10.05.2017
Presseschau zur Wahl Macrons: Der Nahe Osten ist erleichtert bis entzückt
Die Presse im Nahen Osten ist ganz hingerissen vom "neuen Jüngling Frankreichs" - zumindest teilweise. Foto: WORLD ECONOMIC FORUM/swiss-image.ch/Michele Limina/Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Die Presse im Nahen Osten ist ganz hingerissen vom "neuen Jüngling Frankreichs" - zumindest teilweise. Foto: WORLD ECONOMIC FORUM/swiss-image.ch/Michele Limina/Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Auch im Nahen Osten fieberten viele mit bei der Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron. Besonders groß war das Interesse in jenen Staaten mit französischer Vergangenheit. Pressestimmen von Marokko bis Iran.

Marokko: „Die Vernunft hat gesiegt“

Beginnen wir unseren Rundgang ganz im Westen des Nahen Ostens: „Frankreich rettet seine Haut“, titelte Samir Chaouki im Leitartikel der marokkanischen Wirtschaftszeitung Les inspirations ÉCO am Tag nach der Wahl. „Endlich“ werde Frankreich „das Schreckgespenst Front National“ los. Jetzt müsse Macron „die Ärmel hochkrempeln, um Ordnung in die verminte und gespaltene politische Landschaft zu bringen.“ Den „beunruhigenden Aufstieg des Extremismus“ könne sich Frankreich nicht erlauben, denn dieser gefährde die Zukunft ganz Europas. Macron wisse, dass sein Erfolg davon abhängt, die angespannte Wirtschaftslage zu beruhigen. Dazu gehe er pragmatisch vor, statt „leichtsinnig“ Euphorie zu verbreiten. Davon sei auch Marokko betroffen, mit Frankreich als wichtigstem Wirtschaftspartner.

In der linken Libération, Parteizeitung der Sozialistischen Union der Volkskräfte, kommentiert Mohamed Jaouad Kanabi das französische Wahlergebnis. „Nach einem verrückten und turbulenten Präsidentschaftswahlkampf hat die Vernunft gesiegt und das ist vielleicht auch besser so“, schreibt er. Trotzdem sieht Kanabi die Wahl nicht ohne Skepsis: „Mir nichts dir nichts“ habe es der Front National geschafft, zur führenden Oppositionspartei zu werden. Zudem hätten viele für Macron gestimmt, weil sie seine Gegnerin ablehnten, nicht aus Begeisterung für seine Kandidatur. Eine Regierungsmehrheit habe er also „alles andere als in der Tasche“. So lautet Kanabis Fazit: „Die Zukunft Frankreichs bleibt ungewiss, auch wenn die Apokalypse Le Pen & Co von jetzt an im Rückspiegel liegt.“ 

Algerien: „Die wahre Schlacht steht noch bevor“

Algerien hat ein kompliziertes Verhältnis zu Frankreich. Das spiegelt sich auch in den kritischen Tönen algerischer Zeitungen wieder. Während die liberale Zeitung Al-Khabar noch ein recht neutrales Bild zeichnet, schreibt die regierungskritische Echorouk al-Yawmi, dass der wahre Kampf noch bevorstehe. Macron habe zwar den Präsidentschaftswahlkampf gewonnen, aber es werde erheblich schwerer für ihn und seine neu gegründete Partei, eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Die meisten Franzosen haben, so die Zeitung, nicht zwangsläufig für Macron, sondern viel mehr gegen LePen gestimmt. Die französischsprachige und rechts-konservative Zeitung Al-Watan erwähnt das Problem der bevorstehenden Parlamentswahlen ebenfalls, wenn auch zuversichtlicher. 

Tunesien: „Eine neue Welt wird geboren“

„Sagen wir es ohne Umschweife: Das ist eine Erleichterung“, schreibt Raouf Seddik in der staatlichen Tageszeitung La Presse de Tunisie. Für ihn war die Wahl „eine der atemberaubendsten Episoden der französischen Politik seit Jahrzehnten“, denn beim zweiten Wahlgang „stand weit über die französischen Grenzen hinaus sehr viel auf dem Spiel“. Um seine politischen Ideen umsetzen zu können, sei es für Macron nun wichtig, eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen: „Wenn er das schafft, wird die politische Landschaft in Frankreich tiefgreifend verändert werden.“

