27.09.2019
Schwarzkopie statt Blackfacing!

Everyone’s liberal darling Justin Trudeau wurde des Blackfacings überführt. Während deutsche Kommentator*innen sich mehrheitlich daran erfreuen, das verzeihlich zu finden, fordert diese Kolumne: Schwarzkopie statt Blackfacing! Was das genau bedeutet und welche Texte laut dis:orient-Umfrage mal aus einer (post)migrantischen Perspektive umgeschrieben werden sollten. Von Eva Tepest

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne Des:orientierungen. Alle Texte der Kolumne findest du hier.

Justin Trudeau hat sich mindestens drei Mal sein Gesicht braun und schwarz angemalt, zuletzt 2001, als er auf einer „Arabian Nights“-Party als Aladdin zum Blackfacing einen Turban trug. Dafür, dass der kanadische Premierminister seine „weißen Privilegien“ damals nicht sah, entschuldigte er sich mehrfach. Dessen ungeachtet fordern Politiker*innen, Publizist*innen und Aktivist*innen in Nordamerika seinen Rücktritt, während in den deutschen Zeitungen Autor*innen wie Jörg Wimalasena in Zeit Online, Tilman Schröter im Tagesspiegel und Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung die Kritik an Trudeau als „unverhältnismäßig“ abtaten oder sich, wie Welt-am-Sonntag-Chefredakteur Johannes Boie, darüber freuten, dass „auf politisch Korrekte kein Verlass“ sei.

Ich möchte an dieser Stelle nicht darüber diskutieren, ob der 29-jährige Sozialkundelehrer Trudeau 2001 hätte wissen können, wie rassistisch Blackfacing ist (unbedingt!): Ich möchte nicht schon wieder über weiße Männlichkeiten schreiben. Stattdessen interessiert mich, seinen symbolischen Raub auf den Kopf zu stellen: Wie könnte eine Aneignung weißer Dominanzkultur aussehen?

Schwarzkopie als radikale Aneignung

Im Berliner Gorki-Theater wird zur Zeit „Die Verlobung in St. Domingo – Ein Widerspruch“ von Necati Öziri und „gegen Heinrich von Kleist“ gespielt. In der Neufassung treten die Schwarzen Charaktere, die in Kleists Novelle um die revolutionären Ereignisse in Haiti um 1800 bloß die ‚wilde’ Szenerie für die Hauptfigur Gustav liefern, als eigenständige Subjekte hervor. Der Rassismus der Kolonialherren wird nicht ausgelassen, sondern schonungslos offengelegt. Öziris Bedingung ist weiterhin, dass bei der Inszenierung seines Stücks Blackfacing und die Verwendung des N-Wortes verboten sind und, dass mindestens die Hälfte des Ensembles mit „Schwarzen Menschen und Menschen mit Rassismuserfahrung“ besetzt wird.

Weiter ging die Regisseurin Anta Helena Recke. Sie besetzte Anna-Sophie Mahlers Münchner Inszenierung von „Mittelreich“ vollständig mit Schwarzen Personen, von den Schauspieler*innen bis hin zu den Musiker*innen. „Schwarzkopie“ taufte der zuständige Dramaturg Julian Warner diese Praxis. Beide Stücke machen die Leerstellen über dem rassistischen Abgrund Europa sichtbar, ohne ein einfaches Gegenbild von Schwarzer Befreiung oder Heldentum zu entwerfen. „Ich denke, es kann keinen ,reinen’ Weg geben. Es muss darum gehen, in den Widersprüchen etwas taktisch Sinnvolles zu tun”, erklärt Warner dazu in einem Interview.

Ausgelassene Geschichte(n)

Gegen eine konkrete Leerstelle, nämlich „die ahistorische Tendenz, das frühmoderne London als weiß zu beschreiben“, schreibt auch Jordy Rosenberg in seinem Roman The Confessions of the Fox an. Darin ist Jack Shephard (die Vorlage für „Mackie Messer“ in Bertolt Brechts Dreigroschenoper) ein trans Mann und Edgeworth Bess (Brechts „Polly“) eine Britin of Colour. „Wir müssen die unhinterfragte bisherige Charakterisierung [bei Brecht und anderswo] von Bess als weiß weniger als Widerspiegelung ‚wahrer Geschichte’, sondern als dessen Auslassung begreifen“, fordert Rosenbergs Erzähler.

