15.03.2024
Das Schweigen ist der Freiheit ihr Tod
Mina führt Beispiele auf, um die Einschränkungen von Journalist:innen in Deutschland aufzuzeigen. Grafik: Zaide Kutay.
Mina führt Beispiele auf, um die Einschränkungen von Journalist:innen in Deutschland aufzuzeigen. Grafik: Zaide Kutay.

Mina Jawad sieht Grundrechte in Deutschland bedroht: Ob durch abgesagte Ausstellungen oder die Auswirkungen politischer Dynamiken auf künstlerische und journalistische Integrität.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Wenn die Linien zwischen Meinungsfreiheit und Selbstzensur zu verschwimmen drohen, ist jeder Griff zur Feder ein Balanceakt. Wenn ich auch nur den Eindruck habe, auf Eierschalen herumlaufen zu müssen, verweigert sich mir meine Feder. Meine Motivation streikt, wenn ich aktiv übergehen soll, was mich bewegt und zum Ausdruck drängt. Was, wenn die Kraft der Feder sich aus der Motivation speist, für Wahrheit und Gerechtigkeit einzustehen – um Ebenen zu beleuchten, die oft unsichtbar bleiben?

Umso mehr hat es mir die Motivation geraubt, als mir für eine intensive Recherche zu abgesagten Kunstausstellungen und beendeten Engagements in Folge der Eskalation in Palästina und Israel, Zusagen für Interviews und Expert:inneneinschätzungen entzogen wurden. Teils stillschweigend, teils kleinlaut. Mit dem Material, welches ich noch verwenden konnte, war abseits ermahnender Kommentare und Meinungsbeiträge nicht die kritische Tiefe und Komplexität zu erreichen, die ich in der Berichterstattung vermisste und füllen wollte. Es ist sicher nicht das erste Mal, oder ungewöhnlich, dass Freigaben für journalistische Arbeiten nicht erteilt und Zusagen zurückgezogen werden. Ein Anspruch besteht nicht. Und es gibt allerlei legitime Gründe dafür. In diesem Fall waren es weniger die Absagen selbst, die ins Auge fielen, als vielmehr die Umstände, unter denen sie erfolgten.

In meiner geplanten Arbeit ging es nicht um die Lage in Gaza. Es ging um die Beleuchtung deutscher Perspektiven und Leerstellen in deutschen Diskursen. Um abgesagte Kunstausstellungen, etwa die Fotoserie des Berliner Fotografen Raphaël Malik, welche weder zeitlich noch örtlich etwas mit der Lage in Gaza zu tun hat. Trotzdem lautete die Begründung: „Aufgrund der Lage in Nahost“. Und obwohl mein Beitrag sich explizit nicht auf die „Lage in Nahost“ beziehen sollte, überspitzt sich die Lage in Almanya zusehends. Selbst differenzierte und nuancierte Einschätzungen abseits deutscher Perspektiven könnten mit einer vermeidbaren und unangenehmen Kontaktschuld mit Diskursen zur „Lage in Nahost“ verbunden sein. Perspektiven, die von der „deutschen Brille“ abweichen, werden schließlich unter Androhung von Strafen ausgeschlossen, schreibt Julia Amalia Heyer im Spiegel.

Von Almanya bis Afghanistan

Ein exilierter afghanischer Journalist konfrontierte mich vor einiger Zeit mit einer direkten und entlarvenden Frage angesichts der einseitigen und tendenziösen Berichterstattung zur Lage in Gaza in Deutschland: „Wo bleibt eure Pressefreiheit?“ Bis heute habe ich keine Antwort darauf gefunden. Obwohl mein journalistischer Fokus bisher auf Afghanistan lag, kann ich die Verbindung zwischen der Situation dort und der in Palästina nicht ignorieren. Es scheint, als wäre selbst eine kohärente und kritische Berichterstattung zu Afghanistan und Diaspora in Deutschland nicht mehr vor Sanktionen gefeit, wie der Fall der „Rahmanis“ zeigt:

Mit rechtlichen Konsequenzen müssen offenbar auch Journalist:innen rechnen, die über den mit Korruptionsvorwürfen konfrontierten Investor Haji Ajmal Rahmani berichten. Die Kontrollbehörde OFAC des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten setzte im Dezember 2023 Ajmal Rahmani und seinen Vater Mir Rahman Rahmani auf die Sanktionsliste. Den      als „Rahmanis“ bekannten Geschäftsleuten wird nach Angaben der US-Behörden Bestechung, Wettbewerbsbetrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Als Vertragspartner der US-Streitkräfte in Afghanistan sollen die Rahmanis unter anderem überhöhte Treibstoffpreise verlangt und Bestechungsgelder gezahlt haben. Seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe liegen die Investitionsprojekte in Deutschland auf Eis. Nach Angaben des Hessischen Rundfunks ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts auf Geldwäsche gegen die Rahmanis. Über ihre Anwälte weisen die Rahmanis die Vorwürfe zurück.

Dabei sind die Vorwürfe gegen die Rahmanis nicht neu. Dem Analysten Timor Sharan zufolge sollen sich 2018 Haji Ajmal Rahmani und sein Vater, Mir Rahman Rahmani, mit dem erwirtschafteten Geld im Zuge des „War on Terror“ ins afghanische Parlament eingekauft haben. Sie gehörten diesem bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 an. Vater Mir Rahman Rahmani wurde      letzter      Parlamentspräsident      der Republik. Auch die Wahl zum Parlamentspräsidenten ist von Bestechungsvorwürfen überschattet. Timor Sharan beschreibt das Wahlprozedere als „Auktion“ der Höchstbietenden. Bis zu 50.000 US-Dollar soll eine Stimme gekostet haben. Die Wahl von Mir Rahman Rahmani zum Parlamentspräsidenten löste im Parlament Tumult aus, die Kontroverse um die Wahl war Gegenstand von Talkshows. 2020 standen sie durch den als Cyprus Papers bekannt gewordenen Datenleak international in den Schlagzeilen. Demnach erkauften sich die Rahmanis durch Investitionen zyprische Pässe.