Der Ökonom Mohamed Rebai wendet sich mit einem Appell im tunesischen Nachrichtenportal Kapitalis an den neuen französischen Präsidenten. Mit dem Ausgang der Präsidentschaftswahl werde „eine neue Welt geboren“. Statt wie seine beiden Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande in Libyen und Syrien Krieg zu führen, solle Macron „nicht in die Versuchung geraten, gegen andere Völker zu kämpfen, egal welche Rasse, Religion oder Ideologie sie haben“. Stattdessen solle er sich um sein eigenes Land kümmern. Doch auch der tunesischen Wirtschaft soll der neue Präsident auf die Beine helfen, indem er Importe aus Tunesien anregt und französische Unternehmen dazu ermutigt, in die tunesische Wirtschaft zu investieren. Rebai appelliert an ein „wohlwollendes Frankreich“, das sich „dankbar zeigt gegenüber den Migranten aus Nordafrika“. Schließlich hätten diese geholfen, Frankreich nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen. „Lassen Sie Ihre Bürger die Migranten nicht beschimpfen, weil sie Araber, Muslime oder dunkelhäutig sind“, schreibt Rebai. „Denken Sie eher darüber nach, die Zusammenarbeit mit Ihren südlichen Nachbarn auszubauen“. Diese seien müde vom „Arabischen Frühling“, der durch Macrons Vorgänger zum „Arabischen Winter“ verkommen sei. 

Ägypten: „Europa atmet auf“

Noch ein bisschen weiter östlich, in Ägypten, war Frankreich ebenfalls mal vertreten – mit Napoleon Bonaparte. Nun titelt die regierungsnahe Zeitung Al-Ahram: „Europa atmet auf!“ und scheint dem neuen Präsidenten der fünften Republik positiv gegenüberzustehen. Die liberale Tahrirnews findet noch stärkere Sympathien für „den Kandidaten der Linken“, so die Zeitung, und schreibt, dass ein Sieg Le Pens das „Ende der Welt“ gewesen wäre. Die als regierungstreu geltende Al-Gomhuria berichtet, dass jüdische und muslimische Vereine sich, vereint wie noch nie zuvor, für Macrons Kampagne eingesetzt hätten. Andere Zeitungen, wie die islamisch geprägte Al-Dostor, berichten sachlich und scheinen weiterhin misstrauisch gegenüber französischer Politik zu sein, ganz gleich unter welcher Präsidentschaft. Nur die liberale Zeitung Yawm7 ist ebenfalls entzückt und bezeichnet Macron als den „neuen hübschen Präsidenten Frankreichs“. 

Israel: Marine Le Pen als die heimliche Siegerin

Jenseits des Sinai sieht die konservative Zeitung Jerusalem Post in dem Wahlergebnis noch lange keinen Sieg der liberalen über die rechtspopulistischen Kräfte in Europa: „Der Sieg Macrons über Le Pen ist ein bitterer Sieg“, schreibt Analystin Rina Bassist. Denn indem sich Le Pen als reale politische Kraft in Frankreich etabliert hat, die wohl nicht so bald von der Bildfläche verschwinden wird, habe sie den heimlichen Sieg davon getragen. „Macron wird nun einer tief gespaltenen französischen Gesellschaft gegenüberstehen, in welcher Ressentiments gegen Einwanderer und ein offen anti-muslimisches Klima schon lange nicht mehr hinter Wahlversprechen versteckt werden können.“

Bei dem meistgelesen Online-Medium Y-Net stellt man sich indes die Frage, was der Wahlsieg Macrons für Israel bedeuten könnte. Itamar Eichner sieht jedenfalls eine neue Chance für die israelisch-französischen Beziehungen: „Der Wahlsieg von Macron ist eine gute Nachricht, nicht nur für Israel, sondern auch für die jüdische Gemeinschaft in Frankreich. Diese hatte die Kandidatin Le Pen wegen ihrer offenen Unterstützung für einen Bann des Schächtens und der männlichen Beschneidung mehrheitlich abgelehnt.“ Wichtig sei vor allem, dass Macron pro Israel sei, so Eichner: „Er ist für die Zweistaatenlösung und lehnt die einseitige Anerkennung eines palästinensischen Staates ab, da dies keiner Seite nützen würde. Auch ist er ein vehementer Gegner von BDS (Bewegung, die aufgrund der Besatzung zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel aufruft) und jeglicher Form von Sanktionen gegen Israel. Macrons Wahl könnte die Zusammenarbeit zwischen Israel und Frankreich stärken.“

