09.06.2023
Was darf ich, was darf ich nicht?
Von allen Seiten mischen sich israelische und pro-palästinensische Gruppierungen in der Berichterstattung zu Israel und Palästina ein. Grafik: Zaide Kutay
Von allen Seiten mischen sich israelische und pro-palästinensische Gruppierungen in der Berichterstattung zu Israel und Palästina ein. Grafik: Zaide Kutay

Gerne empören sich jüdische und pro-palästinensische Gruppierungen in Deutschland über die Medien. Dabei versuchen alle Seiten, Journalist:innen vorzuschreiben, was sie zu schreiben haben. Das muss aufhören, fordert Marina Klimchuk.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

In den vergangenen Monaten recherchierte ich für unterschiedliche Medien vier Reportagen, die direkt oder indirekt etwas mit jüdischem Leben in Deutschland oder Israel und Palästina zu tun haben.

Meine Hürden bei diesen Recherchen folgen mit leichten Abweichungen einem ähnlichen Motiv: Jedes Mal versucht jemand zu kontrollieren, was am Ende in meinem Artikel stehen wird. Diverse Gesprächspartner:innen sagen mir eine Berichterstattung nur dann zu, wenn sie das Gefühl haben: sie behalten die Hoheit über das, was geschrieben wird. Damit meine ich alle gleichermaßen – jüdische, israelische und pro-palästinensische Menschen und Gruppierungen. Nun ist es aber so, dass ich Journalistin bin und nicht Pressesprecherin, also gerne unabhängig berichte. Aber wie soll ich unter diesen Bedingungen meinen Job machen?

Blockaden von beiden Seiten

Ein Beispiel ist eine pro-palästinensische Gruppierung, die ich darum bat, sie bei ihrer Planung einer Demonstration begleiten zu dürfen. Immer wieder werden pro-palästinensische Demonstrationen in Berlin verboten oder eskalieren – unter anderem, weil antisemitische Parolen gerufen werden. Ich wollte die Veranstalter:innen, ihre Gedanken und Dilemmata zu Wort kommen lassen – wer sind die Menschen, die hinter diesen Demos stecken? Eine vernünftige Idee, dachte ich.

Zuerst wartete ich tagelang auf eine Antwort. Dann hieß es, das Komitee beschließe alles basisdemokratisch und das sei gar nicht so einfach, man sei sehr beschäftigt mit der Planung. Am Ende hieß es, ich dürfe die Demo besuchen (dafür bin ich ihnen sehr dankbar) und ihnen meine Fragen schriftlich zusenden.

Für eine Reportage, bei der ich nah am Geschehen sein möchte, bedeutet das Angebot „Fragen schriftlich senden“ den Todesstoß. Es bedeutet auch: diejenigen, über die geschrieben wird, möchten auf keinen Fall die Kontrolle über das Geschriebene abgeben. Auf meinen Vorschlag, eine Alternativlösung zu finden, die für beide Seiten funktionieren würde, erhielt ich nie wieder eine Antwort.

Tief sitzende Unsicherheiten

Warum, könnten wir uns jetzt fragen, ist eine marginalisierte Gruppe, die sich von Medien und Gesellschaft missverstanden fühlt, nicht bereit, mit einer Reporterin zusammenzuarbeiten, die ihnen mit gutem Willen gegenübersteht?

Das kann ich einerseits ein Stück weit nachvollziehen: In den Medien wird auch viel Unsinn verfasst, polemisiert und nachgeplappert. Aber gerade, wenn ihr der Meinung seid, euch wird Unrecht getan: Sprecht mit uns, erklärt euch, statt im Nachhinein auf Twitter Vorwürfe regnen zu lassen. Differenzierte Perspektiven und kluge Inhalte sind im Sinne aller Beteiligten. Aber wer sich Diskurs wünscht, muss seinen Teil dazu beitragen, auch bereit sein, die Kontrolle abzugeben.

Diese Reportage begrub ich schließlich auf dem Friedhof meiner ungeschriebenen Texte. Die Veranstaltung wurde verboten, die Polizeigewalt bei einer kleineren, genehmigten Veranstaltung eskalierte. Fundierte Berichterstattung gab es meines Wissens keine, erst recht nicht aus Perspektive der Veranstalter:innen.

Anders, aber nicht unähnlich, trug es sich vor einiger Zeit mit einer Gruppe linker jüdischer Aktivist:innen zu. Zuerst wurde mir von den Protagonist:innen eine Teilnahme an ihrer Veranstaltung und eine ehrliche Berichterstattung zugesichert. Kurz zuvor hieß es plötzlich, alles sei „off the record“. Selbst ohne Namen zu nennen, durfte ich niemanden zitieren. Als der Text schließlich nach zahllosen Überprüfungen und juristischer Beratung erschien, waren alle Seiten frustriert.

Pressefreiheit in Sicht?

Ein weiteres Mal gab es Ärger aus der Redaktion. Nachdem mein Text bereits durch mehrere Runden Redigat im Ressort gegangen und ins Zeitungslayout gegossen war, konnte er plötzlich nicht gedruckt werden. Man fürchte, so die unkonkrete Kritik von oben, ich bediene zu sehr das „Feindbild vom Staat Israel“. Was soll das heißen, ich bin doch Staatsbürgerin dieses Landes?

Mein Eindruck war: eigentlich fanden sie den Text gut. Aber falls es zu einem Shitstorm aus der pro-israelischen Empörer:innenfraktion in Deutschland kommen sollte – niemand hätte Lust, sich damit herumzuschlagen. Medienhäuser wissen, wie wenig es heutzutage braucht, um einen Tsunami an Vorwürfen auszulösen, der im schlimmsten Fall vor Gericht landen könnte. Lieber noch einmal umschreiben.

Das alles ist ärgerlich. Ich bin mir sicher: ich bin nicht die Einzige, die mit diesem Problem konfrontiert ist. Die Steine, die mir bei meiner Arbeit als Reporterin in den Weg gelegt werden, bedeuten das Gegenteil von Pressefreiheit. Und wenn wir uns eine ehrliche, kritische und transparente Berichterstattung wünschen – sollten wir dann nicht auch bereit sein, daran teilzuhaben? Statt uns vorzuschreiben, was wir dürfen und was nicht – arbeitet lieber mit uns zusammen, verzeiht uns unsere gelegentliche Ignoranz und teilt eure Gedanken mit uns! Viele Journalist:innen geben ihr Bestes, so nah an der Wahrheit zu sein, wie möglich. Doch gute Arbeit können wir nur dann leisten, wenn man uns lässt. Wenn wir von Grautönen, inneren Konflikten und Fehlern erzählen dürfen.

Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Marina ist in der Ukraine geboren und als Kind nach Deutschland eingewandert. Sie ist freie Journalistin, leitete bis zur Corona-Pandemie politische Studienreisen in Israel und Palästina und führte Gruppen durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Im Moment besucht sie die Reportageschule in Reutlingen.
Redigiert von Sophie Romy, Regina Gennrich