10.09.2018
War on Terror – Wenn die Strategie scheitert
Seit über 15 Jahren schon werden US-Soldaten in die Ferne geschickt, um Terrorismus einzudämmen, wie hier in Afghanistan. Doch die Erfolge sind mehr als überschaubar - Zeit genauer zu fragen, warum. Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/US_10th_Mountain_Division_soldiers_in_Afghanistan.jpg
Seit über 15 Jahren schon werden US-Soldaten in die Ferne geschickt, um Terrorismus einzudämmen, wie hier in Afghanistan. Doch die Erfolge sind mehr als überschaubar - Zeit genauer zu fragen, warum. Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/US_10th_Mountain_Division_soldiers_in_Afghanistan.jpg

2001 ausgerufen, hat der "war on terror" seine Ziele allesamt verfehlt: Terrorismus hat zugenommen, Extremisten sind global präsent und vor allem in Westasien, der auserkorenen Kernregion des "war on terror", ist die Situation instabiler geworden. Was lief falsch?

Der erste Hammerschlag fiel in Afghanistan. Am Hindukusch, wusste man, sitzt der Feind und dort setzte man an. Viel war über ihn nicht bekannt, außer einigen Gesichtern und Namen gab es kaum Informationen. Doch der Schock im September 2001 war zu groß, sein Angriff zu erschütternd, als dass weiteres Warten in Frage gekommen wäre. Man sammelte hastig, was CIA und FBI zuvor in gegenseitiger Konkurrenz ermittelt hatten, nahm an, was die Iraner an Hilfe anboten, und organisierte im Schnelldurchlauf eine Invasion in ein Land, das bisher noch jeden Eindringling vertrieben hatte.

Weil der eigentliche Feind unauffindbar war, griffen die USA diejenigen an, die ihn beherbergten: jene Gruppe paschtunischer Prediger, die 1996 aus dem Süden mit Pakistans Unterstützung eine Bewegung unter dem Schwur ausgerufen hatte, die Anarchie des afghanischen Bürgerkrieges zu beenden. Sie wollten das Chaos durch eine Mischung aus ihrem Gesellschaftscodex, dem Paschtunali, und islamischen Rigorismus ersetzen. Mit dem Feind der USA, ihrem Gast seit ihren Gründungstagen, teilten sie nicht viel, weder politisch noch ideologisch, und wahrscheinlich hätten sie ihn schon nach dessen Anschlägen von 1998 in Ostafrika ausgeliefert, wären die Tomahawk-Raketen der USA nicht eine zu große Provokation für sie gewesen. Ab da stellten sie sich stur – und blieben es. Die Taliban wollten weder damals ihre Gäste unter Druck und Zwang einer fremden Macht verstoßen, noch 2001. So hielten sie den Kopf hin, als der Hammerschlag fiel.

Binnen weniger Wochen gingen sie unter und lösten ihre auf Repression und Brutalität basierte Ordnung auf. Unter großer internationaler Beteiligung kamen ihre Widersacher anschließend Ende 2001 in Bonn zusammen, schmiedeten ein neues System, einigten sich auf freie Wahlen, betonten Demokratie und Menschenrechte. Die USA waren dessen Hauptunterstützer, sahen sich nun als Wächter jener Werte, nicht nur in Afghanistan, sondern darüber hinaus. Ihr Präsident machte dies erfolgstrunken in seiner alljährlichen Rede vor dem US-Kongress wenige Wochen später klar, sprach von „Gut“ und „Böse“, einer Dichotomie ohne Grautöne. Doch die Feinde waren plötzlich nicht mehr diejenigen, wegen denen man in Afghanistan einfiel. Er sprach nun von Ländern wie Irak, Iran und Nordkorea, rief den war on terror aus, verteufelte die axis of evil. Eine Verbindung zwischen beiden gab es nicht, wurde auch gar nicht gesucht. Um was ging es also eigentlich? Was lancierte Bush 2002?

Strategielosigkeit und Strategie

Ging es um den 11. September, die Förderung von Demokratie, oder um Staaten, die sich gegen die US-Ordnung stellten? Der Hammerschlag in Afghanistan war militärisch nahezu chirurgisch ausgeführt, die Politik dahinter hingegen unklar und verschwommen. Es gab keine Strategie, nur vordefinierte Gegner. Der ursprüngliche Feind hatte hingegen von Beginn an einen klaren Plan. Das war sein Vorteil.

