Peshmerga der kurdischen Regionalregierung im Irak bekämpfen den IS, mit deutscher Unterstützung. Doch sie gehen auch gegen PKK-nahe kurdische Gruppen vor. Und immer mehr deutet darauf hin, dass die Waffenlieferungen aus Deutschland auch bei diesen Kämpfen zum Einsatz kommen. Von Adrian Paukstat.
„Die Bundesregierung erkennt in dem vorliegenden Bildmaterial keine Darstellung eines militärischen Angriffes“, heißt es lapidar in der Antwort der Bundesregierung auf eine jüngst eingereichte kleine Anfrage der Linksfraktion. Worum ging es?
Am 2. März dieses Jahres kam es im Shengal, dem Siedlungsgebiet der Religionsgemeinschaft der Jesiden im syrisch-irakischen Grenzgebiet, zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Kämpfern der „Widerstandseinheiten Shengal“ (YBS), eine der PKK bzw. deren syrischen Ableger YPG nahestehende Miliz, und den Peshmerga-Kämpfern der nordirakischen Autonomieregierung.
Bereits Wochen zuvor hatte sich die Konfrontation zwischen den Milizen angebahnt. Formell untersteht der Shengal der Kontrolle der von Massud Barzanis Partei PDK geleiteten autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Doch die Soldaten Barzanis scheinen im Shengal nicht gern gesehen zu sein.
Im Zuge der Offensive des „Islamischen Staates“ (IS) im Sommer 2014 bildete sich die YBS als von YPG und PKK ausgebildete Miliz, nachdem die Kämpfer Barzanis aus dem Shengal abzogen und die Jesiden ihrem Schicksal überlassen hatten. Erst die Intervention der PKK rettete die im Gebirge eingekesselten Jesiden vor dem drohenden Genozid durch den IS. Dies rechtfertigt in den Augen der Jesiden die Präsenz der PKK im Shengal und begründet ihr Misstrauen gegenüber den Soldaten Barzanis.
Die kurdische Autonomieregierung wiederum will die Präsenz der PKK/YPG/YBS um jeden Preis eindämmen und verhängte unmittelbar nach der Vertreibung des IS aus dem Shengal im August 2014 ein de-facto-Embargo gegen die Region. Offiziell verweist die kurdische Autonomieregierung in diesem Kontext auf die angespannte Sicherheitslage und das Bestreben, den Export von geplünderten Waren zu verhindern, welches eine strengere Kontrolle des Warenverkehrs notwendig mache. Dem widersprechen jedoch die Zeugenaussagen jesidischer politischer Führer gegenüber Human Rights Watch. Deren Aussagen zufolge haben ihnen Vertreter der Autonomieregierung mitgeteilt, dass das Embargo eine „Bestrafung“ der Bevölkerung sei und erst ende, wenn diese die Präsenz der PKK in ihrem Gebiet nicht mehr dulde.
Die Achse Ankara – Erbil
Die Autonomieregierung fand hierbei schnell einen Verbündeten, dem die kurdische Autonomie nicht so sehr im Nordirak, dafür aber umso mehr in Nordsyrien ein Dorn im Auge war: Recep Tayyip Erdoğan. Seit jeher unterhalten die kurdische Regionalregierung im Nordirak und Ankara beste Beziehungen, vor allem dank des florierenden Ölhandels. Und auch in Bezug auf das Thema PKK/YPG erscheinen beide als natürliche Verbündete: Erdogan sind die Autonomieforderungen der Kurden im eigenen Land zuwider, Barzani fürchtet das Aufkommen einer politischen Kraft, die unter Umständen die Herrschaft seines Klans über den Nordirak in Frage stellen könnte. Seit jeher ist die kurdische Autonomie dort im Wesentlichen ein Familienunternehmen, geführt von den mal verfeindeten, mal kooperierenden Clans der Barzanis (PDK) und Talabanis (PUK), die ihre jeweilige Herrschaft stets durch die patrimoniale Verteilung von Pfründen zu stützen verstanden.
Solange die Ölquellen nicht versiegen, ist an Renten stets genug zu verteilen und auf erwähntem Herrschaftsmodell ließ sich bisher eine relative politische Ruhe und sogar ein – für regionale Verhältnisse nicht unerheblicher – ökonomischer Aufschwung bauen. Bei niedrigen Ölpreisen wird das jedoch schwieriger. Und dank des vor allem qua Fracking produzierten Überangebots befinden sich die Preise nun schon seit einiger Zeit im Fall.
