19.03.2023
Verbot durch die Taliban: Das Nawroz-Fest in Afghanistan ist bedroht
Mazar-e-Sharif's Blue Mosque. Photo: Lonni Friedman CC BY-NC 2.0
Mazar-e-Sharif's Blue Mosque. Photo: Lonni Friedman CC BY-NC 2.0

Um den 21. März feiern Menschen in Kurdistan, Iran und Afghanistan Nawroz, Norouz, Newroz – das neue Jahr. In Afghanistan ist das Fest seit 2022 jedoch verboten, dabei spiegelt es die kulturelle Tradition und Vielfalt des Landes wider.

Seit über 3.000 Jahren kündigt Nawroz den Beginn des Frühlings und des neuen Jahres an. Verschiedene ethnolinguistische Gruppen in West- und Zentralasien, dem Südkaukasus, dem Balkan und Südasien, begehen Nawroz jedes Jahr um den 21. März. Es gibt regionale Unterschiede, wann genau die großen Feierlichkeiten stattfinden, doch überall wird damit das neue Jahr eingeläutet.

Im März 2022 begleitete die Bevölkerung im afghanischen Mazar-e-Sharif jedoch eine Stimmung der Unsicherheit, während sie sich auf ihre jährlichen Nawroz-Feierlichkeiten vorbereitete. Es war klar, dass die Taliban dem Nawroz-Fest teilweise kritisch gegenüberstanden. Und so genehmigten die örtlichen Taliban-Funktionäre die offiziellen Vorbereitungen nur unter Vorbehalt. Schließlich, nur zwei Tage vor Nawroz, verkündete der Taliban-Sprecher Zabiullah Mudschahid die Absage des offiziellen Festes: Nawroz sei „unislamischer“ Natur.

Der Sprecher der Moralpolizei der Taliban, Sadeq Akif Muhadschir, hat die Haltung gegenüber Nawroz weiter verschärft, indem er es als „Brauch der Feueranbeter“ verurteilte –eine abschätzige Bezugnahme auf Zoroastrier:innen [einer monotheistischen Religion aus dem heutigen Iran, Anm. d. Red.]. Begriffe wie diese werden häufig unter sunnitischen Extremist:innen verwendet, um Schiit:innen herabzuwürdigen und somit fälschlicherweise den Eindruck zu erwecken, dass alle Schiit:innen iranisch und zoroastrisch sein müssten. Schiitische Praktiken und Überzeugungen werden als Abweichungen vom Glauben angesehen – dabei ist Nawroz kein Bestandteil schiitischer Lehren.

Moderne sunnitische Extremist:innen, wie beispielsweise die Deobandi-Schule, zu der auch die Taliban gehören, lehnen jegliche Praktiken ab, die auch nur den Anschein haben, mit iranischen Kulturen in Verbindung zu stehen. Oft erkennen sie nicht, dass die einflussreichsten sunnitischen Gelehrten, deren Werke die Grundlage der traditionellen sunnitischen Lehren in den sechs kanonischen Überlieferungssammlungen bilden, aus größeren, iranisch geprägten Gebieten stammen. Dazu gehört Al-Buchari, ein bedeutender islamischer Gelehrter, der die nach ihm benannte Hadith-Sammlung zusammenstellte, welche von sunnitischen Muslim:innen als die authentischste aller Hadith-Sammlungen angesehen wird; oder Abu Hanifa, der als Gründer der hanafitischen Rechtsschule gilt und dessen persischsprachige Vorfahren aus Kabul stammten.

Darüber hinaus gehen nicht alle heutigen Bräuche auf zoroastrische Riten zurück. Einige bereits durch den Islam beeinflussten Nawroz-Bräuche existieren über Landesgrenzen hinweg in der gesamten Region, darunter auch die „Haft Sin“-Tafel. Haft Sin steht für sieben Elemente, welche verschiedene Aspekte des Lebens und den Beginn des Frühlings symbolisieren: Äpfel stehen für Gesundheit, Münzen für Reichtum und Knoblauch für Schutz vor dem Bösen. Die Haft Sin-Tafel verkörpert die Essenz von Erneuerung und Hoffnung für das kommende Jahr. Während sich einige ursprünglich zoroastrische Bräuche über die Zeit verändert haben, sind andere, wie etwa Tschahr-Shanbe Suri, das öffentliche Entzünden von Lagerfeuern und Feuerwerkskörpern am letzten Mittwoch vor Nawroz, gänzlich aus dem kulturellen Gefüge Afghanistans verschwunden.