Dabei half ihm die Unbestimmtheit der Gegenseite. Er konnte sich bereits vor dem Fall des Hammers unbemerkt absetzen und alles ohne Gefahr beobachten. Die Zeiten von penibel geplanten Anschlägen wie in Aden oder New York waren zwar mit dem neuen Leben auf permanenter Flucht vorbei, aber er hatte sein Hauptziel erreicht mit der Provokation: der kriegerische Eintritt der USA in die muslimische Welt. Bald schon, angetrieben durch den Wunsch die Invasoren zu vertreiben, sollten sich die Muslime unter seinem Banner vereinen und den Kampf aufnehmen. Zwei Seiten sollten so entstehen, eine reine Binarität mit Muslimen und Nicht-Muslimen. Dadurch sollten die USA dasselbe Schicksal ereilen, wie einst die Sowjets, der totale Kollaps im afghanischen Friedhof angesichts der vereinten Mujahidin und damit der Sturz aller unislamischen, US-finanzierten Regierungen in der Region. Die Qaida, die Basis, sollte den Kern dafür bilden; die Speerspitze, um dieses Ziel voranzutreiben.

Doch auch wenn sie zumindest einen Plan hatte, gab es Probleme: Anfangs verstrickten sich die USA nicht in Afghanistan, sondern brachten nach Jahren der Unterdrückung positiven Wandel ins Land, während viele Taliban ihren Frieden mit der neuen Ordnung als Besiegte fanden. Die Qaida musste hingegen ins Niemandsland fliehen, wo sie Niemande wurden und damit jeglichen Einfluss verloren. In ihrer Not reagierten sie und machten aus der Basis (al-Qaida) die Organisation der Basis: Tanzim al-Qaida, ein Franchise-System. Ihr Name wurde zum Logo, das jeder nutzen konnte, solange er ihrem Anführer vorher die Treue schwor. So konnte sie in ihrem Niemandsland so tun, als wäre sie noch operationell, während sich lokale Extremisten egal wo, Publicity, Rekruten und Gelder für ihren Zweck zugänglich machen konnten. Jeder, überall, der will und kann, sollte ihre Ziele verwirklichen und die USA und unislamische Regierungen angreifen. Doch die Lockerung der Organisation brachte ein Problem mit sich: Was, wenn jemand ihren Namen nutzt, um eigene Ziele zu verfolgen?

Vom Glück eines Verlierers

An einem ehemaligen Kleinkriminellen aus Jordanien sollte sich jenes Problem aufwerfen. Als eigentlicher Versager mit einem vom Fehlentscheidungen geprägten Leben war er es, der die Frage des Terrorismus nachhaltig prägte und sowohl der Qaida, als auch den USA Kopfzerbrechen bereitete. In den 80ern war er noch zu spät auf den Zug nach Afghanistan aufgesprungen und kam, als die Sowjets bereits gingen. Er setzte auf den falschen Warlord im afghanischen Bürgerkrieg und verhielt sich schließlich töricht genug, um bei seiner Rückkehr verhaftet zu werden. Zwar folgte er dem Pfad seiner Vorbilder der Qaida zurück nach Afghanistan, nachdem er 1999 aus der Haft entlassen wurde, bekam allerdings kein Treffen mit ihnen und wurde mit der Aufsicht eines kleinen Trainingscamps in Herat abgespeist. Dessen einziger Vorteil war die nahe Grenze zu Iran, über die er fliehen konnte, als sich der Hammerschlag der USA anbahnte. Er ließ sich im Nordirak bei einer kleinen Gruppe kurdischer Islamisten nieder und begann in der Einöde mit Bomben zu experimentieren – unter den wachsamen Augen der CIA.