Die eher links-liberale Zeitung Haaretz indes betrachtet die Auswirkung der Wahl auf andere rechtspopulistischen Kräfte in Europa, vor allem auf die anstehenden Wahlen in England und Deutschland. Es gebe keinen Anlass zur Freude, schreibt der bekannte Analyst Anshel Pfeffer: „Ein Drittel der Franzosen hat am Sonntag eine offen rassistische Person als ihre nächste Präsidentin gewählt. Das ist kein Anlass für Jubel.“ Es sei davon auszugehen, dass die rechten Kräfte auch bei den Wahlen in England im Juni und in Deutschland im September einen Rückschlag erleben würden. Es sei zwar unwahrscheinlich, dass die Alternative für Deutschland mehr als zehn Prozent der Stimmen bekommen werde. „Dies heißt aber nicht, dass die europäischen Liberalen wieder in ihre Prä-Brexit Selbstgefälligkeit zurückfallen können. Die Mitte hält – noch. Aber die populistische Gefahr ist nur abgeflaut – nicht verschwunden.“ 

Libanon: Der „neue Jüngling Frankreichs“

Von Israel aus geht's weiter in Richtung Norden: In der großen libanesischen Tageszeitung An-Nahar hat Muriel Jalkh viel Lob für den Wahlsieger übrig. Macrons Wahlgeheimnis sei die Positionierung jenseits von „rechts“ und „links“ gewesen. Doch auf den Wahlerfolg folgten nun innen- wie außenpolitisch zahlreiche Herausforderungen: Verhandlungen mit den von ihm kritisierten etablierten Parteien, die Parlamentswahl, ein zu ernennender Premierminister (bevorzugt weiblich), das Projekt Europa und die Mammutaufgabe, mehr als zehn Million Le-Pen-Wähler_innen umzustimmen. Vor dem Hintergrund der nahenden Parlamentswahlen im Libanon findet An-Nahar viele bewundernde Worte, besonders für das Alter des „neuen Jünglings Frankreichs“ und hofft, dass das libanesische Volk von dieser „demokratischen Erfahrung“ lernen sowie die geplanten Änderungen am Wahlsystem durchführen werde. Denn die alten Politiker im Libanon hätten bereits fünf französische Präsidenten kommen und gehen sehen – und befänden sich noch immer im Amt.

L’Orient Le Jour, das Sprachorgan der frankophonen Elite des Libanon, beschäftigt sich in einer Vielzahl von Artikeln mit den Wahlen in der ehemaligen Protektoratsmacht. Den noch immer engen Beziehungen sowie der großen in Frankreich lebenden Diaspora trägt eine Umfrage Rechnung, in der vierzehn Franco-Libanes_innen zur Wahl befragt werden. Neben wenigen Enthaltungen und nur zwei Stimmen für Le Pen spricht sich die Mehrheit für Macron aus – als kleineres zweier Übel, da der Wunschkandidat der meisten Befragten, François Fillon, bereits in der ersten Wahlrunde ausschied. Der libanesische Blogger Karl Sharro, auch unter dem Pseudonym „Karl reMarks“ bekannt, lässt aus seinen ironischen Tweets, wie schon zuvor im Zuge von Brexit und Trump, eine gewisse Schadenfreude dem Westen gegenüber heraushören, denn die Berichterstattung über die politischen Veränderungen im Westen gleichen sicher immer mehr den westlichen Berichterstattungen über die arabische Welt. „Insgesamt ist es ziemlich witzig, dass es nun die Menschen im Westen sind, die beweisen müssen, dass sie gemäßigt sind und Extremismus ablehnen.“ In kolonialistischer Manier ruft er alle westlichen Nationen dazu auf, Extremismus abzulehnen.

 

Syrien: Rothschild und die Lehrerin

Die regimenahe syrische Tageszeitung al-Watan stellt den neuen Präsidenten Frankreichs in einem Kurzporträt vor. Anders als bei An-Nahar stehen hier aber die als negativ empfundenen Punkte im Vordergrund. Nachdem knapp die problematische Situation Macrons vor der kommenden Parlamentswahl geschildert wird, fokussiert sich al-Watan auf dessen Person. Dass er bei der Rothschild-Bank arbeitete findet ebenso Erwähnung wie – sehr ausführlich – seine 25 Jahre älteren Ehefrau, die vormals seine Lehrerin war. In einem letzten Abschnitt wird auf die angestrebte Syrienpolitik des jungen Präsidenten eingegangen, die bisher, so scheint es, aus einer Kampfansage an den Terror und der Suche nach einer gemeinsamen Lösung des Syrienkonflikts, die alle Parteien – auch Russland – miteinbeziehe, besteht. 