Haft Mewah ingredients. Photo: Waleed CC BY-SA 4.0

Lass uns nach Mazar gehen und die Tulpen bestaunen

Eine afghanische Nawroz-Tradition ist die Zubereitung von Haft Mewah, (dt.Siebenfrüchte). Das Neujahrsgetränk besteht aus sieben verschiedenen Arten getrockneter Früchte und Nüsse: Rosinen, Mehlbeeren, Pistazien, Haselnüsse, getrocknete gelbe Pflaumen, Mandeln und Walnuss.

Bereits vor der Gründung des modernen Afghanistan haben sich alte und neue Traditionen vermischt. Ein bedeutender Aspekt von Nawroz in Afghanistan ist die Pilgerfahrt zum Schrein von Ali inn Abu Talib in der Stadt Mazar-e Sharif. Ali, der Vetter und Schwiegersohn des Propheten Muhammad, wird von sunnitischen Muslim:innen als vierter Kalif und von schiitischen Muslim:innen als erster Imam verehrt und festigt so seinen Status als zentrale religiöse Figur im Islam. Jedes Jahr brechen Tausende aus ganz Afghanistan zu dem Grabmal auf, um ihren Respekt zu zollen, Gebete zu sprechen und an den Nawroz-Feierlichkeiten teilzunehmen.

Quellen zufolge geht dieser Brauch mindestens auf das späte 15. Jahrhundert zurück: Das Volkslied „Mullah Mohammad jan“ stammt aus der historischen Stadt Herat und wurde vom Dichter Ali Sher Navai verfasst. Der Text erzählt die Geschichte der adligen Aischa, die ein Gelübde ablegt, als Freiwillige am Schrein von Ali in Mazar-e Sharif zu dienen, wenn sie ihren Geliebten, Mullah Mohammad, einen bescheidenen Studenten traditioneller religiöser Studien, heiraten darf. Das Lied erlangte in den 1970er-Jahren weltweiten Ruhm, mit verschiedenen Adaptionen von Musiker:innen wie Sarban, Googoosh und Sami Yusuf.

Red Tulips in Mazar-e-Sharif. Photo: Naikbeen Naikpay CC BY-NC-SA 2.0

Auch wenn Nawroz im Lied nicht ausdrücklich erwähnt wird, gibt es doch einen eindeutigen Hinweis: Das Lied besingt die „wilden Tulpen“. Im Norden Afghanistans, insbesondere in der Region rund um Mazar-e Sharif, ist das Mela-e Gul-e Sorkh, das Tulpenfest, eine berühmte Nawroz-Tradition. Nach dem Besuch von Alis Schrein bestaunen die Besucher:innen die leuchtenden, in der Umgebung wild wachsenden, roten Tulpen. Dieses Fest ehrt das Aufblühen des Liliengewächses und symbolisiert die Erneuerung und den Glanz des Frühlings. Über einen Zeitraum von 40 Tagen versammeln sich Menschen aus nah und fern in Mazar-e Sharif, um sich im scharlachroten Meer zu verlieren. Parallel zum Tulpenfest findet das Dschahenda Bala-Fest statt – die bedeutendste öffentliche Feier von Nawroz in Afghanistan.

Alis Flagge – Ein Symbol der Hoffnung

Das „Dschahenda Bala“, oder das „Hissen der Flagge“, markiert jährlich den Beginn von Nawroz: Im Innenhof der Blauen Moschee, dem Grabmausoleum von Ali in Mazar-e-Sharif, wird eine leuchtende Flagge gehisst. Diese Flagge ist als „Dschahenda“ bekannt und mit verschiedenen religiösen Zeremonien verbunden. Ihren Ursprung hat diese Tradition in der Derafsh Kaviani, einer legendären Flagge der antiken iranischen Zivilisation. Vorislamische „nationalistische“ Vorstellungen wurden durch religiöse islamische Rituale zu Ehren Alis ersetzt. Inmitten der Freude und des Beifalls tausender Besucher:innen vereint die Zeremonie normalerweise Sunnit:innen und Schiit:innen aus ganz Afghanistan und überwindet kulturelle und geografische Grenzen, während sie sich im Innenhof versammeln oder das Ereignis aus der Ferne verfolgen.