Zarqawis Leben wäre weiterhin von Scheitern geprägt gewesen, hätten die USA ihn nicht in ihrem Versuch, ihre Strategielosigkeit am Vorabend der Irak-Invasion zu kaschieren, berühmt gemacht, wie nur wenige vor ihm. Ihr Geschenk an ihn war es, Zarqawi, einen Anführer einer unbedeutenden Miliz, in einem entscheidenden Moment im höchsten Organ der Weltpolitik namentlich durch den US-Verteidigungsminister persönlich zu erwähnen. Zarqawi wunderte sich wahrscheinlich selber, wie Colin Powell ihn mit jenen hochrangigen Figuren der Qaida in Verbindung bringen konnte, die ihm zuvor noch die kalte Schulter gezeigt hatten und wieso er ihn Topterrorist nannte, wo er doch in der Bedeutungslosigkeit lebte. Von Kontakten zu Saddam Hussein ganz zu schweigen. Doch das Wie und Warum konnten ihm egal sein: Abu Musab az-Zarqawi wurde im Februar 2003 auf einen Schlag berühmt.

Wenn eine Hand die andere füttert

Die USA brauchten in ihrem Lügenkonstrukt für die Irak-Invasion jenes Puzzleteil namens Terrorismus. Massenvernichtungswaffen und Demokratie alleine waren nicht ausreichend. So wurde die irakische Regierung zum Unterstützer einer Gruppierung, die nicht mehr war als ein Geist ihrer eigenen Vergangenheit und der in allem gescheiterte Zarqawi ein zweiter Bin Laden. Später würden CIA-Agenten selbst zugeben, wie fassungslos sie mitangesehen hatten, was die US-Regierung mit ihren sorgfältig erarbeiteten Analysen anstellte. Doch es funktionierte: Bush sprach zuvor von Gut und Böse und sorgte nun dafür, dass der nächste Böse fiel. Der Hammerschlag im Irak war ähnlich präzise wie in Afghanistan, wobei Saddams Macht nach Jahren von Sanktionen so porös war, dass sie sich sowieso rasch auflöste. Was die USA im Irak wirklich wollten, verlor sich in ihrem dreifaltigen Lügenkonstrukt, es könnte der Drang nach Hegemonie gewesen sein, der Größenwahn einer elitären Gruppe weißer Männer oder einfach nur Erdöl.

So ironisch es sich anhört, so sehr profitierten die beiden Kontrahenten voneinander im Moment der Invasion: Die USA konnten über das Wort Terrorismus einen geopolitischen Schachzug begründen, während die Qaida in ihrem Niemandsland plötzlich sah, wie ihre Reputation und ihr Plan einen immensen Schub erfuhren. Immerhin waren US-Soldaten nun nicht im fernen Afghanistan, sondern nahe dem Herzen der islamischen Welt im Irak. Früher oder später würden sie Fehler begehen, Muslime gegen sich aufbringen und an zwei Fronten dann bekämpft und besiegt werden können. Außerdem war mit dem ehemaligen Kleinkriminellen und unverhofften Topterroristen Zarqawi jemand da, der durch seine neue Prominenz und unverhohlene Brutalität das sicherstellte: Er sorgte schnell dafür, dass sich Begriffe wie Befreiung und Demokratie in Staub auflösten, als er – in eigenständiger Planung im August 2003 mit zwei verheerenden Anschlägen auf das UN-Hauptquartier und den Großayatollah Baqir al-Hakim Schockwellen aussendete. Damit provozierte er die USA und die gesamte irakische Nachkriegsordnung und eröffnete eine Spirale der Gewalt, die sich bis heute dreht.

Die Qaida sah die Dienlichkeit der Zerstörungskraft des einst verschmähten Zarqawis für ihren Plan und bot ihm 2004 an, Teil ihres Franchises zu werden. Er willigte ein und wurde ihr offizieller irakischer Ableger, seine Gruppierung zur Organisation der Qaida im Zweistromland. Doch da Zarqawi nicht eins zu eins wollte, was sich die Qaida vorstellte, waren Differenzen vorprogrammiert: Für ihn ging es primär nicht darum, die USA aus der Region zu vertreiben und zu stürzen, sondern um die Ausrufung eines sunnitischen Kalifats. Was die Qaida als langfristiges Ziel erachtete, wollte Zarqawi ohne Umwege direkt erreichen. Das Mittel dafür: die Schiiten des Iraks solange mit Anschlägen traktieren, bis sie sich in blinder Wut an den Sunniten vergehen, die sich dann auf der Suche nach einem Beschützer in seine Arme treiben lassen. Kein religiöses Konzept, sondern klassische Guerilla-Kriegsführung, um zwei Seiten zu schaffen, Gut und Böse, ohne Grauton. Der Anschlag auf den hochgeschätzten Baqir al-Hakim war hierfür der Anfang, der Anschlag auf die für Schiiten heilige Moschee in Samarra‘ im Februar 2006 der Höhepunkt. Zarqawi wollte Chaos stiften, um sich als Ordnung präsentieren zu können. Genau das verfolgte er gnadenlos mit einer brutalen Gewaltwelle.

