11.02.2016
„Meine Musik erinnert mich an die Revolution“
Die Brüder Mohammad und Yasser Jamous aus Syrien rappen als Refugees of Rap gegen Unterdrückung, Armut und Ungleichheit. Photo: Refugees of Rap
Die Brüder Mohammad und Yasser Jamous aus Syrien rappen als Refugees of Rap gegen Unterdrückung, Armut und Ungleichheit. Photo: Refugees of Rap

Mohammad Jamous ist Frontman der syrischen Rap Crew Refugees of Rap (arabisch Laji’i Ar-Rap). Der Musiker hat inzwischen in Frankreich politisches Asyl. Gerade in Syrien ist Rap auch Politik, erzählt er bei Alsharq.

Alsharq: Mohammad, Du bist im Flüchtlingslager Yarmouk in Damaskus aufgewachsen. Wie bist Du zum Rap gekommen?

Mohammad Jamous: Ich habe mit 16 angefangen zu rappen. Inspiriert hat mich zunächst amerikanischer Hiphop: Der Sound von Jay-Z, Snoop Dog oder 2Pac hatte für mich etwas Revolutionäres in sich. Die Texte – besonders die älteren Stücke – über Armut, Rassismus haben mich angeregt, über meine eigene Situation nachzudenken. Als palästinensischer Syrer aus einer Gegend, die ständig vom Staat kontrolliert wurde, konnte ich mich mit ihren Texten identifizieren.

Später habe ich dann arabischen Rap kennengelernt. Crews wie Dam aus Palästina oder Aks’ser waren Vorbilder und wurden zu Freunden. Sie waren die Wegbereiter des arabischen Raps, Mitte der 2000er.

2005 hast Du die Crew Refugees of Rap ins Leben gerufen. Wieso der Name?

Wir sind zu viert, drei der Gründer waren Flüchtlinge in Syrien. Mein Bruder Yasser und ich sind Palästinenser, Ahmad ist Algerier. Flüchtlinge hatten es in Syrien nicht einfach, wo es ohnehin schon schwierig war, sich zu äußern. In Assads Diktatur konnte man nicht ungestraft in der Öffentlichkeit kritische Meinungen äußern. Rap gab uns die Möglichkeit, uns indirekter auszudrücken und unsere Wut in positive Energie umzuwandeln.

Wie wurde Eure Musik in Yarmouk angenommen?

Viele Leute waren zunächst skeptisch. Einerseits, weil Rap auf Arabisch etwas Neuartiges war. Andererseits, weil viele Menschen Vorurteile gegen Rap hatten. Die haben diese Musik mit Drogenhandel und schlechten Manieren assoziiert.

Die Ablehnung ist aber schnell verflogen. Das lag auch an unseren Texten. Wir haben in den Songs nicht geflucht, sondern soziale Fragen und Probleme mit anständigen Worten angesprochen. Andererseits sorgte die Zusammensetzung der Crew dafür, dass viele ihre Skepsis aufgaben: Wir waren nicht die Bad Guys aus den amerikanischen Hiphop-Videos. Ich war Soziologie-Student, mein Bruder arbeitete in einer Firma und der Dritte im Bunde ging nicht aus, sondern beten. Einzig Ahmad, der Algerier passte ins Bild des typischen Hiphoppers. Er organisierte Parties, Battle Raps und Breakdance Contests.

Bei unserem ersten großen Konzert an der Universität waren die Reaktionen auch sehr unterschiedlich. Manche mochten unsere Musik, andere bewarfen uns mit Essen.

Erzähl uns von Deinen Texten

Wir haben über Armut und Ungleichheit gerappt, gegen die Belagerung Gazas, für Freiheit – und gegen das Regime. Im Angesicht der ständigen Kontrolle von Geheimdienstlern des Assad-Regimes mussten wir unsere Botschaften allerdings verschlüsseln. Beispielsweise heißt es in einem unserer ersten Lieder: „Ich warte seit Ewigkeiten auf den Sonnenschein“, was konkret bedeutete: „Ich warte darauf, dass wir in Freiheit leben können.“ Die Menschen in Syrien verstanden unsere Botschaften, sie waren dafür sensibilisiert, indirekte Kritik zu erkennen.

