10.02.2023
Repression wird die feministische Revolution in Iran nicht aufhalten
Mansoureh Behkish demonstriert gegen die Hinrichtung von Demonstrant:innen, Dublin 2022. Auf einem Plakat um ihren Hals sind Bilder ihrer Familienmitglieder zu sehen, die während der berüchtigten 1980er-Jahre in Iran gehängt oder getötet wurden. Foto: Mansoureh Behkish, privat
Mansoureh Behkish demonstriert gegen die Hinrichtung von Demonstrant:innen, Dublin 2022. Auf einem Plakat um ihren Hals sind Bilder ihrer Familienmitglieder zu sehen, die während der berüchtigten 1980er-Jahre in Iran gehängt oder getötet wurden. Foto: Mansoureh Behkish, privat

Die Führung Irans beschwört den „Gott der Achtziger Jahre“, um die revolutionären Proteste zu delegitimieren. Damals wie heute werden Demonstrant:innen hingerichtet. Stärker als vor vierzig Jahren protestiert heute jedoch das ganze Land.

Dieser Text ist im Original bei "The New Arab" auf Englisch erschienen und hier nachzulesen

Mansoureh Behkish ist ein prominentes Mitglied der iranischen Dadkhahi-Bewegung für Gerechtigkeit, der auch andere Zusammenschlüsse wie die Chavaran-Mütter und die Mütter des Laleh-Parks angehören. Behkisch fordert in den Sozialen Medien ein Ende des iranischen Regimes, seiner Brutalität und seiner Hinrichtungen.

Ein Foto, das Behkish von einer Demonstration in Dublin - wo sie inzwischen im Exil lebt - teilte, zeigt sie mit einem Schild mit sechs Portraits um den Hals. Es sind Mitglieder ihrer Familie, die zusammen mit Tausenden von politischen Gefangenen in den späten 1980er-Jahren in iranischen Gefängnissen ermordet wurden, einige durch Hinrichtung. Anschließend wurden die Toten auf dem Friedhof von Chavaran begraben, der zu einem ungekennzeichneten Massengrab wurde.

Neben „Jina“ rufen sie jetzt auch „Mohsen“, „Majidreza“ und „Seyyed“

Behkish und andere Mitglieder der Chavaran-Mütter kämpfen nicht nur um Gerechtigkeit für ihre Nächsten, die während des Massakers 1988 ermordet wurden, sondern für alle in Iran. Heute werden staatliche Exekutionen wieder mit voller Kraft vorangetrieben, die Behörden verkünden Todesurteile selbst für vulnerable Menschen wie Jugendliche im Alter von 22 Jahren oder Mitglieder der marginalisierten belutschischen Minderheit.

Sie finden gleichzeitig vor dem Hintergrund der Ermordung von Hunderten Demonstrant:innen statt, die wegen der Ermordung der 22-jährigen kurdisch-iranischen Jina (Mahsa) Amini im September 2022 durch die Sittenpolizei in Teheran auf die Straße gegangen waren. Jetzt werden neben Aminis auch die Namen der jungen, durch das Regime gehängten Menschen in den Straßen gerufen: Mohsen Shekari, Majidreza Rahnavard, Mohammad Mehdi Karami und Seyyed Mohammad Hosseini. Ihre Geschichten werden in den Sozialen Medien breit geteilt, um Gerechtigkeit zu fordern.

Anstatt Angst zu haben oder das Regime einfach nur um das Ende der Hinrichtungen zu bitten, wurde eine Kampagne unter dem Hashtag #NotoExecution gestartet. Iraner:innen suchen Gerechtigkeit, rufen zu dauerhaftem Widerstand auf und fordern das Ende des gesamten Regimes.

Die Sittenpolizei wurde nicht abgeschafft

Kurz nach den ‚Fake News‘, dass Iran seine Sittenpolizei abschaffen würde, führten die Behörden das Todesurteil Mohsen Shekaris aus, was weltweit viele empörte. Das Verbreiten von Falschinformationen dient dem iranischen Regime als Schlüsseltaktik, im Falle der Sittenpolizei halfen einige westliche Medien tatkräftig dabei, die Information zu verbreiten.