Jordanien: Macron? Eine Fußnote

Südlich von Syrien, in Jordanien, scheint man nicht besonders von der Wahl Macrons eingenommen zu sein, auch nicht von der Niederlage der islamophoben Kandidatin Le Pen. Die regierungsnahe Ad-Dustour schreibt trocken über Macrons Sieg, ebenso berichtet die regierungstreue Al-Rai nur sehr sachlich. Sogar Jordaniens größte islamisch-konservative Zeitung, Al-Sabeel, äußert sich überraschend kühl und zurückhaltend. Es scheint, als werde Macron einfach als eine sachliche Präferenz wahrgenommen. Al-Sabeel berichtet außerdem, dass islamische Organisationen in Frankreich dem neuen Präsidenten gratuliert und ihre Glückwünsche übermittelt haben. 

Golfstaaten: Das „Siegestriumvirat“ gegen den Populismus

Die häufig zurückhaltenderen Zeitungen in den Golfstaaten berichten akribisch über Macrons Sieg und die Herausforderungen, die auf ihn zukommen. Al-Jazeera aus Katar schreibt, dass die Europäische Union die Wahl des parteilosen Kandidaten begrüßt, dieser jedoch vor einer Herkulesaufgabe steht: Frankreichs starres Arbeitsrecht reformieren. Es kam bereits, so Al-Jazeera, zu ersten Protestwellen von Gewerkschaften und linken Gruppierungen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten berichtet Gulf-Today, dass das Wahlergebnis in Frankreich Hoffnung gegen den Populismus gebe. Die Zeitung bezeichnet den Sieg Macrons, zusammen mit der Niederlage Wilders in den Niederlanden und der Wahl von Van der Bellen in Österreich als das „Siegestriumvirat“. Die Kuwaittimes ist dagegen kritischer und verweist, ähnlich wie Al-Jazeera, auf die bevorstehenden schwierigen Reformen der französischen Wirtschaft. Diese seien nur mit politischem Rückhalt in der Nationalversammlung zu bewältigen.  

Iran: Irgendwie schade um die Faschistin

Zum Schluss noch ein Blick nach Iran: Obwohl die meisten Medien dort Marine Le Pen als Faschistin oder Populistin bezeichnen, glauben viele doch, dass sie eine gute Verbündete für Iran gewesen wäre. Denn ihr außenpolitisches Programm decke sich in vielen Punkten mit Irans – sie war gegen die Absetzung Assads in Syrien und für gute Beziehungen zu Russland; sie war unglücklich über Frankreichs Beziehungen zu Katar und Saudi-Arabien und wollte bessere Beziehungen zu Iran, ein mutmaßlicher Partner in ihrem Kampf gegen die Globalisierung von Wirtschaft und Kultur, wie zum Beispiel die persischsprachige Website von Radio Zamaneh darstellt.

Allerdings, so schreibt die reformistische Zeitung Shargh, kann auch Macrons Triumph zumindest wirtschaftlich die Beziehungen Irans mit Frankreich verbessern – immerhin spielte Macron als Wirtschaftsminister eine wichtige Rolle dabei, einen Vertrag über 35 Airbusse abzuschließen. Dennoch verfolge er nicht die gleiche Politik im Nahen Osten wie Le Pen, stellt die Zeitung fest. So will er auf die Balance zwischen Frankreichs Beziehungen zu Iran und zu Saudi-Arabien achten und wolle keine engen Beziehungen zu Russland. In den sozialen Medien in Iran wurden die französischen Präsidentschaftswahlen mit den iranischen knapp zwei Wochen später in Verbindung gebracht. Mit am meisten diskutierten Nutzer über die Wahlbeteiligung: Wäre sie niedriger gewesen, hätte Frankreich jetzt ein faschistisches Staatsoberhaupt wie die USA, hieß es – ein Versuch, die Leute zur Wahl in Iran zu bewegen. Andere, die die Wahlen boykottieren wollen, hielten dagegen, dass die Wahlbeteiligung in Frankreich so niedrig gewesen sei wie selten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

 

Twitter-Diskussion:

Amir Torknezhad: Die beste Lektion der französischen Präsidentschaftswahlen lautet, dass es mit hoher Beteiligung möglich ist, Extremisten an der Macht zu hindern, egal wo in der Welt.

Antwort von Omid Keshtar: Die Beteiligung an dieser Wahl war die niedrigste seit dem zweiten Weltkrieg.

Jan promoviert derzeit zur urbanen, sozialen und ökonomischen Geschichte Libanons im 20. Jahrhundert an der University of Cambridge. Zuvor studierte er Nahost-, Geschichts-, und Islamwissenschaft in Beirut und Freiburg. Zwischen 2016 und 2020 war er bei dis:orient im Redaktionsteam sowie als Autor aktiv. Neben der Forschung schreibt er...
Artikel von Maximilian Ellebrecht, Amina Nolte, Maryam Roosta, Hauke Waszkewitz
Redigiert von Bodo Straub