Auch im Taliban-regierten Afghanistan sind die Rahmanis immer noch Thema. Der ehemalige Parlamentarier Ramazan Bashardost, einer der wenigen Akteure der afghanischen Republik, die im Land geblieben sind, und bekannt für seine unerbittliche Kritik an der Korruption, äußerte sich zur Sanktionierung der Rahmanis und begrüßt die Maßnahmen der Vereinigten Staaten. Allerdings stellte er auch kritisch die Frage, warum die Sanktionen mit dem Buchstaben „R“ für Rahmani beginnen und nicht mit dem ersten Buchstaben des lateinischen Alphabets, womit er subtil auf die Vornamen des ehemaligen Präsidenten Ashraf Ghani und des Gegenpräsidenten Abdullah Abdullah anspielte. Bashardost wirft auch den USA vor, bewusst mit korrupten Akteuren zusammengearbeitet und davon profitiert zu haben. Er stellt die Unabhängigkeit der US-Justiz in Frage und argumentiert, dass, wenn diese tatsächlich unabhängig wäre, auch George Bush und seine Amtsnachfolger zur Verantwortung gezogen werden müssten. Ramazon Bashardost genießt landesübergreifend als Korruptionskritiker einen tadellosen Leumund. Aus Protest gegen eine NGO-Kultur und Korruption auf höchster Ebene trat er 2006 aus dem ersten Kabinett der Republik zurück und gab sein Amt als Planungsminister auf. Seither gilt er als einer der schärfsten Kritiker der Republik. Ausländische Medien betiteln ihn als afghanischen „Don Quijote“.

Art of State, State of the Art?

Gegen die Korruptionsvorwürfe wehren sich die Rahmanis sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland. Das Overtone-Magazin und die taz haben bereits Artikel offline genommen, darunter kritische Beiträge des Journalisten Emran Feroz . Feroz selbst teilte mir mit, er habe Aufforderungen zu Unterlassungserklärungen erhalten.

Zweifellos ist die im Rechtsstaat verankerte Unschuldsvermutung ein hohes Gut, und die kritische Betrachtung extraterritorialer Sanktionen ist mehr als notwendig. Geschenkt. Doch wirft die Tatsache, dass die Rahmanis ausgerechnet von der Kanzlei Höcker vertreten werden, Fragen auf. Diese Kanzlei zählt nicht nur den umstrittenen Politiker Hans-Georg Maaßen zu ihren ehemaligen Mitarbeitern, sondern hat auch Mandate vom türkischen Präsidenten Erdoğan von der AfD – ausgerechnet im Verfahren gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz – übernommen. Obgleich diese Mandate rechtlich unbedenklich sein mögen, ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet Rechtsanwalt Ralf Höcker, Mitglied der WerteUnion, dafür bekannt ist, gegen Journalist:innen vorzugehen. Dieser Umstand scheint mir symptomatisch für den dystopischen Dauerzustand seit Oktober 2023 zu sein.

In einem Land, das gern mit dem Finger auf andere zeigt und sie zur Einhaltung von Grundrechten, Kunst-, Wissenschafts-, Meinungs- und Pressefreiheit auffordert, scheint die Selbstreflexion zu kurz zu kommen. Als stecke der Kopf im Sand. Deutschland steht hier im Zwielicht, da offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen wird. In einem von Verunsicherung geprägten gesellschaftlichen Klima sehe ich das Vorgehen gegen kritische Journalist:innen als Teil eines größeren Phänomens, das wir seit Monaten in der Kunst und Wissenschaft beobachten: Ein Klima existenzieller Ängste, der Kriminalisierung, des Duckmäusertums und vorauseilenden Gehorsams.

Diese Doppelmoral erstreckt sich auch auf den Umgang mit Afghan:innen. In einem Land, in dem afghanische Männer oft kollektiv in rechtsgerichteten, salonfähigen Diskursen als delinquent und aggressiv gebrandmarkt und als unerwünscht betrachtet werden. In einem Land, in dem Afghan:innen Zuflucht suchen, weil sie kollektiv im Rahmen des „War on Terror“ zur Rechenschaft gezogen wurden, vor Drohnenangriffen und dem Schrecken der Taliban geflohen sind und sich dem Chauvinismus der Elite entziehen mussten, scheinen mutmaßlich korrupte Akteure in Deutschland als Investoren willkommen zu sein.

Im Völkerrecht herrscht bereits ein erhebliches Ungleichgewicht. Die Frage ist nun einmal mehr, wie es      um Grundrechte in Deutschland steht. Schließlich entscheidet nicht allzu selten der Umfang des Geldbeutels über die Qualität der Rechtsvertretung und den Ausgang von Verfahren. Wenn diese Zustände fortwirken, erleben wir das Ende der Freiheit. Die Freiheit stirbt nicht erst mit rechtlichen Sanktionen. Sie stirbt schon im vorauseilenden Gehorsam, im vorauseilenden Schweigen und in der Selbstzensur.

Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.

 

 

 

 

Mina Jawad ist freie Autorin. Sie befasst sich mit der Konstruktion von Raum, Gender und ihren Wechselwirkungen. Ihre Schwerpunkte liegen in postkolonialer Analyse in Kunst, Kultur und Gesellschaft. Mina Jawad is a freelance writer. She works on the construction of space, gender and their interactions. Her work focuses on postcolonial analysis in...
Redigiert von Sophie Romy, Regina Gennrich