16.06.2017
Hausangestellte im Libanon: "Die Zeit des Schweigens ist vorbei"
Protestzug der Hausangestellten am 1. Mai in Beirut. Foto: Anti-Racism Movement
Protestzug der Hausangestellten am 1. Mai in Beirut. Foto: Anti-Racism Movement

Schätzungsweise 250.000 afrikanische und asiatische Hausangestellte leben und arbeiten im Libanon. Sie haben kaum Rechte und sind den Familien, in denen sie arbeiten, teilweise völlig ausgeliefert. Aber mit kreativen Aktionen leisten Aktivist*innen online wie offline Widerstand – auch heute, am International Domestic Workers' Day.

Im ersten Stock eines unscheinbar wirkenden Hauses öffnet Ursula* die Tür und bittet darum, einzutreten. Hier, in einer der ruhigeren Straßen des sonst so belebten Beiruter Stadtteils Ashrafieh, finden die Mitglieder des Migrant Community Centers Zuflucht und Gemeinschaft, fernab ihres sonst oft tristen und einsamen Arbeitsalltages in der libanesischen Hauptstadt. 250.000 vornehmlich weibliche Hausangestellte leben derzeit Schätzungen zufolge im Libanon. Die meisten von ihnen stammen entweder aus afrikanischen Staaten, wie Äthiopien und Madagaskar, oder haben ihre Familien in asiatischen Ländern wie Nepal, Sri Lanka oder den Philippinen zurückgelassen.

So auch Ursula. Seit über 20 Jahren lebt sie nun schon im Libanon und engagiert sich seit der Gründung des Centers 2011 für die Hausangestellten. Die Gruppe bietet nicht nur Sprachkurse in Englisch, Französisch und Arabisch an, sondern auch Computer-Schulungen oder Yoga-Seminare. Vor allem aber dient das Beiruter Center sowie seine beiden Ableger im nördlichen Jounieh und im südlichen Saida des kleinen Mittelmeer-Staates zur Vernetzung der Hausangestellten, die hier nicht nur neue Freundschaften schließen, sondern die nächsten gemeinsamen Schritte im Arbeitskampf planen können.

Ein globales System der Ausbeutung

Der gemeinsame Gegner verbirgt sich dabei hinter dem arabischen Begriff Kafala, was so viel wie Bürgschaft heißt. Im Rahmen dieses Bürgschaftssystems werden ausländische Arbeitskräfte mit Hilfe von Agenturen im Libanon und in den Herkunftsländern selbst angeworben. Nicht immer kamen die Arbeitskräfte aus Asien oder Afrika. Bis zum Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges (1975-1990) stellten Syrerinnen und Libanesinnen aus ländlichen Regionen die Mehrzahl der Hausangestellten dar. Durch die neuen Migrant*innen sollten nach dem Ende des Krieges alte Konfliktlinien umgangen werden.

Anhand der heutigen Anwerbungskette wird die Verflechtung der globalen Ökonomie besonders deutlich. Die Kosten für die Vermittlung und Reise der künftigen Angestellten tragen die Kafeelun, die Bürg*innen und späteren Arbeitgeber*innen. Circa 4.500 US-Dollar für Filipinas bezahlen sie während dieses Prozesses, nur etwa 1.300 US-Dollar hingegen für Frauen aus Bangladesch und Äthiopien. So erklärt es der Betreiber einer libanesischen Agentur in der 2016 erschienenen Dokumentation Makhdoumin von Regisseur Maher Abi Samra.

Sobald die Hausangestellten libanesischen Boden betreten, übernehmen die Bürg*innen die legale Verantwortung für ihre Angestellten. Diese leben zum überwiegenden Teil unter einem Dach mit ihren Arbeitgeber*innen und verrichten so genannte Care-Tätigkeiten: Haushalt, Altenbetreuung, Kindererziehung. Dafür erhalten sie einen Lohn von 150-250 US-Dollar im Monat. Sollten die Arbeitgeber*innen das Arbeitsverhältnis auflösen, droht den Migrant*innen die Illegalität und Abschiebung.

