05.04.2019
Wer ist Expat, wer Migrant*in?

Warum werden Expats zumeist nicht als Arbeitsmigrant*innen gesehen?  Leonie Nückell zeichnet die Unterschiede zwischen den Begriffen – und macht Expats einen Vorschlag.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne „Des:orientierungen“. Alle Texte der Kolumne findest du hier.

Expat, das klingt nach Abenteuer. Nach einem mutigen Schritt von Menschen, die ihre gewohnte Umgebung verlassen und sich auf das Unbekannte einlassen. Menschen, die geistig wachsen durch die Konfrontation mit bisher nicht erfahrenen Welten, die unvorbereitete Situationen meistern und natürlich dem Lebenslauf einen guten Schliff verpassen.

Expat, die hippe Abkürzung für Expatriate, setzt sich zusammen aus den lateinischen Wörtern „ex“ (aus, heraus) und „patria“ (Vaterland). Expats sind also Menschen, die das Land, das ihnen als „Vaterland“ zugeschrieben wird, verlassen haben – in der Regel jenes, in dem sie geboren wurden.

War es das? Nicht ganz. Wikipedia verrät uns, die zweite Voraussetzung, sich Expat nennen zu dürfen, ist eine zeitlich begrenzte Arbeitsstelle im Zielland. Ferner wird der Begriff auf Studierende angewendet, die zwecks Spracherwerbs oder Studiums irgendwann irgendwo eine Zeit lang verweilen. Und mittlerweile beanspruchen den Titel auch Menschen für sich, die gänzlich ausgewandert sind.

OK. Arbeit oder Fortbildung im Ausland, Auswanderung. Expats sind also Migrant*innen, denn lateinisch migrare bedeutet ‚auswandern‘, ‚wandern‘, ‚reisen‘. Wieso wird aber bei Expats in ihrer Zielgesellschaft nicht breit die Integrationsfrage debattiert, wie es in Deutschland gegenüber Migrant*innen getan wird? Wieso sind mir diskriminierende Vorurteile wie der Satz „Expats nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ noch nie untergekommen? Wieso sprechen so viele Expats lediglich eine der großen Kolonialsprachen? Wieso bemühen sich mittlerweile westliche NGO‘s und Stiftungen, gezielt auch Locals einzustellen? Und wieso wird von Expats keine Assimilierung gefordert?

Expats – the western community

Zum ersten Mal begegnete mir das Wort Expat während meines zweijährigen Aufenthalts in Tunesien. Eine Engländerin in ihren Vierzigern lud mich ein, die „community“ zu „joinen“. „It's so much fun, we meet and go and have a Hotdog for example.” Hm.. denke ich.. bin ich nach Tunesien gekommen, um Hotdogs zu essen? Könnte ich auch mal machen, ja. „We are all Europeans“, fährt die Engländerin begeistert fort, „but no, look“, korrigiert sie sich und zeigt auf den Nordmazedonier und die Bosnierin, die offensichtlich zur Gruppe gehören, „we’re not even only Europeans!“

Abgesehen von den geographischen Kenntnissen der Engländerin gab mir ihr Statement einiges zu denken. Expats bilden ihrer Beschreibung zufolge eine europäische Community und sind in der Regel weiß. Und die Engländerin scheint sich in dieser Community wohl und vor allem sicher zu fühlen.

Expats greifen in ihrem Zielland auf eine ganze Infrastruktur zurück, die lokal ermöglicht und auf die sich ausgerichtet wird. Es gibt Internetportale, auf denen Expats sich vernetzen, hier werden möblierte Wohnungen vermittelt und über die einschlägigen Treffpunkte informiert. Expats vermitteln an Expats. Und wer als Local Zugang zu diesen Communities findet, kann sich als privilegiert betrachten, denn das ist wirtschaftlich lukrativ und mit Prestige verbunden.

