09.02.2022
Ein urbaner Wald für Beirut
Der kanalisierte Fluss in Richtung Stadtzentrum und -hafen. Bild: Bruna Rohling, Beirut, November 2020
Der kanalisierte Fluss in Richtung Stadtzentrum und -hafen. Bild: Bruna Rohling, Beirut, November 2020

Eine vielfältige Naturlandschaft prägte einst die Metropolregion Beirut. Heute sind Grünflächen die Ausnahme und Beton dominiert das Stadtbild: Ein lokales Architekturbüro kontert mit einem urbanen Wald, gepflanzt nach japanischer Methode.

Städte sind Zentren der Innovation, Kultur, Bildung und Gemeinschaft. Gleichzeitig erschöpfen sie die natürlichen Ressourcen und verantworten weltweit rund 70 Prozent der Treibhausgasemissionen. Wie wichtig Natur und gesunde Ökosysteme für das urbane Leben sind, wird dabei oft unterschätzt. Denn Stadt-Natur reguliert Wärme, verbessert Luft- und Wasserverhältnisse, trägt zur Nahrungsproduktion bei und fördert die mentale und körperliche Gesundheit.

Auch die libanesische Hauptstadt Beirut war einst eingebettet in eine grüne, vielfältige und artenreiche Landschaft, die sich von den rund 2500 Meter hohen Bergen im Hinterland hin zum Mittelmeer erstreckt. Darin verliert sich der Nahr Beirut (nahr, arab. für Fluss), der von zwei Bergquellen in Hammana und Tarchiche rund 30 km in Richtung Hauptstadt mäandert.

Beton dominiert die Stadt

Heute sind Grünflächen in Beirut zur Ausnahme geworden. Pro Einwohner:in stehen gerade einmal 0,8 Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung, was im deutlichen Kontrast zu den Empfehlungen der World Health Organisation (WHO) steht. Diese rät zu mindestens neun Quadratmetern Grünfläche pro Städter:in.

Auch der Nahr Beirut verlor stetig an Volumen. Was vor nicht einmal einem Jahrhundert noch ein stattlicher Fluss war, fließt heute als kaum wahrnehmbares Rinnsal durch die Stadt. Nur bei Starkregen in den Wintermonaten verwandelt sich der Fluss für kurze Zeit in ein braunes, reißendes Gewässer. Grund für das Verschwinden des Flusses ist die ausgeprägte Stadtentwicklung seit 1934 sowie seine Kanalisierung im Jahr 1968.

Hinzu kommt das brachliegende Abfallsystem der Stadt: Im Libanon wird Müll hauptsächlich verbrannt oder landet auf offenen, unkontrollierten Mülldeponien. Industriemüll, Haushaltsabfälle und Abwasser enden oft im Flusskanal. Der Abfall beeinträchtigt nicht nur die natürliche Flussumgebung und das Grundwasser nachhaltig, sondern bedeutet auch für die Stadtbevölkerung erhebliche Gesundheitsrisiken.

Stadtentwicklung als Spiegel politischer Verhältnisse

Die mangelnden Grünflächen, das Abfallmanagement und der zum Rinnsal gewordene Fluss sind das Resultat fehlender beziehungsweise stark veralteter Regularien für Stadtplanung und Naturschutz in Beirut – und damit Ausdruck der jahrzehntelangen Untätigkeit der Stadtverwaltung und des libanesischen Staates.

Seit Ende des Bürgerkrieges 1990 stellt die Stadtplanung Beiruts einen Wettstreit um Bauland und luxuriöse Immobilienprojekte zwischen den verschiedenen, nach Konfession gegliederten politischen Gruppen sowie vonseiten ausländischer Projektentwickler:innen dar. Insbesondere in Hinsicht auf den Wiederaufbau des Stadtzentrums hat dieses gewinnorientierte Tauziehen zu einer starken Gentrifizierung und dem Ausverkauf der Innenstadt geführt, während die restliche Stadtinfrastruktur vom Staat vernachlässigt blieb.

Um die Untätigkeit der Regierung zu kompensieren, haben Aktivist:innen, (internationale) Nichtregierungsorganisationen, lokale Unternehmen und Syndikate über die Jahre hinweg eine eigene Initiative und Dynamik entwickelt. Dies wurde nicht zuletzt beim Wiederaufbau der Stadt nach der Explosion im Stadthafen im August 2020 deutlich, welcher beinahe ohne Hilfe der Regierung stattfand. Trotz ihrer Ausdauer und vollem Einsatz liegt es außerhalb der Möglichkeit der Bevölkerung ein umfassendes und flächendeckendes Stadtmanagement auf die Beine zu stellen. Dafür fehlen die finanziellen Mittel und die Unterstützung vonseiten des Staates, was sich angesichts der sich dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Lage auch nicht zeitnah ändern wird.