Doch für die Qaida war sein Verhalten nicht akzeptabel: Schiiten seien zwar nach den Worten von Vizechef Ayman al-Zawahiri Abtrünnige, aber ihre Ignoranz verzeihbar. Anschläge auf Moscheen und Marktplätze, wie sie Zarqawi zelebrierte, absolut nicht. Der Feind waren die USA und unislamische Regierungen, nicht Zivilisten. Ein Brief sollte das erklären, doch Zarqawi zeigte sich stur. Statt Antworten schickte er kurz darauf drei Attentäter nach Jordanien, wo sie sich inmitten von Hotelgästen in die Luft sprengten. Der Grund: In Zarqawis Weltbild hieß es mit ihm oder gegen ihn und gegen ihn stand jeder, der sich ihm widersetzte. Unschuldige gab es in seiner Welt nicht, jeder war ein Ziel, kein Mittel verboten. Doch in seiner blinden Blutrünstigkeit hatte er das Entsetzten auf allen Seiten nach dem Dreifachanschlag unterschätzt.

Die Fehler des Einen...

Die Qaida hatte da genug: Anschläge gegen westliche Zivilisten, Soldaten und schiitische Ziele, wenn sie denn zweckdienlich sind, seien vertretbar, aber sunnitische Zivilisten ein absolutes Tabu. Zu sehr leide die eigene Popularität darunter. Zawahiri hatte zuvor in seinem Brief noch geschrieben, wie wichtig es sei, die Meinung der Durchschnittsmuslime zu berücksichtigen und Aktionen zu unterlassen, für die diese kein Verständnis hätten. Jetzt ließ er Zarqawi drohen, solchen Methoden abzuschwören oder von der Basis offiziell verstoßen zu werden.

Er lenkte ein, aber da es war schon zu spät: Sein skrupelloses Vorgehen hatte zu viele abgeschreckt, er verlor Gefährten und Boden. Als Zarqawi im Juni 2006 durch einen Luftschlag getötet wurde, war seine Gruppierung nur noch ein Schreckgespenst, das ausschließlich für seine Grausamkeit, Enthauptungsvideos und Massaker bekannt war. Vom einst heroisch porträtierten Widerstand gegen die US-Besatzung war nichts mehr übrig – genau wovor ihn Zawahiri einst gewarnt hatte. In der Stunde des Niedergangs reorganisierten Zarqawis Männer sich, viele von ihnen ehemalige Häftlinge des US-Luxusgefängnisses Camp Bukka. Sie riefen eine Gruppierung aus und schworen al-Qaida keine Treue mehr. Gemäß dem eigentlichen Hauptziel ihres früheren Anführers nannten sie sich 2007 al-dawla al-islamiyya fi-l Iraq: der islamische Staat im Irak. Sie gingen in den Untergrund, um nur vier Jahre später, als im Nachbarland friedliche Zivilproteste mit Kugeln und Folter beantwortet wurde, ihre Chance zu wittern und sich erneut im Chaos als Ordnung zu etablieren. Zunächst unter den Fahnen des syrischen Qaida-Franchise, dann mit größeren Ambitionen eigenständig. Aus ihnen erwuchs mit vielen der Taktiken, die die irakische Qaida unter Zarqawi anwandte, der Islamische Staat, Da’esh.

…Die Fehler des Anderen

Für die USA hätte der Niedergang von Zarqawi ein großer Erfolg sein können, wäre sein Aufstieg nicht durch sie selbst erst begünstigt worden. Was ihm nutzte war die Unordnung im Irak, die verhasste US-Besatzung, ein fehlender politischer Plan der Invasoren und – dank der Powell-Rede – seine Prominenz. Die USA merkten, wie einfach es war, als größte Militärmacht der Welt militärisch zu siegen, aber wie schwer die Aufgabe danach, das nationbuilding ist. Mit dem Gewehr in der Hand und Soldaten auf der Straße lassen sich Staaten zwar stürzen, aber nur schwer aufbauen – dieser strategische Schwenk misslang den USA.

