausenden Beschäftigten führen. Und nicht alle Mitarbeiter dieser Einrichtungen seien Unterstützer der Hisbollah.

Annähernd hundert Einrichtungen der Hisbollah im Libanon sind von der Sanktion betroffen. Was will, was kann der mächtige Chef Nasrallah in dieser Situation tun? Deshalb waren alle, Anhänger wie Gegner, gespannt, was er an jenem Abend des 24. Juni zu sagen hatte.

Die Rede war wie immer propagandistisch. Doch als Nasrallah die zehntausenden Libanesen beruhigen wollte, die finanziell von der Hisbollah abhängig sind, fielen jene verhängnisvollen und sehr teuren Worte, die Iran lange verfolgen werden: „Hinsichtlich des Budgets der Hisbollah halten wir nichts geheim. Unsere Einnahmen, unsere Ausgaben, alles, was gegessen und getrunken wird, die Raketen und andere Fernwaffen – alles erhalten wir aus Iran … Die neue Runde von US-Sanktionen wird keinen Einfluss auf die Organisation haben, denn die Hisbollah deckt ihre finanziellen Bedürfnisse nicht über libanesische Banken, sondern erhält die Mittel direkt aus Iran.“

Milliarden-Geschenk für US-Anwälte

Was der Hisbollah-Chef da so freimütig und unverblümt gestand, war stets ein offenes Geheimnis. Doch nun sind diese Sätze ein unwiderlegbarer Beweis, justiziabel und präsentabel vor jedem Gericht. Auch vor US-amerikanischen. Deshalb sind sie ein unschätzbares Milliardengeschenk, eine Goldgrube für jene US-Anwälte, die sich auf Entschädigungsprozesse spezialisiert haben.

Denn die Hisbollah wird beschuldigt, seit dreißig Jahren weltweit dutzende blutige Anschläge gegen amerikanische und israelische Einrichtungen verübt zu haben. Und da Mord nicht verjährt, sind immer noch dutzende Schadensersatzverfahren vor US-Gerichten gegen die Hisbollah anhängig. Die Anwälte beschuldigen in ihren Klageschriften die iranische Regierung als Mittäterin. Denn zahlen kann und muss der iranische Staat und nicht eine Organisation, die als terroristisch gilt. Doch es war nicht immer leicht, Irans Mittäterschaft zu beweisen.

Welchen Wert Nasrallahs Erklärung hat, kann folgender Fall verdeutlichen: Vor drei Jahren verurteilte ein US-Bundesrichter in einem Zivilverfahren Iran als mitschuldig an dem Bombenanschlag, der 1983 in Beirut 241 US-Marines und Dutzende französische Soldaten tötete. Richter Royce C. Lamberth befand, der Anschlag sei von der Terrororganisation Hisbollah mit Billigung und Unterstützung hoher iranischer Beamter verübt worden.

Thomas Fay, der Anwalt der 153 Kläger – Hinterbliebene der Opfer – sagte damals, nun wäre der Weg frei für die Festsetzung individueller Schadensersatzzahlungen. Diese würden nach Fays Schätzung insgesamt 2,3 Milliarden US-Dollar erreichen. Und vor drei Monaten hat der Anwalt erreicht, dass eingefrorene iranische Konten im Gesamtwert von zwei Milliarden US-Dollar für die Begleichung der zugesprochenen Entschädigungen freigegeben werden. Iran hat zwar eine Verwicklung in den Anschlag immer bestritten, Richter Lamberth ließ sich aber von den Zeugen der Kläger, unter anderem von einem ehemaligen Hisbollah-Mitglied, das unter dem Pseudonym Mahmoud auftrat, überzeugen.

Bestätigung durch die Revolutionsgarden

Nun sind die Zeiten solcher anonymen Überläufer vorbei. Nicht nur der Hisbollah-Chef hat offen gestanden, woher seine Gelder und Waffen kommen. Auch die Revolutionsgarden im Iran haben dies umgehend und offiziell bestätigt.

Unmittelbar nach dem Auftritt Nasrallahs fragten sich oppositionelle Iraner ebenso wie auch Webseiten, die der Regierung um Präsident Hassan Rouhani nahe stehen, warum dieses öffentliches Geständnis gerade jetzt erfolgte und mit welchen Konsequenzen das Land rechnen müsse. Doch Hassan Nasrallah als Person oder die Hisbollah als Organisation zu kritisieren ist in Iran nicht möglich. Die Hisbollah gehört zur Staatsräson der Islamischen Republik.

Zwei Tage nach dem folgenreichen Auftritt trat in Teheran dann General Ramazan Sharif vor die Presse. Alles, was Nasrallah gesagt habe, sei unbestreitbar richtig und seit langem bekannt, sagte der: „Nun wissen die Zionisten und die reaktionären arabischen Regimes, woran sie sind“, so der Leiter der Kommunikationsabteilung der Revolutionsgarden.

Absichtlich in eine neue Krise?

„Warum tun sie das? Wissen sie nicht, was sie sagen, oder steht eine Absicht dahinter?“, fragt sich Hossein Alizadeh, der Ex-Diplomat, der nun an der Universität Tampere in Helsinki lehrt. Um die Dimensionen dieser Äußerungen zu verdeutlichen, fallen dem Kenner der iranischen Außenpolitik zwei markante Perioden in der Geschichte der Islamischen Republik ein: der achtjährige Krieg mit dem Irak und das Atomprogramm. Auch diese Episoden wurden fortwährend mit unbedachten und prahlerischen Äußerungen zunehmend kompliziert. Beide zogen sich lange hin und kosteten das Land schließlich Hunderte von Milliarden. Nasrallahs Rede und deren Bestätigung durch die iranischen Garden würden das Land viel, sehr viel kosten und lang nachwirken. Es geht nicht allein um dutzende Schadensersatzklagen und private Forderungen vor Gerichten. Es geht auch um neue Sanktionen wegen der Unterstützung des Terrorismus, die nun offen liegt. Die Zurückhaltung der Banken, mit Iran Geschäfte zu treiben, wird zunehmen. „Vielleicht wollen sie die Geschichte zurückdrehen, vielleicht wollen sie die Früchte des heute vor einem Jahr vereinbarten Atomdeals zunichte machen, vielleicht wollen sie nur Rouhani schaden. Aber damit sie ziehen ganz Iran in den Abgrund“, fürchtet Alizadeh.

Dieser Text erschien zuerst auf der Alsharq-Partnerseite IranJournal.

 

 

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Artikel von Ali Sadrzadeh