Schiitische Muslim:innen aus anderen Ländern haben nur eingeschränktes Verständnis für diese Tradition, da unter Schiit:innen weithin angenommen wird, dass Ali im heutigen Nadschaf im Irak begraben wurde. Einige Quellen legen sogar nahe, dass das Grab möglicherweise Zoroaster, dem Begründer des Zoroastrismus, selbst gehört. Die Religion des Zoroastrismus hat in Balch, in der gleichnamigen Provinz, ihren Ursprung. Die Feier von Nawroz in Afghanistan verkörpert eine kulturelle Verschmelzung, indem sie nahtlos alte vorislamische Bräuche mit spirituellen Elementen aus schiitischen und sunnitischen Traditionen verbindet. Diese Verschmelzung von kulturellen und religiösen Praktiken hat eine regionale, afghanische Ausdrucksform von Nawroz hervorgebracht, deren Symbolik fest in der Geschichte verwurzelt ist.

Die Nawroz-Feierlichkeiten in Afghanistan spiegeln das reiche und vielfältige Erbe des Landes wider, das durch eine komplexe Geschichte von Migrationen und kulturellem Austausch geprägt wurde. Von der Religion des Zoroastrismus bis zum Aufkommen des Islam wurden die Bräuche und Traditionen rund um Nawroz von der Vielzahl kultureller Kräfte beeinflusst, die Afghanistan in der Vergangenheit geformt haben.

Moderner Purismus vs. Traditionelle Vielfalt

In den letzten Jahren haben die Taliban verstärkt versucht, die afghanische Geschichte und Kultur umzuschreiben, was 2022 im Verbot von Nawroz als Feiertag gipfelte. Die Taliban versuchen so, der Weltöffentlichkeit, aber auch der Bevölkerung vor Ort, eine fundamentalistische Version des Islam aufzuzwingen, die im starken Kontrast zur vielfältigen Realität des Landes steht. Viele Afghan:innen sehen darin einen Versuch, ihr kulturelles Erbe zu tilgen und ihnen eine fremde Identität aufzuzwingen.

Die mangelnde Transparenz der Taliban in der Entscheidungsfindung ist seit ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 immer offensichtlicher geworden. Unabhängig vom Thema, seien es Menschenrechte, Frauenrechte oder andere Fragen, berufen sie sich auf das Totschlagargument der „afghanischen“ oder „islamischen Werte“. Sie argumentieren unspezifisch und wie es ihnen gerade in die Agenda passt. In ihrer Ablehnung demokratischer Wahlen oder beim Thema Bildung für Mädchen und Frauen, verweisen sie auf „afghanische Werte“. Bei Bräuchen und Traditionen, die in Afghanistan verbreitet sind, wie etwa das Feiern von Nawroz, rechtfertigen sie ihre Verbote dagegen mit islamischen Traditionen.

Dieser Ansatz ist nicht nur willkürlich, sondern zeigt auch die Unkenntnis der Taliban über Afghanistans Kultur und religiöse Praktiken, wie ihre Handhabung von Nawroz deutlich zeigt. Der eigentlich erste Tag des Jahres, ist fortan ein Werktag in Afghanistan.

 

 

 

Mina Jawad ist freie Autorin. Sie befasst sich mit der Konstruktion von Raum, Gender und ihren Wechselwirkungen. Ihre Schwerpunkte liegen in postkolonialer Analyse in Kunst, Kultur und Gesellschaft. Mina Jawad is a freelance writer. She works on the construction of space, gender and their interactions. Her work focuses on postcolonial analysis in...
Redigiert von Clara Taxis, Hanna Fecht