08.01.2021
Vier Jas statt drei Neins: Israel und die Friedensverträge von 2020
Dubai im Nebel. Auf die Verhandlungen zwischen Israel und den UAE folgten mit Bahrain, Marokko und Sudan drei weitere WANA Länder. Bild: Pixabay.
Dubai im Nebel. Auf die Verhandlungen zwischen Israel und den UAE folgten mit Bahrain, Marokko und Sudan drei weitere WANA Länder. Bild: Pixabay.

Nie haben sich in so kurzer Zeit so viele WANA-Staaten zu diplomatischen Beziehungen mit Israel bekannt als im Jahr 2020. Aber was wurde genau vereinbart? Und warum? Eine Übersicht.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Weg zu Friedensgesprächen zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten über die USA führt:  Sowohl das Camp-David-Abkommen 1979 zwischen Israel und Ägypten als auch der israelisch-jordanischen Friedensvertrag von 1994 wurden durch US-Vermittlung geschlossen. Und so war es 2020 die Initiative der Trump-Administration, die zu den Vereinbarungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Sudan und Marokko geführt hat.

Im Gegensatz zum Oslo-Abkommen und dem Friedensvertrag mit Jordanien 1994 ist keine der Abmachungen des Jahres 2020 derart umfangreich, besonders hinsichtlich einer palästinensischen Zukunft. Vielmehr gehen die jüngsten Vereinbarungen nicht über Absichtserklärungen hinaus und lassen damit erheblichen Spielraum für eine zukünftige Diplomatie gegenüber Palästina.

Die Verhandlungen stehen damit im klaren Gegensatz zum Credo der Arabischen Liga und ihrer „Arabischen Friedensinitiative“ von 2002: „Kein Frieden mit Israel ohne einen palästinensischen Staat“. Was hat die vier Staaten also dazu bewogen? Eine Übersicht:

Warum in diesem Jahr?

Die Alleingänge der vier Staaten provozieren die Frage, was einen Deal mit Israel so lohnenswert macht, dass dafür das diplomatische Gefüge WANAs destabilisiert und innenpolitische Konflikte riskiert werden. Wie eingangs erwähnt, hat das vor allem mit dem Einfluss der USA auf WANA zu tun. Hinzu kommt, dass Israel die Tür zu vollständigen diplomatischen Beziehungen mit den USA darstellt, vor allem unter dem scheidenden Präsidenten Donald Trump. Dessen Nähe zu Israel, und dort besonders zum rechten, maximalistischen Lager, gründet vor allem in der bizarren, messianischen Ideologie der evangelikanischen Kirche Amerikas.

Dass diese Nähe nur zu Israel, nicht aber zur palästinensischen Autonomiebehörde existiert, ist spätestens seit der Veröffentlichung des groß angekündigten „Nahost-Friedensplans“ Peace to Prosperity offensichtlich. Der Trumpismus in WANA ist mehr Lobbyarbeit als aufrichtige Diplomatie. Der Druck, so viele Verhandlungen noch vor der US-Präsidentschaftswahl im November 2020 abzuschließen, kann in diesem Sinne auch als Wahlstrategie und Stimmfang im rechtskonservativen Lager verstanden werden.

Was angesichts der Überwindung der „Arabischen Friedensinitiative“ von 2002 erwähnt werden sollte, ist der Umstand, dass keine der jeweiligen Länder ihre Beziehungen zu Israel aus dem Nichts geknüpft hat. Marokko hat bereits kurz nach der Gründung des jüdischen Staates inoffizielle Verbindungen aufgenommen, die arabische Halbinsel wiederum ist geprägt von der offensichtlichen und wohlwollenden Diplomatie zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und dem saudischen Königshaus in Riad. Vor allem der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat ein reges Interesse an einer sunnitischen, international legitimierten Front gegen die Expansion des schiitischen Iran.  

So viel zur Geopolitik. Stabile und engmaschige Beziehungen sind zwar selten nachteilig, jedoch in diesem Fall nur die Betrachtung der Oberfläche. Im Gegensatz zum Frieden Ägyptens mit Israel 1979, dem mehrere Kriege vorangingen, sind die Verhandlungen im Jahr 2020 nicht das Ergebnis eines Krieges, sondern das Aushandeln von ökonomischen, militärischen und technologischen Vorteilen. Mit anderen Worten: der friedensaffine Staatenbund innerhalb der Arabischen Liga sieht in diesen Verhandlungen vor allem innenpolitische Vorteile.

