16.03.2018
Von der Un-Zufälligkeit des Schönen: Wie koloniale Ideale unsere Schönheitsvorstellungen bis heute bestimmen
Kolumnistin Moshtari Hilal ist freischaffende Künstlerin in Hamburg und Berlin. Grafik: Tobias Pietsch
Kolumnistin Moshtari Hilal ist freischaffende Künstlerin in Hamburg und Berlin. Grafik: Tobias Pietsch

Koloniale und rassistische Ideale prägen noch immer viele unserer Vorstellungen vom Schönen am Menschen. Der Vorzug von weißer oder heller Haut vor dunklerer Haut, vor allem in ehemaligen Kolonien, ist nur ein Beispiel für die Internalisierung kolonialer Schönheitsideale. Kosmetische Produkte und Eingriffe führen den Mythos der schönen Europäer*innen fort.

Dieser Text ist Teil der neuen Alsharq-Kolumne „Des:orientierungen“. Alle Texte der Kolumne finden Sie hier.

Als sie den weißen Puder auf ihrem Gesicht und Hals verteilte, schimmerte ihre braune Haut durch. Mich überkam der Gedanke, wie sie in eine Schüssel Mehl gestolpert sei, mit dem Gesicht voraus, aber es war nicht zum Lachen. Vielmehr verwirrte mich die Schmink-Routine meiner Cousine. Als ich darauf hinwies, dass ihre kosmetischen Produkte nicht ihrer Hautfarbe entsprechen, antwortete sie mir schnippisch, dass sie hier in Afghanistan keine europäische Kleidung tragen könne wie ich und ihr nur das Gesicht blieb.

Einige Zeit später stoße ich auf eine Rede der ägyptischen Frauenrechtlerin Malak Hifni Nasif aus dem Jahre 1910, gehalten an der Ägyptischen Universität in Kairo. Darin lehnt sie es ab, dass die Frauen der urbanen Oberschicht den europäischen Schönheitsidealen nacheifern und sich dabei lächerlich machen, weil sie verkleidet wirken mit dem schlecht aufgetragenen Puder, das nicht ihrer Hautfarbe entspricht. Sie fragt ihre Zeitgenossinnen, warum sie nicht die Schönheit ihrer eigenen braunen Haut erkennen und warum sie die europäischen Korsetts den weiten Baumwoll-Gewändern vorziehen, trotz der ägyptischen Hitze.

Soweit zur Vergangenheit. Genau genommen sind dies Worte einer Aktivistin unter der britischen Kolonialherrschaft und doch unterscheidet sich der Diskurs kaum von jenem zwischen meiner Cousine und mir. Obwohl die Zeit vergangen ist, hat sich der Mythos um die Schönheit und Erhabenheit der Europäer*innen gehalten. Zwar ist heutzutage von Korsetts nicht mehr die Rede und der US-amerikanische Mediendiskurs hat mehr Wirkmacht als der britische, aber es sind dieselben Hierarchien und Bilder, die uns prägen.

Die Idee der Schönheit als ästhetisches Äquivalent zur Zivilisation

Viele der ehemaligen Kolonien haben während der zurückliegenden Jahrzehnte ihre Unabhängigkeit erlangt, aber Besatzung und Reorganisation haben nicht nur infrastrukturelle Zeichen hinterlassen, sondern auch das Bewusstsein der Menschen verändert. Der Kolonialismus war letztlich nicht nur eine politische Praxis, die auf Raum und Zeit begrenzt war, sondern ein globales Projekt, das ideologisch produziert und gerechtfertigt wurde.