Was das Regime tatsächlich plant, ist eine Neugestaltung der Überwachung und der Unterdrückung des weiblichen Körpers durch digitale Technologien und finanzielle Kontrollmaßnahmen – zum Beispiel, indem sie die Bankkonten von Frauen sperren, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen. All diese Entwicklungen zeigen, dass die Hinrichtungsmaschinerie der 80er-Jahre in Iran immer noch existiert. Der große Unterschied ist dieses Mal, dass sich das gesamte Land mutig und unverhohlen dagegen wehrt.

In Reaktion auf die ungerechten Morde des Regimes und die Misshandlung politischer Gefangener schrieb die studentische Aktivistin Leila Hosseinzadeh: „Das alles, um zu beweisen, dass der ‚Gott der 80er-Jahre‘ am Leben ist? Wir wissen das, doch wir glauben nicht an den Gott des Todes.“

Hosseinzadehs treffende Worte wurden von ihrer Familie und vielen anderen auf Sozialen Medien geteilt, als sie trotz einer Autoimmunkrankheit und weiteren schweren gesundheitlichen Problemen in Schiras verhaftet wurde. Dieser strafende ‚Gott der Achtziger‘, auf den sich viele in den Sozialen Medien beziehen, geht auf eine Rede des obersten iranischen Führers Ali Khamenei 2022 zurück. In dieser erklärte er, der heutige Gott sei derselbe wie der in den 80er-Jahren.

„Der Gott der achtziger Jahre ist verängstigt“

Seit ihren Anfängen im September 2022 hat die entstehende intersektional-feministische Revolution in Iran viel Unterstützung erfahren, zum Beispiel durch Calls for Action. Sie wird vor allem von mutigen Frauen, feministischen Aktivist:innen und unzähligen Demonstrant:innen aus dem ganzen Land geführt und vorangetrieben.

Der Aufstand hat die Anhänger:innen des Regimes zweifellos im Mark erschüttert. Wie eine anonyme feministische Aktivistin in Iran bestätigt: „Der Gott der achtziger Jahre ist verängstigt und entsetzt, durch unsere Augen, die nicht auf ihre mörderische Crime-Show schauen; durch unsere Ohren, die ihre Erzählung nicht glauben, in der sie unschuldige Demonstrant:innen zur Rechtfertigung der Gräueltaten beschuldigen; durch uns alle, die wir sie für das personifizierte Böse halten und ihre Legitimität schlichtweg ablehnen.“

Ein Eindruck, der kürzlich auch in einem offenen Brief von 18 weiblichen politischen Gefangenen im Evin-Gefängnis aufgegriffen wurde. Sie verurteilen darin die Hinrichtungen und rufen jede:n dazu auf: „Erhebt euch, zerreißt den Strick um den Hals unserer Jugend und zerstört die errichteten Säulen des Todes.“

Die Hoffnung wird nicht hingerichtet

Von Beginn an waren Frauen der Arbeiter:innenklasse und anderen marginalisierte Gruppen die treibende Kraft der Bewegung. Sie fordern ihr „bisheriges und zukünftiges Leben“ zurück – und damit das Ende der aktuellen patriarchalisch-nationalistischen, kapitalistischen Theokratie. Sie nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und rufen: Jin, Jiyan, Azadi (Frau, Leben, Freiheit).

Der „verängstigte Gott der Achtziger“ kann die Proteste nicht mehr verhindern oder aufhalten, auch nicht durch archaische Methoden des Terrors. Heute werden die Forderungen nach radikalem Wandel, Gerechtigkeit und Hoffnung, wie es ein Schild an der Universität von Teheran passend formuliert, nicht hingerichtet.

 

the original version of this article was published in English on "The New Arab"

 

 

 

 

Sama ist feministische Wissenschaftlerin. Sie forscht zu Neuen Medien und Digitalen Kulturen und lebt in Schweden.
Redigiert von Sophie Romy
Übersetzt von Clara Taxis