21.03.2018
Keywan Karimis Film „Drum“: Teheran als Leinwand und Spiegel
Szene aus dem Film "Drum". Der Spielfilm erzeugt eine morbide, bedrückende Stimmung - mit der Stadt Teheran als Spiegel für das Auge des Betrachters. Foto: Filmszene "Drum".
Szene aus dem Film "Drum". Der Spielfilm erzeugt eine morbide, bedrückende Stimmung - mit der Stadt Teheran als Spiegel für das Auge des Betrachters. Foto: Filmszene "Drum".

Die Hauptstadt Irans prägt die kulturelle Moderne des Landes mehr als jede andere Stadt. In zwei Filmen hat der iranische Regisseur Keywan Karimi sich mit der westasiatischen Metropole auseinandergesetzt. Für das Hamburger Kulturfestival Wundern über tanawo ist Karimi nun erstmals nach Deutschland gekommen.  

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Berichterstattung rund um das Kulturfestival „Wundern über tanawo’“, das vom 15.-18. März in Hamburg stattfindet. Alsharq ist Medienpartner des Festivals. Hintergründe haben wir hier aufgeschrieben. Weitere Beiträge zum Thema unter diesem Link.

Eine anonyme Frau im Chador geht an einer anti-amerikanischen Wandmalerei vorbei: Wer hat dieses Bild noch nicht in einem Zeitungsartikel über Iran gesehen? Aufgenommen wurde es vor der ehemaligen Botschaft der USA im Zentrum Teherans, einem weitläufigen Gebäudekomplex, seit der Besetzung und Geiselnahme durch radikale iranische Studierende (1979-81) als Revolutionstrophäe der Öffentlichkeit präsentiert – mal mehr, mal weniger öffentlich zugänglich und allseits von Mauern umgeben.

Doch das Phänomen großflächig bemalter Wände und von Mauern umringter Gebäude ist nicht begrenzt auf solche hochpolitisierten Orte. Vielmehr ist der gesamte Stadtraum Teherans übersät mit Wandmalereien. Die Motive variieren dabei sowohl thematisch als auch saisonal: Neben den häufig anzutreffenden Darstellungen von “Märtyrern”, in der Regel Gefallene des Iran-Irak-Kriegs (1980-1988), oder ehemaligen wie aktuellen Mitgliedern des Führungszirkels der Islamischen Republik, sind auch dekorative Blumenmuster oder ländliche Szenen zu sehen. Für besondere Anlässe wie das Persische Neujahrsfest – dieses Jahr übrigens am heutigen Mittwoch – werden zudem immer wieder spezielle Malereien angefertigt, um das Stadtbild entsprechend zu verschönern.     

Der Entstehungsgeschichte dieser Wandmalereien hat sich der iranische Regisseur Keywan Karimi (32) in seiner Dokumentation Writing on the City (2015) gewidmet, die Alsharq e.V. vergangenes Jahr in Berlin vorführte. Ausgehend von der wichtigen Rolle, die Graffiti, Flugblätter und politische Slogans im Teheran der Revolutionsjahre (1978-81) als Ausweichraum spielten, zeigt Karimi, wie die Wandmalereien in den vergangen vierzig Jahren stets den Zeitgeist widerspiegelten und somit dem Wandel unterliegen. Waren sie anfangs auch ein Mittel, um die durch irakische Raketen zerstörte Stadt kostengünstig zu renovieren und den Geist der Revolution bildhaft am Leben zu erhalten, so stehen sie heute im Spannungsfeld mit den zahlreichen kommerziellen Werbeplakaten, die auch in Iran den Alltag der städtischen Konsumgesellschaft optisch prägen.

Writing on the City - trailer from Keywan Karimi on Vimeo.  

Gleichzeitig besetzen diese Wandmalereien, die ohne die kleinste Ausnahme von der Stadtverwaltung in Auftrag gegeben oder in anderer Form autorisiert werden müssen, einen politischen Raum und beugen somit auch weißen, beschreibbaren Wänden vor. Für Writing on the City wurde Keywan Karimi 2015 zu sechs Jahren Haft sowie Peitschenhieben und einer Geldstrafe verurteilt. Anfang 2017 wurde der junge Regisseur jedoch vorzeitig aus der Haft entlassen.  

Sein neuer Film, Drum (2016), ist der erste Spielfilm Karimis und basiert auf einer Textvorlage von Ali-Morad Fadaei-Nia. Auf den Filmfestspielen in Venedig 2016 war Drum für den Goldenen Löwen nominiert. Der Film wurde vergangenes Wochenende, in Anwesenheit des erstmals in Deutschland weilenden Regisseurs, auf dem Hamburger Festival für iranische Gegenwartskunst Wundern über tanawo gezeigt.

Die sonoren, schwarz-weißen Aufnahmen in Drum erzählen die Geschichte eines Anwalts, der in seiner Kanzlei ein kleines Päckchen erhält und fortwährend um sein Leben bangen muss. Doch auch in Drum spielt nicht zuletzt die Stadt Teheran eine besondere Rolle.  

DRUM (TABL, 2016) by Keywan Karimi [Trailer] from Richard Lormand on Vimeo.  

Zeigte Karimi in seiner Dokumentation Writing on the City die Bedeutung des Stadtraums als Leinwand für Botschaften unterschiedlichster Art auf, so wird Teheran diesmal am ehesten als Spiegel für seine Bewohner*innen charakterisiert – denn der Blick in diesem Film beantwortet keine Fragen, sondern wirft ihn auf den Betrachter selbst zurück.

Die zahlreichen, steilen Vertikalaufnahmen von mehrgeschossigen Wohnhäusern oder Fußgängerbrücken über mehrspurige Highways zeichnen ein bedrückendes, raues Bild der Stadt. Alltägliche Straßenszenen samt Getümmel wie in Writing on the City sind nicht zu sehen, auch Wandmalereien kommen kaum vor. Der Großteil des Filmes findet in geschlossenen Räumen oder Innenhöfen statt – und wenn doch eine Straßenszene zu sehen ist, beschränkt sich das Gezeigte auf Stahl und Beton.

Diese morbide, bedrückende Stimmung lässt keinen Raum für unbeschwerte Momente, wie etwa in Tamer El Saids In the Last Days of the City (2016) für den Fall Kairos, dem vielbeachteten Film über die ägyptische Metropole. Mit Drum zeigt Keywan Karimi ein Versatzstück Teherans, das in Ergänzung  zur Analyse des Stadtraums anhand von Wandmalereien gesehen werden kann.  

 

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Daniel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Er interessiert sich für internationale und Globalgeschichte, Dekolonisierung und Ideengeschichte mit einem Schwerpunkt auf Iran. Er ist seit 2015 bei dis:orient aktiv, dabei von 2016 bis 2020 im Vorstand. Für Alsharq REISE ...