08.09.2019
„Die Entwicklung der Gesellschaft hängt auch von der Pluralität der Medien ab“
Al-Balushi im Gespräch mit der omanischen Filmregisseurin Muzna Al Musafir. Foto: Turki Al-Balushi
Al-Balushi im Gespräch mit der omanischen Filmregisseurin Muzna Al Musafir. Foto: Turki Al-Balushi

Turki Al-Balushi, Journalist und Bloomberg-Korrespondent aus Maskat, hat mit seinem Projekt Alsekka eine Bildungsplattform in Oman geschaffen, die Raum für neue Denkansätze ermöglicht. Camilla Hildebrandt hat ihn getroffen. 

Die Medien im Oman stehen unter der ständigen Kontrolle der Regierung des Sultans. Dennoch gibt es Journalist*innen, die der Bevölkerung unabhängige Berichterstattung anbieten. Oder es zumindest versuchen. Sie riskieren dafür unter anderem Gefängnisstrafen. Turki Al-Balushi aus Maskat kennt das aus eigener Erfahrung. Aber er lässt sich nicht einschüchtern.

Albalad – Stimme für die junge Generation

2012 hat Al-Balushi die erste unabhängige Internet-Zeitung Albalad im Oman gegründet, um der jungen Generation eine Stimme zu geben jungen Leuten zwischen 18 und 35 Jahren, die nicht unbedingt die Meinung der Eltern und Großeltern teilen. Die ihre eigene Weltanschauung, ihre eigene Haltung zu Religion und Kultur vertreten. Denn über diese Generation wird in den omanischen Medien nicht berichtet. Es scheint nicht im Interesse des Sultans zu sein.

Albalad war ein unabhängiges Nachrichten-Portal, wir haben über Politik, Gesellschaft und Wirtschaft berichtet. Wir haben sehr gut recherchierte Analysen, Interviews und Nachrichten angeboten. Es war eine der bekanntesten Online-Plattformen hier im Oman“, sagt Al-Balushi.

Aber Albalad musste schließen, denn Al-Balushi wurde bedroht. „Das war sehr hart für mich. Ich hatte eine wichtige Plattform gegründet, eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Sie war eines der besten Beispiele dafür, dass unabhängige Medien funktionieren können.“

Aber kaum eines dieser Projekte schafft es zu überleben. Im Vergleich zu Nachbarländern wie dem vom Krieg beherrschten Jemen oder Saudi-Arabien, rangiert der Oman mit Platz 132 auf der Liste der weltweiten Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ noch im vorderen Drittel der WANA-Länder. Eine Auszeichnung ist das aber nicht. 2016 wurden die kritischen Zeitungen Al-Balad und Azamn, sowie das Online-Magazin Al-Mowaten verboten. Wenn sich Journalist*innen gegen sensible Themen wie Korruption aussprechen, müssen sie mit Festnahmen rechnen. Der heute 32-jährige Turki Al-Balushi saß selbst im Gefängnis, man drohte ihn zu verurteilen, wenn er weiterhin kritisch berichte. Turki hat zwei Kinder, er musste einlenken.

Alsekka – sozialkritische Bildung per Podcast

Aber im Juli 2018 war es wieder soweit: Sein zweites Projekt Alsekka wurde zusammen mit Kolleg*innen aus der Taufe gehoben. Alsekka, das so viel bedeutet wie „eine kurze Zugfahrt“, ist eine Internet-Plattform, die regelmäßig Interviews mit Autor*innen, Journalist*innen, Forscher*innen und Künstler*innen als Podcast veröffentlicht.

„Unsere Interviews sind sehr kritisch und erlauben uns einen neuen Blick auf unsere Kultur, Politik und Gesellschaft auf uns selbst zu werfen. Wir bieten fundierte Interviews zu Politik, Religion, Kultur und Veränderungen in der Gesellschaft an, alles Themen, die in den traditionellen Medien nicht behandelt werden“, sagt Al-Balushi und fügt hinzu: „Es geht darum, neuen Perspektiven und Sichtweisen einen Raum zu geben.“

Kontrolle (fast) aller Medien

Al-Balushi und sein Team verstehen Alsekka als Plattform für einen kritischen Austausch und neue Denkansätze. Eine digitale Community soll entstehen, erklärt Gründer Turki, denn: „Die Entwicklung der Gesellschaft hängt auch von der Pluralität der Medien ab.“ Seine Interviewpartner*innen sucht er sorgfältig aus und recherchiert ausgiebig, auch wenn genau das sich im Oman als besonders schwierig darstellt.

„Für Journalisten ist es aus unterschiedlichen Gründen nicht einfach hier zu arbeiten. Alles wird kontrolliert, und der Zugang zu Informationen wird erschwert. Es gehört viel Mut dazu, über bestimmte Themen zu schreiben und zu sprechen, wie zum Beispiel über Politik und Menschenrechte. Man muss sehr klug vorgehen.“

Zuletzt veröffentliche Turki Al-Balushi ein Gespräch mit dem Diplomaten und politischen Intellektuellen Sadiq Jawad Suleiman zu der Frage, wie man einen „Denker“ in der Gesellschaft aufbauen kann. Mit Dr. Muna Al Shukaili, Spezialistin im Bereich Kinder-Psychotherapie, sprach er über sexuelle Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche. Im Oman ein Thema, das nicht offen besprochen wird. Dr. Al Shukaili warnte, dass Übergriffe überall passieren könnten, in der Schule, zuhause, in der Moschee. Die Gesellschaft und vor allem Kinder müssten darüber aufgeklärt werden, um sie zu beschützen.

„In jeder Gesellschaft gibt es einen sozialen Schleier, der dich daran hindert, dich auszudrücken“ - Muzna Al Musafir

Auch Muzna Al Musafir war Gast bei Alsekka. Mit der osmanischen Filmemacherin sprach er unter anderem über ihren Film „Niqab Gesichtsschleier“. Damit hatte sie noch als Studentin 2010 den zweiten Preis in der Kategorie Kurzfilme beim Gulf Film Festival in Dubai gewonnen.

Die Interviews von Alsekka – in Form von Podcasts werden auf Facebook, Soundcloud, Twitter und Instagram veröffentlicht. In den Sozialen Medien hat das Projekt bereits 20.000 Follower*innen. Der Podcast ist momentan in der Golfregion die einzige Form, um an der Zensur der Regierung vorbeizukommen. Denn bei Podcasts handele es sich nicht um nationale Webseiten, sondern Veröffentlichungen auf internationalen Apps, erklärt Turki Al-Balushi.

Damit sich der aktuelle Stand der Meinungsfreiheit im Oman verbessert, müssen Journalist*innen ihre Arbeit stetig weiterentwickeln. Aber laut Al-Balushi sind nicht nur sie gefragt: „Es muss mehr Druck auf die Regierung ausgeübt werden, und auch die Bürger sollten sich mehr beteiligen.“

Veränderungen in der Gesellschaft sind durch offenen Meinungsaustausch und Bildung möglich, davon ist Turki Al-Balushi überzeugt. Aber kein Interview sei es wert, das Leben von Journalist*in zu gefährden.

Artikel von Camilla Hildebrandt
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Lissy Kleer