Sinken die Ölpreise zu sehr, gerät das Herrschaftsmodell „Petro-Klientelismus“ in die Krise, was sich gegenwärtig auch an den politischen Auseinandersetzungen in Venezuela beobachten lässt. Dies gilt auch für den kurdischen Nordirak, wo der seit 2015 ohne demokratisches Mandat regierende Barzani zunehmend unter öffentlichen Druck gerät. Dies erklärt seine Furcht vor einem weiteren Aufstieg der YBS/YPG im Nordirak. Und dies erklärt auch, warum Barzanis Milizen im März dieses Jahres in den Shengal eindrangen, während die Türkei annähernd zeitgleich die dortigen YBS/YPG Stellungen bombardiert, wie zuletzt Ende April. Barzani und Erdogan machen keinen Hehl aus ihrem gemeinsamen Bestreben, die PKK und ihr nahestehende bewaffnete Gruppen aus der Region zu vertreiben.
Gefechte im Shengal
Doch was war es denn nun, das die Bundesregierung zu einer Stellungnahme in Bezug auf einen innerkurdischen Konflikt zwang? Bereits Anfang März erschienen Berichte in der deutschen Presse über die mutmaßliche Beteiligung deutschen Kriegsgeräts an den Zusammenstößen im Shengal. Auf der Seite einer kurdischen Nachrichtenagentur tauchte ein verwackeltes und unscharfes Video auf, auf dem mutmaßlich einer der insgesamt fünf ATF Dingo 1 Panzerwagen zu sehen war, welche die Bundesregierung im Jahr 2014 an die kurdische Regionalregierung geliefert hatte.
Der Verdacht erhärtete sich, nachdem Journalisten des Lower Class Magazine Zeugenaussagen von der lokalen jesidischen Bevölkerung zu den Vorfällen ermittelten und ein weiteres Video entdeckten. Auf letzterem (Minute 0:37) war nicht nur der Dingo selbst zu sehen, sondern, unschwer zu erkennen, auch das eiserne Kreuz an der Wagenseite:
Video auch unter diesem Link abrufbar.
Dass die Bundesregierung nun in besagter Anfrage der Linken bekundet, auf dem Videomaterial „keine Darstellung eines militärischen Angriffes“ erkennen zu können, ergibt Sinn. Denn die an die kurdische Regionalregierung gelieferten Waffen und Ausrüstungsgegenstände sind an eine sogenannte „Endverbleibserklärung“ gebunden. Zwar ist deren Text nicht öffentlich zugänglich, doch laut Bundesregierung wird darin vor allem zweierlei festgehalten. Erstens: Die Waffen dürfen nur im Kampf gegen den IS eingesetzt werden, sowie zweitens: Sie dürfen nicht weitergegeben werden.
Schon die erste Bedingung erscheint hier nicht erfüllt. Ein Einsatz dieser Waffen im Kontext innerkurdischer Auseinandersetzungen bedeutet definitiv einen Verstoß gegen die Endverbleibserklärung. Doch auch die Einhaltung des zweiten Punktes erscheint fraglich: Mehrere Indizien weisen darauf hin, dass die kurdische Regionalregierung mit diesen Waffen nicht nur die gegen den IS operierenden Peshmergaverbände im engeren Sinne, sondern ebenso der Regionalregierung nahestehende Milizen in Syrien ausrüstet.
Die Rolle der „Rojava Peshmerga“
Eine solche Miliz soll, den vom Lower Class Magazine zusammengetragenen Zeugenaussagen zufolge, auch die Angriffe im Shengal durchgeführt haben. Die Rede ist hier von den sogenannten „Rojava Peshmerga“ oder auch „Peshmerga Roj“, einer pro-Barzani-Miliz, die wohl aus syrisch-kurdischen Flüchtlingen rekrutiert wird und offensichtlich unter dem Kommando der PDK-S, dem syrischen Ableger der nordirakischen Regierungspartei, operiert. Augenzeugen berichteten des Weiteren, dass Mitglieder des türkischen Geheimdienstes sowie Angehörige IS-loyaler sunnitischer Stämme, die von der PKK aus der Region vertrieben wurden, in den Reihen der „Rojava Peshmerga“ zu finden sind.