Der Literaturwissenschaftler Edward Said identifizierte Formen epistemischer Gewalt vor allem in französischen und britischen Textdiskursen, die die kolonisierten Anderen vom europäischen Standpunkt aus definiert, ihre Geschichten erzählt, um dadurch das Bild des unterentwickelten Barbaren zu konstruieren. Gewalt liegt dabei darin, die anderen zu definieren, die epistemische Autorität über sie zu besitzen, also die Macht, Wissen zu kontrollieren und zu beanspruchen. Parallel zur epistemischen Gewalt der Sprache können wir auf der Ebene der bildlichen Wahrnehmung und Darstellung von einer bis heute anhaltenden ästhetischen Gewalt sprechen: Das Schöne findet erst im Widerspruch zum Nicht-Schönen, Hässlichen, Abartigen sich selbst. Wer definiert, was schön ist?

Welche Körper beherrschen oder prägen bis heute das Bild in den Medien? Welche Körper werden nicht dargestellt und wenn, dann nur unzulänglich? Unsere Wahrnehmungsgewohnheiten und unsere Praktiken sind weder zufällig, noch natürlich. Denn wie Annahmen in der Naturwissenschaft zeitweise die Rassenlehre oder weibliche Hysterie begründeten, sind auch Vorstellungen in der Kunst, Philosophie oder in der Lyrik, als Orte, in denen das Schöne und Erhabene beschrieben wurde, intellektuell produziert und historisch bedingt.

Diese Ideen haben eine Geschichte und sind selten von den politischen Interessen und gelebten Privilegien ihrer Autor*innen zu trennen. Aber wie kommt es dazu, dass viele Menschen sich bis heute von diesen überholten, sexistischen und rassistischen Ideen beherrschen lassen? Warum ziehen es viele Frauen noch immer in Betracht, sich zu bleichen oder schmerzhafte und kostspielige Operationen vornehmen zu lassen? Warum sind Schönheitsideale so resistent?

Zwar gibt es durchaus auch andere, strukturelle Kontinuitäten des Kolonialismus, die Unabhängigkeitskriege und die Gründung von Nationalstaaten überlebt haben. Viele der gegenwärtigen bilateralen Beziehungen zwischen ehemaliger Kolonie und Kolonisator, sicherheitspolitische, aber vor allem wirtschaftliche oder entwicklungspolitische Abkommen sind Ergebnisse der Kolonialzeit und die Grundlage für die heutige internationale Politik.

Doch die Ideen der Zivilisation und der Ästhetik gehen in die Subjektkonstitution des Einzelnen über. Sie betreffen den Körper und das Bewusstsein der Individuen und führen dazu, dass sie sich selbst regulieren. Niemand trägt jener Cousine diese weiße Maske auf und niemand wirkte mit physischer Gewalt auf die Ägypterinnen ein, um sie in Korsetts zu zwängen. Schönheit agiert hier als ästhetisches Äquivalent zur Idee der Zivilisation, als das Erstrebenswerte, das Bessere. Es handelt sich um eine Idee, die wir konsumieren durch ihre Exklusivität, wenn Repräsentation, Sympathie und Privilegien nur einer Gruppe vorbehalten sind und die Anderen lernen diese nachzuahmen. Schönheit ist eine grundsätzlich perverse Idee, da sie erst durch die Ausgrenzung und das Unsichtbarmachen der Anderen an Wert erlangt.

Europäische/ weiße Schönheitsideale sind keine zufälligen oder irrelevanten Vorstellungen vom Schönen, sondern durchsetzungsfähige Konzepte, die konsumierbar sind und sich deshalb real anfühlen. Wie das zivilisatorische Versprechen der britischen und französischen Kolonien, ist dieser begrenzte Schönheitsbegriff ein Ziel, das tatsächlich angestrebt werden kann und die realpolitische Macht seiner Ursprungsländer verleiht ihm Relevanz und Bedeutung. Europäische Werte, Bildung, Technologien und Philosophie gehören zu den Werkzeugen der Idee der „Entwicklung“. Ebenso bietet der Markt Produkte, um sich dem Schönheitsideal anzunähern. Beide Diskurse kreisen um das Versprechen, sich einem globalen und kosmopolitischen Zeitgeist anschließen zu können, ein relevanter Jemand zu werden in einer Welt, die nach Westen schaut.