Die Vereinigten Arabischen Emirate

Abgesehen von dem bereits besprochenen Ziel, Teil eines internationalen, anti-iranischen Bündnisses zu sein, stehen im Abkommen mit Israel vor allem Waffen und Technologie im Fokus. Teil des Deals, der ab September 2020 unter dem Arbeitstitel „Abraham-Abkommen“ ausgehandelt wurde, ist der Kauf von 20 F-35-Kampfjets, von dem ein einzelner mehr als 80 Millionen Euro kostet und den VAE einen entscheidenden Vorteil verschafft. Mit deren Anschaffung wären die Emirate das erste und einzige Land der Arabischen Liga in deren Besitz und damit militärtechnologisch unbestreitbar im Vorteil.

Hinzu kommt der Austausch von medizinischer Technologie und der Ausbau von Tourismus und Handel zwischen den beiden Ländern. Was aktuell noch nicht absehbar ist, aber Spekulationen provoziert, ist die prekäre Menschenrechtslage in den VAE, beziehungsweise inwiefern das Abkommen den Emiraten den Zugang zu repressiver Technologie bieten kann. Seit 2011 arbeiten Israel und die VAE zusammen mit Ägypten in den Operationen „Adler“ und „Sinai“ auf dem Sinai zur Niederschlagung islamistischer Kräfte, die sich nach mehreren Attentaten dort verschanzten.

Bahrain

Ebenfalls im September 2020 eröffneten Bahrain und Israel im Rahmen der „Abraham-Abkommen“ offizielle, diplomatische Kanäle. Jedoch teilen beide Länder eine längere, gemeinsame Geschichte. Das mehrheitlich schiitische Land mit einem sunnitischen Königshaus ist ein enger Verbündeter der USA, Saudi-Arabiens und der Emirate und damit auch Teil der iranischen Gegnerschaft. Im Land selbst werden gezielt schiitische Oppositionelle verfolgt und bestraft. Die Stärkung diplomatischer Beziehungen in Gegnerschaft zum Iran stärkt damit auch die Position des bahrainischen Königshauses.

Im offiziellen Dokument heißt es, dass die Zusammenarbeit unter anderem die Bereiche „Sicherheit, Telekommunikation und Technologie“ betreffen werde. Eine mögliche Interpretation ist dementsprechend der Ausbau repressiver Mechanismen in der Golfmonarchie, neben dem Erschließen neuer Märkte und den damit verbundenen ökonomischen Vorteilen. Hinzu kommt die gegenseitige Abhängigkeit im Energiesektor. Israel braucht das Öl der Halbinsel, genauso wie Bahrain auf technologische Fortschritte im Bereich erneuerbarer Energien angewiesen ist.

Sudan

Der Schritt Sudans, Ende Oktober 2020 Friedensgespräche mit Israel aufzunehmen, kam relativ überraschend. Vor allem aber hatten die Verhandlungen einen symbolischen Effekt: Waren doch in Karthum am 1. September 1967 die sogenannten „Drei Neins von Karthum“ beschlossen wurden (Kein Frieden, keine Anerkennung, keine Verhandlungen mit Israel). Die Abkehr davon hat einen ökonomischen Grund: Sudan steht seit Ende der 1990er Jahre auf der Liste der Länder unter sogenannter SST-Sanktionen (State Sponsors of Terrorism).

Anlass dafür war die nachweisliche Beherbergung Osama bin Ladens und seiner Anhänger:innen, die damit einer offiziellen Einladung des damaligen, islamistischen Machthabers Omar al-Bashir folgten. Während dieses Aufenthalts internationalisierten und radikalisierten sich die Aktivitäten bin Ladens und al-Qaidas, was die USA zu jenen SST-Sanktionen veranlasste. Die sukzessive Verarmung, die politische Instabilität im Land nach der Revolution von 2018/19 , Konflikte wie in Darfur, sowie die Abspaltung Südsudans 2011, haben Sudan wirtschaftlich und politisch an den Rand des Kollaps gebracht und international isoliert.