Seid Ihr durch Eure Texte auf den Radar der staatlichen Organe geraten?

Der Geheimdienst wusste von uns, aber er schätzte uns lange nicht als Gefahr ein, weil die Geheimdienstler keine Ahnung von der revolutionären Kraft des Hiphop hatten. Das änderte sich mit unserem ersten Konzert an der Uni 2010. Wir hatten eine Genehmigung, doch als 1 500 Studierende plötzlich die freiheitlichen Texte mitsangen, wurde auf Geheiß des Geheimdienstes kurzerhand der Strom abgeschaltet. Uns hat das erst mal erschreckt.

Was hast Du gefühlt, als Anfang 2011 in Syrien die Proteste gegen das Regime begannen?

Ich konnte kaum glauben, was in Dar’aa geschah, dass die Menschen sich trauten, zu Tausenden auf die Straßen zu gehen. Schließlich haben wir es mit einer äußerst brutalen Diktatur zu tun. Wir haben in Damaskus dann hautnah miterlebt, wie Proteste in benachbarten Stadtteilen wie Taddamun oder Hajjar al-Aswad gewaltsam niedergeschlagen wurden. Da haben wir uns entschieden, die Geschehnisse in unserer Musik anzusprechen. Wir haben die Gewalt klarer benannt als zuvor, aber weiterhin mit einer gewissen Vorsicht, da wir Angst vor Kollektivbestrafungen unserer Familien hatten.

Herausgekommen ist das Album „The Age of Silence“ von 2012.

Unser Freund Andrea, ein italienischer Journalist und Rapper, hatte uns zum Titelsong des Albums inspiriert. Er hatte einige Demonstrationen gefilmt und war deshalb kurzzeitig vom Regime verhaftet worden. Der Refrain des Songs lautet: „Die Zeit des Schweigens ist vorbei, wir müssen aufwachen, der Realität ins Auge blicken – jetzt handeln“. Für syrische Verhältnisse ist das ein deutlicher Aufruf zum Widerstand.

Wann hast Du erstmals an einer Demonstration teilgenommen?

Das war im Oktober 2011 in einem benachbarten Stadtteil von Yarmouk. Es war eine friedliche Demonstration und die Polizei hat nicht eingegriffen. Es war ein großartiges Gefühl, sich die Kehle für Freiheit und Würde heiser zu schreien. Ich erinnere mich an die Slogans: „Freiheit, Würde, Revolution“ und „Syrien gehört nicht dem Assad-Clan, sondern allen Syrern“.

Am Ende der Demo stellte sich bei mir aber ein Gefühl der Beklemmung ein, als einige Demonstranten begannen, gegen Alawiten zu hetzen.

Welche Rolle spielte Musik in der Revolution?

Rap hat die Jugend beeinflusst. Viel wichtiger für den Großteil der Menschen waren jedoch die Sänger_innen, die während der Demonstrationen auftraten. Der wichtigste und bekannteste Protestsänger war sicherlich Ibrahim Qashush aus Hama, der revolutionäre Texte zu traditionellen arabischen Hymnen vortrug. Die Schergen des Regimes schnitten ihm im Juli 2011 die Kehle durch.

(Anm.: Dieses Video zeigt Ibrahim Qashush auf einer Demonstration wenige Tage vor seiner Ermordung.)

Auch der Hiphop in Syrien hat sich politisiert und in zwei Lager geteilt. Die einen, die in ihren Songs das Regime unterstützen, und die anderen, die für die Revolution rappen. Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe, die in der Mitte steht und darüber rappt, wie schön Syrien ist. Blabla-Rap.