Denn am Ende bleibt eine Besatzungsmacht genau das – ein fremder Eindringling, den die Bevölkerung nicht will und bekämpft, wenn die Bevormundung und Erniedrigung überhand nimmt. Das geschah im Irak. Statt das zu berücksichtigen, stellten die USA, angesichts der Gewalt gegen sich, eine Binarität auf: diejenigen, die ihre Autorität und Ordnung akzeptieren, mit ihnen arbeiten, und diejenigen, die sich gegen sie wenden. Kompromisse und Verständnis gab es nicht, stattdessen, getrieben durch Zarqawis Anschläge, immer archaischere Gegenmaßnahmen, Massenentführungen und Foltereinrichtungen. Die USA schlitterten, ohne es zu merken, immer weiter in einen Teufelskreis. Die Feinde waren mal Zarqawi, mal schiitische Milizen, mal sunnitische. Jeder, der sich ihnen widersetzte, wurde als Terrorist betrachtet, egal welche Motivation er dafür hatte. Sie sahen jeglichen Widerstand als Nagel, auf dem sie dem Hammer einschlugen. Funktioniert hat das nicht - nach drei Jahren Besatzung starben so viele Menschen täglich, dass Behörden jeglichen Überblick verloren.

Erst als General Petraeus 2007 den Schlussstrich zog und mit vielen Dollarbündeln Frieden von ehemaligen Feinden erkaufte und die vom US-Kongress eingesetzte Bakers-Kommission die Bush-Regierung zwang, sich mit Iran abzusprechen, kam so etwas wie eine Beruhigung. Die Tode nahmen ab, Checkpoints und Explosionsschutzwände wurden teilweise abgebaut. Aber bis dahin war es schon viel zu spät und der Irak ruiniert.

Tragisch ist, dass sich eine ähnliche Dynamik in Afghanistan abspielte: zunächst wurde der Fall des alten Systems begrüßt, die Zukunft freudig erwartet, bis nach und nach die Stimmung kippte. Es war nicht unbedingt die fehlende Differenzierung wie im Irak zwischen Terror und Widerstand und ein blutrünstiger Widersacher, sondern der Druck, die Verantwortlichen des 11. Septembers zu finden. Es war kein Anpeitscher wie Zarqawi im Rücken, der die USA dazu trieb, auf Massenentführungen und Foltereinrichtungen zurückgreifen, sondern eine US-Administration, die Stärke demonstrieren wollte, anstehende Wahlen zuhause und insbesondere die afghanischen Verbündeten.

Denn jene lokalen Hilfstruppen, mit denen die Taliban gestürzt wurden, wollten nach jahrelanger Unterdrückung die erfahrene Ungerechtigkeit ausgleichen und begannen, selber ungerecht zu werden. Dabei nutzten sie den einzigen Vorteil, den sie hatten: die Ohren der USA, die begierig darauf waren, jene Feinde zu finden und einzusperren, für die sie in Afghanistan einmarschiert waren. So erfanden sie Geschichten und Verbindungen, um unliebsame Konkurrenten loszuwerden, indem sie die Zauberworte „Taliban“ oder „al-Qaida“ sprachen. Den Rest regelten dann US-Soldaten, manchmal auch Bagram oder Guantánamo. Washington brauchte Zahlen, um das verletzte Gemüt daheim zu beruhigen und diesen Krieg zu rechtfertigen und nahm alles dankbar an, ohne nachzufragen. Dass am Ende eigene Verbündete, Anti-Taliban und Demokraten hinter Gittern landeten, entwürdigt und misshandelt wurden, fiel erst auf, als es schon zu spät war.