Bereits in den Kämpfen um Aleppo spielten die „Rojava Peshmerga“ eine unrühmliche Rolle, als sie in einer Koalition mit weiteren, darunter auch jihadistischen, Milizen das Viertel Şêxmesûd angriffen, das die PKK-nahe PYD kontrollierte. Im Allgemeinen scheint die Rolle der „Rojava Peshmerga“ hauptsächlich darin zu bestehen, unter Federführung der Barzani-Regierung die von der PYD geleiteten kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen in Nordsyrien anzugreifen. Die Indizien verdichten sich, dass besagte Miliz noch mit weiteren Waffen aus der Lieferung der Bundesregierung ausgerüstet wurde. So tauchten vor einigen Wochen Aufnahmen auf, die Kämpfer der „Rojava Peshmerga“ mit dem deutschen G36 sowie einem MG3 zeigen.
Auf der Website des syrischen PDK Ablegers findet sich unter einem Artikel mit der Überschrift „Peshmerga Roj an der Grenze zu Syrien“ das Bild eines Soldaten mit einem MILAN–Panzerabwehrsystem. Es handelt sich hierbei um „ein MILAN-System neuerer Bauart, wie es eigentlich nur in den Unterstützungslieferungen der Bundesregierung an die KRG vorkam”, sagte ein Experte dem Autor.
Innerhalb der militärischen Strukturen der kurdischen Regionalregierung scheint ein großer Teil der MILAN-Systeme an die Einheiten der Militärpolizei – offiziell als „Zeravani” bezeichnet – verteilt worden zu sein, wie das unter diesem Link abrufbare Bild nahelegt.
Aufschlussreich erscheint dies vor allem deswegen, weil sowohl die „Rojava Peshmerga“ als auch weitere verbündete Milizen als Einheiten der Zeravani auftreten, die kurdische Regionalregierung also lokale Stellvertreter-Milizen mit den Insignien der eigenen Militärpolizei ausrüstet. Auf diese Weise ließe sich auch (zumindest formell) das Weitergabeverbot der Endverbleibserklärung umgehen, da die Empfänger der Waffen ja formell Teil der militärischen Strukturen der kurdischen Regionalregierung sind und die Waffen somit nicht im eigentlichen Sinne „weitergegeben“ werden. Bezeichnenderweise verwies die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage der Linken an all denjenigen Stellen auf nachrichtendienstliche Geheimhaltung, wo es um die Frage ging, wessen Befehl die “Rojava Peshmerga” de facto und de jure unterstellt sind und wo diese operieren.
Dwekh Nawsha militiamen wear Zeravani (Kurdish gendarmerie) badges. The group cooperates with #Peshmerga. #Assyrians pic.twitter.com/aNlG2oMlj1
— Caspar Schliephack (@SerioSito) 14. Dezember 2014
Mit Barzani gegen die PKK?
Aus dem kurdischen Bündnis gegen den IS entwickelt sich zunehmend ein kurdischer Bruderkrieg. Der zunehmend autoritärer regierende Machthaber der kurdischen Regionalregierung im Irak, Barzani, sieht in der PKK und ihren lokalen Ablegern mehr und mehr eine gefährliche innenpolitische Konkurrentin, deren Landgewinne es zu revidieren gilt. Sein Interesse an der Stabilisierung des autokratischen Regimes trifft sich hierbei mit Erdogans Plänen, die von der PKK-Schwesterorganisation PYD geleiteten Selbstverwaltungsstrukturen an der syrisch-türkischen Grenze zu zerschlagen.
Alles in allem liegt der Verdacht nahe, dass Barzani hierbei systematisch syrische Stellvertreter-Milizen mit deutschen Waffen für den Kampf gegen die PYD/YPG/PKK ausrüstet. Hierbei versucht die kurdische Regionalregierung augenscheinlich die Zugehörigkeit verbündeter lokaler Milizen zu verschleiern, indem sie sie formell in die eigenen Militärstrukturen integriert.
Ganz neu können diese Erkenntnisse für Auswärtiges Amt und BND nicht sein, sonst würde die Regierung in besagter parlamentarischer Anfrage nicht laufend auf nachrichtendienstliche Geheimhaltung verweisen. Ob die Bundesregierung die Verwendung eigener Waffenlieferungen in innerkurdischen Auseinandersetzungen nur billigend in Kauf nimmt, oder gar befürwortet, muss vorerst offen bleiben. Eines steht jedoch fest: Ob ungewollt oder nicht, die BRD ist mittlerweile sowohl politisch wie auch militärisch Partei in einem kurdischen Bruderkrieg.