Aufräumaktion während der Proteste im Oktober 2019 in Downtown Beirut, Märtyrerplatz, mit freiwilligen Helfer:innen und der nichtstaatlichen Organisation Recycle Beirut. Bild: Bruna Rohling, Beirut, Oktober 2019

Beiruts RiverLESS Forest

Ein vielversprechendes Beispiel dieser zivilgesellschaftlichen, nichtstaatlichen Initiativen findet sich entlang des Nahr Beirut im östlichen Stadtteil Sin El Fil. Auf den ersten Blick scheint die Umgebung etwas trist und verlassen. Leerstehende Gebäude und ein paar landwirtschaftlich bestellte Felder säumen die breite Autobahn sowie die hohen Kanalwände. Dann erst ist der kleine Hain zu erkennen: Ein wachsender Wald zwischen Fluss und Verkehr.

Im Mai 2019 hat dort das Architekturbüro The Other Dada unter Leitung von Adib Dada und Dana Harake die Pflanzung eines urbanen Waldes auf knapp 2000 Quadratmetern initiiert. Ziel des Projektes Beirut's RiverLESS Forest ist es, die Wiederbelebung der Ökosysteme um den Nahr Beirut anzustoßen sowie die lokale Bevölkerung mit der einheimischen Stadtnatur in Kontakt bringen. Das Projekt basiert auf dem Gedankengut der Biophilie, welche die Natur als essentiell für das menschliche Wohlbefinden versteht.

Aufforstung nach japanischem Vorbild

Die Aufforstung fand in drei Etappen statt. Zunächst wurden die einheimischen Waldarten stromaufwärts des Nahr Beirut erfasst und 17 davon ausgewählt. Die natürliche Umgebung im nicht-urbanen Flussbereich gilt als anerkannter Biodiversitäts-Hotspot, da diese rund 70.000 Vogelarten auf ihrer Flugroute zwischen Europa und Afrika als Landeplatz dient. Nach Auswahl der Baumsetzlinge, wurde im zweiten Schritt die ausgewählte Fläche in Beirut von Müll befreit und der Boden anschließend mit nährstoffreichem Kompost versehen. Der letzte Schritt umfasste die Pflanzung von rund 5.800 einheimischen Bäumen und Stauden gemeinsam mit freiwilligen Helfer:innen aus Beirut. Im November 2021 fand schließlich die finale Pflanzaktion statt. Die Verteilung der Baumsetzlinge erfolgte nach der Miyawaki-Methode, welche der japanische Botaniker Dr. Akira Miyawaki um 1950 entwickelte.

Die Miyawaki-Methode unterscheidet vier Ebenen des Waldwachstums: Es gibt die hochgewachsenen Bäume, die kleineren Baumarten, die Büsche und schließlich die Bodendecker, also Pflanzen, welche direkt am Boden wachsen. Werden einheimische Setzlinge aller Ebenen wild nebeneinander gepflanzt, entsteht ein natürlicher Wettlauf um Licht, Wasser, Raum und Nährstoffe. Die nach Miyawaki gepflanzten Bäume wachsen daher schneller, benötigen weniger Fläche und können bis zu dreißigmal mehr Emissionen absorbieren als traditionelle Aufforstungen. Diese einzigartige Methode lässt sich auf alle klimatischen Verhältnisse anwenden und eignet sich besonders gut in Städten. Bereits ein Quadratmeter Boden reicht aus, um einen kleinen Wald zu pflanzen.

Der urbane Wald besteht aus 17 Baumarten und wächst im Osten Beiruts. Bild: Bruna Rohling, Beirut, Dezember 2021

Der kanalisierte Fluss nach Starkregen und die angrenzende Aufforstungsfläche. Die Bambusstöcke kennzeichnen die Baumsetzlinge. Bild: Bruna Rohling, Beirut, Dezember 2021

Für ein grünes Beirut – ein Anfang

Eine vielfältige Stadtnatur und funktionierende Ökosysteme sind unentbehrlich, um auch in Zukunft ein gesundes Stadtleben zu führen. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung als Städter:innen, urbane Gebiete als gemeinsamen Lebensraum von Mensch und Natur zu fördern und zu schützen – und die Wildnis zurück in die Stadt zu holen.

Der urbane Wald in Beirut setzt diesen Gedanken in die Tat um. Das Projekt adressiert die fehlenden Grünflächen und zunehmend schwindenden Ökosysteme in der Metropolregion und denkt dabei grüne mit gebauter Infrastruktur zusammen. Die Gesundheit der Stadtbewohner:innen rückt in den Fokus. Der Wald symbolisiert somit einen Anfang – und ist das sichtbare Ergebnis von Eigeninitiative, Engagement und dem Gestaltungswillen libanesischer Bürger:innen angesichts einer korrupten und untätigen Regierung.

 

 

Bruna Rohling hat Stadtplanung in Berlin, Trondheim und Beirut studiert. Bei dis:orient liegt ihr Fokus auf Stadtentwicklung, Umweltgerechtigkeit, Migration und Naturschutz in WANA. Bruna ist Doktorandin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich im Bereich Stadtentwicklung und -politik.
Redigiert von Rebecca Spittel, Clara Taxis, Sibel Büyük, Maximilian Menges