Du hast Syrien im März 2013 gen Frankreich verlassen. Warum bist du geflohen und wie hast du das geschafft?

Ich war im Begriff mein Studium zu beenden und lief Gefahr, zum Militärdienst des Regimes eingezogen zu werden. Der wichtigste Grund war jedoch die Musik: Es hatte sich herumgesprochen, dass wir an einem Album zur Revolution arbeiteten. Wir bekamen Drohanrufe und mussten um unsere und die Sicherheit unserer Familien fürchten. Es war auch bekannt geworden, dass regimekritische Musiker_innen unser Studio in Yarmouk nutzten. Einer meiner Brüder wurde für 40 Tage verhaftet, weil er sich auf Facebook positiv über die Revolution geäußert hatte. Nicht zuletzt kündigte sich die Belagerung Yarmouks durch das Regime bereits an, während der – wie jetzt in Madaya – dutzende Menschen verhungerten.

Mein Bruder Yasser und ich konnten ganz legal per Flugzeug von Beirut ausreisen. Mit der Hilfe von Andrea, dem italienischen Rapper, hatten wir politisches Asyl beantragt. Unserem Kollegen Ahmad wurde als Algerier das Visum verwehrt, inzwischen ist aber auch er in Deutschland. Unser vierter Mann im Bunde ist in Syrien geblieben, obwohl er auch das Visum bekommen hat. Er will seine Familie nicht zurücklassen und lebt mittlerweile in den befreiten, von den Rebellen kontrollierten Gebieten im Umland von Damaskus.

Durch die Umstände sind von unserer Crew nur noch mein Bruder und ich übrig geblieben. Mit den Anderen stehen wir über Skype und Facebook regelmäßig in Kontakt.

In Frankreich haben Du und Dein Bruder die Single „Thaurat ash-shab“ (deutsch „Revolution des Volkes“) veröffentlicht. Warum dieser Songtitel?

Während unserer Zeit in Frankreich stieß uns auf, dass in den europäischen Medien viel von einem vermeintlichen Bürgerkrieg in Syrien geschrieben wurde. Dabei handelt es sich um einen Aufstand der Menschen gegen ein verbrecherisches System, eben eine Revolution des Volkes.

Fühlst Du Dich angekommen in Frankreich?

Mittlerweile ja. Die Situation von Geflüchteten in Frankreich ist jedoch schrecklich. Es ist fast unmöglich, eine Unterkunft zu finden. Zudem gibt es beim administrativen Prozess kaum Betreuung vom Staat. Das läuft besser in Schweden oder Deutschland.

Was die Musik angeht, so war es anfangs schwierig, Konzerte zu organisieren. Doch mittlerweile treten wir regelmäßig auf. Bei einem Festival in Rennes im Sommer 2015 rappten wir vor 5 000 Leuten. Auch in Deutschland hatten wir schon Auftritte.

Was denkst Du über die aktuelle Situation in Syrien?

Die Situation ist durch die Interventionen von außen – durch Iran, Russsland, Saudi-Arabien, USA, etc. – sehr kompliziert geworden. Doch die Revolution ist immer noch im Gange. Es gibt viele Menschen mit einer klaren Vision: Die Diktatur bekämpfen und für Freiheit einstehen. Leider mussten viele Aktivist_innen fliehen.

Was bedeutet Deine Musik für Dich heute?

Sie erinnert mich an die Revolution, die wir hier in Europa manchmal vergessen. Gleichzeitig lenkt mich die Musik ab, sie bedeutet Spaß. Durch sie kann ich mich friedlich ausdrücken.

Worüber wirst Du in der Zukunft rappen?

Über neue Themen meiner Lebensrealität. Ich möchte eine Stimme derjenigen sein, die nicht gehört werden. Das Thema Flucht und die Situation von Geflüchteten in Europa wird dabei eine große Rolle spielen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...
Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.