Da viele der ungerecht Behandelten Gerechtigkeit im neuen System nicht einfordern konnten, blieb die neue afghanische Regierung zahnlos, autoritätslos. Da zudem noch ehemalige Warlords als ihre Verbündeten an die Macht kamen, deren Brutalität und Willkür der der Taliban nur in wenig nachstand, verlor die Regierung auch noch ihren verbliebenen Vorteil: Sie wurde nicht mehr als die bessere Alternative angesehen. Die Wut wuchs, das Vertrauen sank, bis sich nach und nach gewalttätiger Widerstand formierte, der ähnlich brutal und ähnlich undifferenziert wie im Irak niedergeschlagen wurde. Afghanistan war ruiniert.

Der Fluch des Terrorismus

Die USA riefen damals einen Krieg aus und zogen in diesen mit einer Dichotomie: die Feinde, ob al-Qaida, die Taliban, Zarqawi oder irakische Milizen auf der einen Seite, sie auf der anderen. Sie nannten es „war on terror“ und meinten, es sei ausreichend, es als einen Feldzug zu begreifen, in denen der Gegner komplett besiegt werden muss. Doch womit militärische Konfrontation auskommen, scheitern politische Herausforderungen. Eine Dichotomie ist ein Spiegel, der einen selbst über die Gegenseite definiert, aber um ein Konzept für ein Land, einen Staat, anzubieten, einen Neuanfang, braucht es mehr als nur den Fingerzeig auf die andere Seite. Es braucht Ideen, die nicht abstrakt sein dürfen, wie Demokratie, wenn die Kandidaten im Vorfeld ausgesucht werden oder Menschenrechte, wenn jeder verschwinden und gefoltert werden kann, ob schuldig oder unschuldig. Oder der Appell zur Gewaltlosigkeit, wenn jeden Tag archaisch aussehende Fremde auf den heimischen Straßen mit Waffen im Anschlag und gepanzerten Fahrzeugen herumfahren - und allerhand Gerüchte über sie und ihre Taten im Umlauf sind.

Die Geschichte des Terrorismus bietet viele Lektionen. Allein die Invasionen im Irak und Afghanistan zeigen, dass es um viel mehr geht, als nur die Verbindung mit dem Islam. Es sollte gelten, diese Lehren genauer aufzuschlüsseln, präziser zu betrachten und die Schlüsse zu ziehen, die sie beinhalten. Die Strategie ist gescheitert – das ist allein an der gewachsenen Zahl an Terroristen und Anschlägen deutlich. Warum sie nicht funktionierte, wo die Fehler lagen und mehr Empathie für die Gegenseite, das sollten die Ansätze sein. Vor allem: mehr Differenzierung. Radikalislamisch, islamistisch, jihadistisch – all diese Begriffe werden wild vermischt, ob für al-Qaida, die Taliban oder Da’esh. Doch es sind keine Synonyme und die Pläne, Ziele, Strategien der Gruppierungen verschiedenartig.

Wie drängend eine Aufarbeitung ist, zeigt der bereits vor einiger Zeit stattgefundene Schwenk in der Strategie: Westliche Staaten haben sich von einem Grundelement des damals ausgerufenen „war on terror“ entfernt, nämlich dem damit verbundenen Versuch der Demokratisierung. Jetzt werden stattdessen vermehrt Autokratien und Militärregime eingespannt, in der Hoffnung, über deren projizierte, mit Militärhilfen verstärkte Stabilität, Terrorismus kleinhalten zu können. Ein Punkt stimmt dabei, wie die Beispiele in Irak und Afghanistan gezeigt haben: Instabilität ist der ideale Nährboden für Terroristen. Doch die eigentliche Saat, dessen Ausgangspunkt, Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Unterdrückung, werden so eher vergrößert. Die bessere Strategie ist es insofern nicht.

Ironisch ist, dass Extremisten um al-Qaida, dem IS und auch die Taliban ihre Strategien änderten, nachdem sie ihren Misserfolg bemerkten. Die Staatengemeinschaft gegen den Terror ist da wenig flexibler. Das kam zu ihrem Nachteil.

Parham Kouloubandi studiert an der Sciences Po in Paris International Security und beschäftigt sich hauptsächlich mit sicherheitspolitischen Fragen und zwischenstaatlichen Beziehungen in Westasien. Sein Fokus liegt auf bewaffneten Konflikten und Diplomatie, vor allem in Hinblick auf die UN. Er ist zudem als Berater für eine ägyptische...
Redigiert von Adrian Paukstat, Brandie Podlech