Das dadurch entstehende Abhängigkeitsverhältnis kritisieren internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch seit Jahren. Nicht selten werden Reisepässe bei der Ankunft konfisziert, wird der Kontakt zur Familie daheim unterbunden, werden Gehälter nicht pünktlich bezahlt und freie Tage gestrichen. Auch sexueller Missbrauch, psychische und physische Gewalt sind in dieser Situation keine Seltenheit, berichtet die feministische Nichtregierungsorganisation KAFA. Aufgrund der vielen Menschenrechtsverletzungen haben einige Staaten wie Madagaskar oder Äthiopien ihren Angehörigen die Ausreise in den Libanon untersagt. Im letzteren Fall wird diese Regelung umgangen, indem die zukünftigen Hausangestellten zunächst in den Sudan ausreisen.

 Die libanesische Regierung leitet indes nur halbherzige Schritte ein, um die arbeits- und menschenrechtliche Situation der Hausangestellten zu verbessern und hält bislang am Kafala-System fest. Artikel 7 des libanesischen Arbeitsrechts schließt Hausangestellte systematisch von Arbeitsrechten aus. Bestehende Nachbesserungen, etwa standardisierte Arbeitsverträge, die die Rechte und Pflichten von Hausangestellten klar regeln sollen, werden in der Praxis nicht genügend durchgesetzt. Die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Verabschiedung den International Domestic Workers' Day 2011 begründet und Staaten daran erinnern soll, die Rechte von Hausangestellten zu wahren, wurde von der libanesischen Regierung zunächst unterschrieben, jedoch nicht ratifiziert. Das Kafala-System findet nicht nur im Libanon, sondern auch in Ländern wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten Anwendung. Anders als in den Golfstaaten formiert sich im Libanon jedoch seit einigen Jahren der Widerstand.

Allianzen werden geschmiedet

Den initiieren nicht nur die Hausangestellten selbst, sondern auch ein Netzwerk aus internationalen Organisationen und lokalen zivilgesellschaftlichen Unterstützer*innen. Das libanesische Anti-Racism Movement nimmt dabei eine zentrale Rolle ein: „2011 haben wir uns gegründet und wurden 2012 offiziell registriert. Seit Beginn haben wir uns für die Rechte von Hausangestellten eingesetzt“, erklärt die Aktivistin Farah. Das Anti-Racism Movement koordiniert auch momentan die Arbeit des Migrant Community Centers und sammelt beispielsweise per Crowdfunding Spenden für deren Erhalt.

Im Beiruter Center läuft anlässlich des International Domestic Workers' Day der Kurzfilm Precarious Migrant Mothers der indisch-australischen Akademikerin Bina Fernandez. Der Fokus liegt hierbei auf äthiopischen Frauen und ihren im Libanon geboren Kindern, die laut Farah seit zwei Jahren vermehrt abgeschoben werden. Ihre Schicksale sind Teilaspekte des großen Ganzen.

Verglichen mit ihrer Anfangszeit im Libanon findet die eingangs erwähnte Ursula, dass sich das internationale wie nationale Bewusstsein für die die Lage der Hausangestellten bereits geschärft hat. Weil aber noch immer viel getan werden muss, sprechen die Aktivist*innen regelmäßig in Schulen und Universitäten über Rassismus, der laut Farah den Kern des Problems ausmacht: „Gerade wenn wir mit Kindern sprechen, die selbst von Hausangestellten betreut werden, schaffen wir langfristig ein Bewusstsein für deren Situation“, ist sich Farah sicher. Trotzdem betont sie: „Die Geschichte vom guten Bürgen existiert nicht. Letztendlich profitieren wir alle von diesem rassistischen System.“  

- „Hallo hast du schon die Zeitung für Hausangestellte gesehen?“ - „ Ja, habe ich. Ich wusste nicht einmal, dass die schreiben können!“ Zeichnung aus dem Community Binder, einem Newsletter für Hausangestellte. Zeichnung: Community Binder - „Hallo hast du schon die Zeitung für Hausangestellte gesehen?“ - „ Ja, habe ich. Ich wusste nicht einmal, dass die schreiben können!“ Zeichnung aus dem Community Binder, einem Newsletter für Hausangestellte.