Der Mythos der hellen Haut

Der Gedanke „Heller ist besser“ erscheint allgegenwärtig. Hell wird mit Sauberkeit, Reinheit, Unschuld und Natürlichkeit gleichgesetzt, während das archaische Schwarz oder die Dunkelheit immer als die antagonistische Kehrseite des Guten dient. Auf dieser Prämisse gründen viele Hierarchien, die von der visuellen Ausgrenzung dunklerer Menschen in den Medien reicht, bis hin zur Annahme, dass der sozio-ökonomische Status oder die Intelligenz eines Menschen von seinem Melanin-Gehalt abzulesen sei.

 Screenshot. Die Webseite der Kosmetikfirma "Fair and Lovely" stellt helle Haut als erstrebenswert dar. Bild: Screenshot.

 

Die auf Haut-Aufhellung spezialisierte Kosmetik-Reihe Fair and Lovely begründet ihre ganze Produktvermarktung und Inszenierung auf den simplen rassistischen Gedanken, dass heller gleichzeitig besser bedeutet. Die graduelle Aufhellung als Prozess der Verwandlung wird in Grafiken und Animationen abgebildet und begleitende Erzählungen vermitteln den Anschein, man werde nicht nur heller, sondern die beste Version seiner selbst. Auf ihrer Website wird damit geworben, dass die Creme das Leben vieler Frauen verändert und zu Erfolg, Unabhängigkeit und einer vorteilhaften Ehe geführt habe. Die Tochtergesellschaft Hindustan Unilever der britisch-niederländischen Firma Unilever vertreibt ihren Haut-Aufheller unter anderem in Indien, Bangladesch, Malaysia, Indonesien, Singapur, Thailand, Sri Lanka und Pakistan.

Der Mythos der europäischen Stupsnase

Unter dem Stichwort des „Ethnic Rhinoplasty“ oder zu Deutsch der ethnischen rhino-plastischen Chirurgie bieten Schönheitschirurgen in den USA Eingriffe an, die auf sogenannte „ethnische“ Patient*innen zugeschnitten sind. So heißt es beispielsweise bei einem Chirurgen aus dem kalifornischen Beverly Hills in der Beschreibung, dass die eigene Nase das ethnische Erbe eines jeden Menschen mit begründe und ein chirurgischer Eingriff auf Wunsch diesen beibehalten oder verändern könne. Bei einer simplen Google-Bildersuche werden einem bei „Ethnic Rhinoplasty“ ausschließlich nicht-weiße Menschen angezeigt, die ihre Nasen schmaler oder kleiner operiert haben.

 Screenshot. Das Ergebnis einer einfachen Google-Bildersuche nach "Ethnic Rhinoplasty" - die Patient*innen sind ausnahmslos nicht-weiße Menschen. Bild: Screenshot.

 

Laut einem Bericht der iranischen Zeitung Etemad lassen sich jährlich bis zu 200.000 Iraner*innen ihre Nase verkleinern oder anheben. Damit gilt der Iran als Zentrum rhino-plastischer Eingriffe. Doch auch ohne die Zahlen zu kennen, gelangt man bei einem oberflächlichen Blick in die urbane Gesellschaft Irans zu einer ähnlichen Einschätzung. Die operierte Nase gilt als Statussymbol und wird nicht nur genderübergreifend praktiziert, sondern auch generationenübergreifend. So kommt es nicht selten vor, dass die Nasenverkleinerung zur Familientradition gehört und den Töchtern zur Volljährigkeit zum Geburtstag geschenkt wird. Die kleine „europäische“ Nase ist zu einem Trend geworden, während die ethnische Eigenart der markanten „persischen“ Nase als genetisches Übel abgelehnt wird. Bei einem wachsenden Markt praktizieren laut der britischen Zeitung The Guardian nur 157 von ca. 7000 Anbietern als lizenzierte Chirurgen, sodass viele der Patient*innen durch fehlerhafte Operationen und Komplikationen gefährdet sind.