Auch für den Freizeitspaß wird gesorgt. Als ich einen weißen, europäischen Freund während seines Aufenthaltes in Amman besuchte, konnte ich nur staunen über das „Expat-Viertel“ Jabal el-Webdeh, in dem er ansässig war. Die gesamte Infrastruktur des Viertels hat sich auf die Dauer-Besucher*innen eingestellt. Teure Cafés, Alkoholläden, Bars und Kneipen im hippen Stil und Bioläden boten ein Ambiente „wie zu Hause“. Die Bars veranstalten regelmäßig Partys, laut meinem Kumpel „lassen die auch ein paar Jordanier rein, damit die Expats was zum F***** haben.“

Expat – ein Ausdruck von sozialem Status und Herkunft

Tatsächlich bin ich natürlich nicht die erste, die über den Kontext des Expat-Daseins philosophiert. Auf dem Expat-Blog des Wall-Street Journals berichtet ein langjähriger Hongkong-Expat von seinen Beobachtungen. So schildert er, dass er als Kanadier als Expat gilt und nach seinem nun sechsjährigen Aufenthalt darüber nachdenkt, einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu beantragen. Dem gegenüber werden beispielsweise Filipinas, die oft jahrzehntelang als Hausangestellte arbeiten, als „Gäste“ bezeichnet und haben wenig Aussichten auf ein permanentes Aufenthaltsrecht.

So lichtet sich allmählich das Dunkel, wer als Expat gilt und wer nicht. Klar ist: Expats sind keine Migrant*innen – und das, obwohl die Herkunft des Wortes Expatriate so nahe dran zu liegen scheint. Migrare und ex-patria, sollte man meinen, haben schlicht etwas mit Bewegung zu tun.

Doch liegen Welten zwischen den Möglichkeiten und Widerständen, auf die beide Communities stoßen. Wo die Expat auf Verständnis stößt, dass sie die Lokalsprache nicht spricht, wird die Migrant*in schief angesehen und gerät unter Verdacht, „sich nicht anpassen zu wollen“. Wo Expat-Communities gepudert und getätschelt werden, trifft die migrantische der Vorwurf der Abschottung.

Community ist nicht gleich Community

Ich persönlich bin der Meinung, dass es gut ist, wenn Communities offen für ihre Umgebung sind. Doch der Grad muss dabei notwendigerweise variieren. Ich verstehe den Wunsch nach Rückzug und Schutzraum, den eine Community bieten kann. Doch absolut grundlegend ist an dieser Stelle, dass es einen eklatanten Unterschied zwischen den beiden Modellen gibt: Bei Communities, die von Rassismus betroffen sind, wird der Schutzraum zur Überlebensstrategie. Wenn Weiße hier keinen oder nur begrenzt Zutritt haben, geschieht das, weil ein Schutzraum nur ein Schutzraum ist, wenn die Agressor*in draußen bleibt.

Auch Expats brauchen Rückzugsräume. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend es sein kann, sich in einer Kultur zu bewegen, die nicht von Kindesbeinen gelernt wurde. Doch brauchen sie keine Schutzräume, denn hier bedeutet die Community die Reproduktion globaler und historisch, rassistisch und kolonial gewachsener Hierarchien. Wer sich darin einschließt, schottet sich tatsächlich ab und profitiert dabei von einem Status, der durch ausbeuterische Verhältnisse hervorgebracht wurde.

Somit mein Vorschlag an euch weiße Wander*innen: traut euch, wagt euch tatsächlich hinaus in die Welt – ihr besitzt das Privileg, dies ziemlich widerstandslos tun zu können! Geht hinaus, lernt dazu und scheißt auf euer patria!

Leonie hat Arabistik, Islamwissenschaft und Soziologie in Bochum, Hamburg und Leipzig studiert. Ihr Bezug in die Region ist vor allem durch einen zweijährigen Aufenthalt in Tunesien geprägt. Zurzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig und als freie Literaturübersetzerin. Bei Alsharq...
Redigiert von Daniel Walter, Julia Nowecki