 

 Nicht die Arbeit der Hausangestellten an sich stellt Farah ins Zentrum ihrer Kritik, es geht den Aktivist*innen vielmehr darum, die Rahmenbedingungen zu verändern. Das Kafala-System abzuschaffen gilt daher als eines ihrer wichtigsten Ziele. Dieses soll durch ein klar geregeltes Einreisesystem ersetzt werden, das die Arbeitsmigrant*innen nicht länger an gezielte Arbeitgeber*innen bindet. Dieser Forderung schließt sich auch die ILO an. Als Vermittlerin zwischen Zivilgesellschaft und staatlicher Politik unterstützt die Organisation derzeit eine Kampagne des libanesischen Arbeitsministeriums unter dem Titel „Work in Freedom“, das sich vor allem zum Ziel gesetzt hat, den Anwerbungsprozess transparenter und fairer zu gestalten, sowie illegal operierende Agenturen zu kriminalisieren. „Dies zu erreichen wäre für uns ein Meilenstein innerhalb eines langes Reformprozesses“, erklärt die ILO Beirut-Beauftragte Zeina Mezher.

Die Vermittlungsbestrebungen der ILO stoßen allerdings nicht immer auf offene Ohren: 2015 wurde unter Vermittlung der ILO durch eine Lücke im libanesischen Arbeitsrechtssystems die erste Gewerkschaft für Hausangestellte gegründet. Zwar dürfen Hausangestellte laut libanesischen Recht keine eigene Gewerkschaft gründen oder leiten, eine bereits bestehende Gewerkschaft kann allerdings eine Unterabteilung gründen, die von libanesischen Staatsbürger*innen geführt wird. In diesem Falle fungiert die linke libanesische Gewerkschaft FENASOL als Dachverband und die Libanesin Mariam Al-Masry als Präsidentin. Dennoch hat der libanesische Staat die Gewerkschaft der Hausangestellten formal nicht anerkannt, zwei ihrer Gründungsmitlieder wurden Ende letzten Jahren abgeschoben. Mezher hält eine baldige Anerkennung für unwahrscheinlich, die ILO unterstütze jedoch einen Aktionsplan der Gewerkschaft, der „ihre Mitglieder stärken und ihre Reichweite ausdehnen soll, um ihren Kampf weiterzuführen“.

„Hört uns zu!“

Zum diesjährigen Arbeiterkampftag am 1. Mai gingen 800 bis 1.000 Menschen in Beirut für die Rechte der Hausangestellten auf die Straße. Doch auch online wächst der Protest. Ebenfalls zum Tag der Arbeit ging eine Facebook-Seite mit dem Titel This is Lebanon online, die derzeit für Furore sorgt. In ihrer Eingangsbeschreibung steht anklagend: „Ihr seid unsere Madames, unsere Misters, unsere Agenten, unsere Botschaften, unsere Konsuln.[...] Stillschweigend haben wir gelitten während wir eure Hunde ausgeführt, eure Kinder großgezogen, die Hintern eurer Eltern abgewischt und eure Häuser geputzt haben. Die Tage des Schweigens sind vorbei. Hört uns zu!“

Hinter der Seite steht ein nepalesisches Ehepaar, das mittlerweile emigriert ist. Beide waren einst als Hausangestellte im Libanon tätig: „Seit wir in Kanada leben, lässt uns der Libanon nicht los und wir können nicht vergessen, was wir erlebt und gesehen haben“, erklärt Dipendra Uprety die Motivation für die Seite. Die Seite nennt Arbeitgeber*innen namentlich und klagt sie öffentlich an, wenn sie ihre Angestellten bewiesenermaßen misshandelt haben: „Gerechtigkeit zu erlangen ist sehr schwer. Selbst wenn Fälle von Misshandlung öffentlich gemacht werden, bleiben die Namen der Täter*innen verschleiert. Dies verleiht ihnen ein Gefühl der Straflosigkeit und bewirkt Hoffnungslosigkeit in den Augen der migrantischen Angestellten“, sagt Uprety. Der erste Post des Paares wurde 20.000 Mal angeklickt und einer der Beschuldigen in Untersuchungshaft genommen – Ihn in Handschellen zu sehen sei eine Genugtuung, sagt er. Auch der Fall einer philippinischen Hausangestellten, die als vermisst galt, löste eine heftige Kontroverse aus, auch weil sich die beschuldigte libanesische Familie öffentlich äußerte und so noch mehr Öl ins Feuer goss.

Für den International Domestic Workers' Day wünscht sich Uprety: „Das Ende des Kafala-Systems, denn es ist nichts anderes als moderne Sklaverei!“

 

* Name geändert

Theresa ist freie Reporterin und Fotojournalistin mit Fokus Westasien und Nordafrika. Sie hat in Marbug, Kairo und Lund studiert, sowie eine Ausbildung an der Reportageschule Reutlingen absolviert. Seit November 2019 ist sie die Koordinatorin des dis:orient-Magazins.