Im Fall von Confessions of the Fox versorgt uns das Umschreiben einer populären Figur aus einer marginalisierten Perspektive mit den Geschichten, die so oder ähnlich passiert sind, aber nirgends aufgezeichnet wurden. Ich habe nachgefragt, welche Texte Sachverständige gerne einer Umdeutung als Schwarz-Kopie bzw. aus einer (post)migrantischen Perspektive unterziehen würden. Das sind ihre Antworten:

Tala Al-Deen, Schauspielerin am Staatstheater Mannheim

„Nach längerem Nachdenken – ,Im weißen Rössl’ war auch in der engeren Auswahl – habe ich mich für Elisabeth, das Musical in Schwarz-Kopie entschieden. Da wird das Musical-Klischee ohnehin angekratzt, aber am Ende bleibt es doch bei der nationalistischen Gallionsfigur Sissi hängen. Besonders würde ich mich über das Merchandise freuen, die ganzen Shirts und Tassen mit den geflochtene Haaren mit Blümchen darin, den barocken Kleidern.“

Ronya Othmann, Autorin

„Effi Briest! Das habe ich als Jugendliche gelesen und mich voll damit identifizieren können, weil das Leiden an gesellschaftlichen Konventionen universell ist. Das würde ich gerne queer und mit kurdischen Menschen besetzt umschreiben.”

Samir Sellami, Literaturwissenschaftler

„Alle Werke des weißen westlichen Kanons sind es wert, noch einmal geschrieben zu werden – aus allen möglichen Perspektiven. Sogar Moby-Dick oder Traurige Tropen von Levi-Strauss. Ich war zuletzt ziemlich begeistert von Aimé Césaires Ein Sturm, mochte aber auch z.B. das nicht ganz so geniale Romandebüt von Kamel Daoud: Der Fall Meursault. Eine Gegenermittlung – ein Rewriting von Camus’ L’Etranger. Trotzdem frage ich mich, wie hoch die Kosten von rewriting-Praktiken sind und ob sie nicht die hegemoniale Stellung des westlichen Kanons eher festigen als anfechten. Letztlich kommt es aber wohl immer darauf an, wie man es macht. Im Redaktionsraum der panafrikanischen Kulturzeitschrift Chimurenga (‚Revolution’) hing wohl mal irgendwo ein Plakat mit der Aufschrift: ‚If white people did not invent air, what would we breathe?’“

Shirin Rindermann, Islamwissenschaftlerin

“‘Das Spiel ist aus’ von Sartre. Ich habe das Stück als Jugendliche gelesen und es hat mich damals sehr bewegt. Es geht um Klasse, Revolution, Tod und Verrat, um die Unmöglichkeit der Liebe angesichts gesellschaftlicher und politischer Zwänge, um die Verantwortung für Andere sowie für die eigenen Entscheidungen. Ich kann mir die Protagonist*innen sehr viel intersektionaler vorstellen und das setting in einem beliebigen totalitären oder faschistischen Kontext der Gegenwart, you name it!”

Daniel Walter, Politikwissenschaftler und Historiker, Vorstandsmitglied dis:orient e.V.

„Rainald Goetz‘ ‘Rave’. Das Spielen soll nicht verdorben werden. Doch fände ich es spannend, dem Berliner und Münchner Hedonismus der 90er Jahre seine Selbstverständlichkeit zu nehmen. Was würde Goetz’ Erzähler machen, wenn er an der Tür vom Club abgewiesen würde? Wie sähe die Nacht ohne male gaze aus?”

Die entworfenen Szenerien sind mehr als Gedankenspiele. Sie stellen Gewohntes in Frage und rücken die Personengruppen ins Rampenlicht, die zwecks der Konstruktion eines weißen Europas gewaltsam daraus verdrängt wurden – und es doch erst ermöglichten. Dies ist erst der Anfang. Welche Texte würdet ihr euch vorknöpfen? Schickt uns eure Vorschläge bei Facebook oder Twitter.

 

Das Honorar für diese Kolumne geht an das Performance- und Theaterkollektiv lil*G.

 

Vom 2. Oktober bis Mitte Dezember läuft in der Akademie der Autodidakten im Ballhaus Naunynstraße, Berlin das Projekt “#TOYS”. Interessierte Schwarze Personen und People of Colour können sich bei Amrit Walia ([email protected]) anmelden.

Eva Tepest hat Arabistik und Middle Eastern Studies in Leipzig, Kairo und Lund studiert. Nach beruflichen Stationen in verschiedenen Forschungsprojekten arbeitet sie jetzt als Journalistin und Autorin mit Sitz in Berlin – u. a. für die dis:orient-Kolumne, Adopt a Revolution und verschiedene Zeitungen und Magazine.
Redigiert von Christoph Dinkelaker, Daniel Walter