Doch die große, breite oder in irgendeiner Form markante Nase wird nicht nur chirurgisch beseitigt, sondern auch wegmassiert und optisch verfremdet. Allein der arabische Ableger des französischen Modemagazins VOGUE bietet unter dem Suchwort „slimmer nose“ gleich drei Anleitungen an, wie ihre Leser*innen die eigene Nase nicht-operativ verkleinern können. Sei es durch eine fragliche Massage, die es erlaubt, die Nase langfristig zu formen, oder der aktuelle Trend des „Contouring“, der durch farbliche Schattierung und Aufhellung der Haut die Nase kleiner, die Wangenknochen höher, die Haut heller, die Lippen voller und die Augen größer erscheinen lässt.

 Screenshot. Schminktipps und Massagetechniken werden auf der Website von VOGUE Arabia zur Verkleinerung der Nase empfohlen. Bild: Screenshot.

 

Ästhetische Gewalt und blutende Schnittwunden

Die Lokalität europäischer und weißer Schönheitsideale auf der einen Seite und ihre Globalität und Durchsetzungskraft auf der anderen sind ein Widerspruch. Doch die überproportionale Repräsentation von Europäer*innen und aus Europa stammenden US-Amerikaner*innen im Zusammenhang mit der realpolitischen Macht ihrer Herkunftsländer erschafft weiterhin den Mythos ihrer Schönheit und Erhabenheit bzw. Relevanz gegenüber Anderen.

Was passiert mit den Menschen, die innerhalb dieser Diskurse sozialisiert werden? Müssen sie sich entscheiden zwischen der Assimilation oder sozialer Irrelevanz? Wie weit können sich Körper, die sich anatomisch von diesen Idealen unterscheiden, überhaupt ändern? Da viele dieser Schönheitsstandards Körper hierarchisieren, stellen sich viele Fragen: Inwieweit ist ein transformierter Körper mit dem natürlichen Körper gleichzusetzen – wird eine gebleichte Iranerin mit verkleinerter Nase jemals auf dieselbe Art und Weise gesehen wie eine natürlich blond geborene Schwedin? Wohin bewegt sich ein solcher Diskurs? Wird sich der Markt noch authentischer wirkende chirurgische Eingriffe und chemische Lösungen überlegen? Lautet das neue Versprechen: Es gibt keinen Rassismus, weil jede*r weiß werden kann?

All diese Fragen drängen sich einem auf, wenn der Kapitalismus den Einzelnen verspricht, sich selbst erschaffen zu können, aber ihnen als Vorlage das immer selbe Bild vorhält. Anti-rassistische und queere Ansätze in der Mode, Musik und Kunst bieten einige Ansätze an, wie die Kontinuität und die Mythen des Kolonialismus gebrochen werden können. Sichtbarkeit und Repräsentation sind dabei zentrale Schwerpunkte des Widerstands, welcher vor allem visuell wirkt und sich aus Bildern generiert.

Die Instagrammerin und Künstlerin Ayqa Khan ist eine von vielen, die ihren eigenen Körper einsetzen, um Wahrnehmungsgewohnheiten zu brechen. Dabei geht es gar nicht darum bestehende Ideale durch neue zu ersetzen: wie etwa „kurvig ist weiblicher als dünn” oder „dunkel ist interessanter als hell”. Vielmehr ist das Ziel, die Macht und Gewalt dieser vermeintlich harmlosen kosmetischen Diskurse aufzuzeigen, wie sie teilweise Menschen aufgrund von Minderwertigkeitskomplexen oder körperlicher Selbstentfremdung an der gesellschaftlichen Teilhabe hemmen.

Die Abbildung eines schwarz behaarten Arms, eines braunen Gesichts oder einer langen Nase würde mit derselben Konnotation wie sie die Körper in unserer Hautcreme Werbung erfahren, bereits einige Mythen entlarven, mit denen wir aufgewachsen sind.

Moshtari Hilal ist freischaffende Künstlerin in Hamburg und Berlin.