05.11.2015
Rezension: „Die neuen Staatsfeinde. Wie die Helfer syrischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland kriminalisiert werden“
Refugee Welcome Center in Hamburg - Photo: Rasande Tyskar/Flickr (CC BY-NC 2.0)
Refugee Welcome Center in Hamburg - Photo: Rasande Tyskar/Flickr (CC BY-NC 2.0)

Angela Merkel wird zur „Flüchtlingskanzlerin“, ein Land rühmt seine „Willkommenskultur“. Doch wie sieht die deutsche Rechtspraxis gegenüber Fluchthelfern aus? Auf diese Frage präsentiert Stefan Buchen einen präzisen Einblick in die moralischen Abgründe der deutschen Asylpolitik. Eine Rezension von Ilyas Saliba

Dieses Buch ist eine Offenbarung. Anhand des Schicksals eines Deutsch-Syrers zeigt es präzise auf, wie Flüchtlinge aufgrund der Kriminalisierung von Fluchthelfern und Migration zu gefährlichen und teuren „illegalen“ Reise gezwungen werden. Und es legt dar, wie deutsche Sicherheitsdienste und das hiesige Rechtssystem Schutzbedürftige durch ihr Vorgehen daran hindern, ihr international anerkanntes Recht auf Schutz wahrzunehmen.

Auf Grundlage von Ermittlungsakten des Bundeskriminalamtes sowie Gesprächen mit den betroffenen Personen rekonstruiert der Autor Stefan Buchen in „Die neuen Staatsfeinde“ den Fall des Fluchthelfers Johannes „Hanna“ L. Dabei hebt er vor allem die fragwürdige rechtliche und sicherheitspolitische Kategorie des „Schleusers“ hervor – vor 25 Jahren noch weitgehend als „Fluchthelfer“ bekannt. So drängt sich die Frage auf, ob unsere Rechtsauslegung andere Standards für nicht-deutsche Flüchtlinge anwendet.

Helfer im Gefängnis

Obwohl alle 270 von Hanna L. unversehrt nach Europa geschleusten syrischen Kriegsflüchtlinge ausnahmslos Asyl erhielten, sitzt der Fluchthelfer inzwischen seit drei Jahren in einem deutschen Gefängnis. Wie Buchen durch fortlaufende historische Parallelen zur deutschen Teilung aufzeigt, wurden dieselben Taten vor nur 25 Jahren noch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Personen wie Hanna L. wurden von der Westrepublik für ihre Anstrengungen belohnt, nicht verfolgt. Die Einsicht in die Untersuchungsunterlagen des Verfahrens „Cash“ stellt außerdem das Ausmaß der teilweise erschreckend rassistischen Beschreibungen durch verantwortliche Beamte dar. So wird in den Pressemitteilungen der Bundespolizei nach dem Schlag gegen sogenannte „organisierte Schlepperkriminalität“ die deutsche Staatsbürgerschaft des Deutsch-Syrers Hanna L. einfach verschwiegen.

Der Eindruck beim Lesen des Buches steht damit konträr zum momentan vermittelten Bild der Bundesrepublik und der Flüchtlingspolitik Angela Merkels. Der progressiven Grundhaltung der Bundesregierung steht in der Rechtsauslegung und in den Sicherheitsapparaten eine Praxis gegenüber, welche die illegale Einwanderung von schutzbedürftigen, asylberechtigten Personen und vor allem ihre Helfer mit voller Härte ins Visier nimmt.

Stefan Buchen geht jedoch über das reine Anprangern dieser Doppelmoral hinaus. Detailliert seziert er das moralisch und rechtlich fragliche Vorgehen des deutschen Rechtsstaates im Umgang mit denen, die Personen in Not helfen, ihrem Elend zu entfliehen und ihr verbrieftes Recht auf ein Asylverfahren in Anspruch zu nehmen. Im Kontext der aktuellen Entwicklungen und des verstärkten Vorgehens der Europäischen Union gegen Schleuserkriminalität stellt sich hier nicht nur die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, sondern auch nach den politischen Implikationen und der Rechtmäßigkeit der Kriminalisierung von Fluchthilfe. Buchens Beschreibungen scheinen in diesem Zusammenhang wie ein Korrektiv. Er legt den Finger in die Wunde und offenbart die Divergenz zwischen dem Willkommensdiskurs und der Rechts- und Polizeipraxis in der Bundesrepublik.

Daraus ergibt sich ein verheerendes Urteil: Bei allem Applaus für die Bundesregierung und ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik, Merkel und Schäuble betreiben die Kriminalisierung von Migration nach Europa. Tatsächlich ist die Bundesregierung nach wie vor die treibende Kraft bei der Schleuserbekämpfung und Grenzsicherung in der europäischen Peripherie von Griechenland über Ungarn bis in die Türkei. Eine solche Kriminalisierungs- und Abschottungspolitik gegenüber Flüchtenden und Fluchthelfern schafft erst den Markt für illegale Schleuser und treibt verzweifelte Menschen in sinkende Boote. Mauern und Abschreckung sind keine adäquaten oder nachhaltigen Mittel, um Migration zu begegnen und verstößt im Prinzip gegen das universelle Recht von Verfolgten auf Asyl, da es ihnen die Möglichkeit, dieses zu beantragen, erschwert bzw. vielen gar verwehrt.

Kritischer Einblick für alle

Obwohl es die Materie detailliert untersucht, ist dieses Buch nicht nur für Migrationsinteressierte spannend. Denn es erzählt ebenso einfühlsam die Geschichte eines Mannes, der alles tut, um möglichst viele Menschen vor den Wirren und Gefahren des Bürgerkrieges in Syrien zu retten. Die deutsche Rechtspraxis erst macht Hanna L. zum Täter.

In nur 199 Seiten rückt Stefan Buchen so die politische und rechtliche Handhabe von Fluchthelfern in Deutschland in ein moralisch fragwürdiges Licht. Das Buch bleibt dabei trotz der komplexen Thematik zugänglich - nicht zuletzt aufgrund der präzisen Sprache und immerwährender Zitate und Illustrationen aus den Ermittlungsakten einerseits und aus den Gesprächen mit den Angeklagten und Geflüchteten andererseits. Das Ergebnis ist ein sehr gut recherchiertes kritisches Werk, welches an politischer Aktualität kaum zu überbieten ist. Dadurch leistet der Autor einen wertvollen geradezu aufweckenden Einblick in eine weniger rühmliche Seite des Dickichts der deutschen und europäischen Asylpolitik.

Ein Plädoyer für einen radikal anderen rechtlichen und politischen Umgang mit Fluchthelfern scheint in der gegenwärtigen Diskussion jedoch kein Gehör zu finden.

 

Stefan Buchen: Die neuen Staatsfeinde. Wie die Helfer syrischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland kriminalisiert werden, Dietz, Bonn 2014, 200 Seiten, 14,80 Euro

Ilyas Saliba ist Deutsch-Syrer und Doktorand an der Berlin Graduate School for Social Sciences der Humboldt Universität zu Berlin sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Er arbeitet zu den Folgen der Arabischen Aufstände und interessiert sich insbesondere für unterschiedliche Regierungsstrategien im Umgang mit Protesten.

 

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