Die Öffnung gegenüber einem Frieden mit Israel dient vor allem dem Ausbruch aus dieser Isolation, denn die USA haben sich bereit erklärt, gegen eine Zahlung von umgerechnet 285 Millionen Euro (als Entschädigung für die Terroranschläge von Nairobi und Daressalam) Sudan von der SST-Liste zu nehmen, um damit das Land ökonomisch wieder zugänglich zu machen.

Im Gegensatz zu den VAE und Bahrain geht es hier nicht um innen- und außenpolitische Gründe, sondern grundsätzlich um das Überleben Sudans. Diese Dringlichkeit wird dadurch verstärkt, dass die momentane Übergangsregierung Abdalla Hamdoks entgegen der politischen Stimmung im Land agiert, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch auf parteipolitischer Ebene und damit ihre eigene Position nachhaltig schwächt.

Marokko

Marokko stellt einen Sonderfall in dieser Liste dar, denn das Land unterhält zu Israel schon seit dessen Gründung Beziehungen, wenn auch inoffiziell. Im Dezember 2020 einigten sich beide Seiten nun offiziell auf eine Normalisierung der Beziehungen.

Im Gegensatz zum Farhud, der massenweisen Vertreibung der jüdischen Bevölkerung des Irak, koordinierte das damals noch französisch besetzte Marokko die Emigration seiner jüdischen Gemeinden zusammen mit Israel. Trotz einer kurzen diplomatischen Krise nach der Unabhängigkeit Marokkos im Jahr 1956, wurde die Zusammenarbeit schnell wieder aufgenommen, besonders hinsichtlich der Unterdrückung oppositioneller Stimmen.

Marokko war durch die letzten Jahrzehnte hindurch der größte Nutznießer israelischen Know-hows in Sachen geheimdienstlicher und militärischer Arbeit, auch ohne offiziellen Friedensvertrag. Dass dieser nun zustande kam, gründet vor allem in einem lang gehegten Wunsch König Mohammeds VI.: der Annexion der Westsahara, beziehungsweise der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS). Seit dem Abzug der spanischen Kolonialmacht 1975 und dem anschließenden „Grünen Marsch“ befinden sich die Sahraouis unter der militärischen Führung der Frente Polisario in einem schwelenden Konflikt mit Marokko.

Lange galt es als international anerkanntes Dogma, die Annexionsbestrebungen Marokkos zu ächten und diesen nicht nachzugeben. Auch hier waren die USA wieder die treibende Kraft, indem sie der Annexion offiziell zustimmten, im Tausch für einen offiziellen Frieden mit Israel. Ergänzt wird der US-amerikanische Türöffner um einen Waffenverkauf an Marokko im Wert von umgerechnet 820 Millionen Euro, hauptsächlich Drohnen und Präzisionsmunition. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Technologie für einen intensiven Krieg gegen die Frente Polisario und oppositionelle Sahraouis eingesetzt wird.

Friedensverträge ohne Frieden

Donald Trump und Benjamin Netanyahu bezeichnen die Verhandlungen und Verträge gern als Schritt Richtung Frieden, Koexistenz und Zusammenarbeit. Oberflächlich betrachtet ist das nicht falsch, verschleiert jedoch Wesentliches:  WANA wird durch 2020 nicht friedlicher, die Fronten eines kalten Krieges werden nur klarer. Iran, Syrien und Qatar stehen nunmehr auf der einen Seite, die USA, Israel und Saudi-Arabien auf der anderen.

Des Weiteren ist nicht abzusehen, wie sich der Westsahara-Konflikt entwickeln wird. Die Frente Polisario ist zwar eine genuin sahraouische Bewegung. Sie wird aber von Algerien unterstützt. Diese Verflechtung hält das Potenzial eines überregionalen Konfliktes bereit, der wiederum große Fluchtströme Richtung Algerien provozieren könnte, wie schon in der Vergangenheit. Auf diplomatischer Ebene geraten UN, EU, als auch Trumps designierter Nachfolger Joe Biden in Zugzwang.

Zurück bleibt die alte Frage nach der Zukunft eines palästinensischen Staates. Auf sie findet sich in den Verträgen zum Leidwesen der Palästinenser:innen keine Antwort.

Tobias Griessbach ist Konfliktethnologe, Veranstalter und Kulturnetzwerker. Er lebt seit 12 Jahren in Leipzig und verbringt viel Zeit in Israel und Palästina.
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Maximilian Menges