Die Anerkennung Palästinas durch einige europäische Staaten ist kein Akt der Solidarität, sondern eine Untergrabung des palästinensischen Kampfes für Freiheit, meint Majed Abusalama. Ein Kommentar.
Die Anerkennung des palästinensischen Staates ist keine Geste der Solidarität – sie ist mein Feind. Diese Anerkennung basiert auf der Vorstellung einer Zweistaatenlösung, die die meisten Palästinenser:innen ablehnen. Nur die Eliten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die als Unterhändler des israelischen, kolonialen Regimes fungieren, befürworten sie. Sie kommen ihrer Aufgabe in einem sub-kolonialen Projekt nach. Ihre neoliberale Regierung, die selbst Israels Militärbesatzung untersteht, erlaubte es der PA-Elite, Reichtum, Status und eine oberflächliche Form von Kontrolle zu erlangen. Gleichzeitig dient die PA auf internationaler Ebene liberalen Imperialist:innen, die sich für eine Zweistaatenlösung einsetzen – eine „Lösung“, die Palästina kompromisslos verkleinert und so dem israelischen Staat mehr Zeit gibt, sein zionistisches, siedlerkoloniales Projekt im historischen Palästina auszuweiten.
Ich sage es noch einmal: Die Anerkennung des Staates Palästina ist keine Geste der Solidarität – sie ist mein Feind.
Wir müssen unsere Befreiung selbst definieren
Das weltweite Schweigen angesichts des anhaltenden Genozids, der zerstörerischen Invasion von Gaza-Stadt und der Zerschlagung unserer zentralsten Kämpfe – insbesondere das Recht auf Rückkehr und die Institutionalisierung Jerusalems als Hauptstadt – ist ohrenbetäubend. Ich schreibe, um unser Recht als Palästinenser:innen zu bekräftigen – das Recht darauf, unsere Befreiung selbst zu definieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass Frankreich, Saudi-Arabien oder andere europäische Mächte – mitschuldig an kolonialen Verbrechen und aktueller Untätigkeit – ihr Versagen, den Genozid zu stoppen, mit leeren Gesten der Anerkennung reinwaschen. Unsere Befreiung kann nicht von denjenigen definiert werden, die unsere Unterdrückung erst ermöglicht haben.
Stattdessen müssen wir erkennen: Eine Anerkennung stoppt die Kolonialisierung Palästinas nicht – sie beschleunigt sie. Sie ist kein Schritt in Richtung Gerechtigkeit, sondern eine moralische Bankrotterklärung. Sie legitimiert Zionismus auf den Trümmern der Häuser meiner Großeltern, aus denen sie im Rahmen der ethnischen Säuberungen der Nakba 1948 vertrieben wurden, bis hin zu unseren mittlerweile zerstörten Geflüchtetenlagern in Gaza.
Alle Geflüchteten in Gaza teilen diese Geschichte ebenso wie die über 5,9 Millionen palästinensischen Geflüchteten, die bei der UNRWA registriert sind. Und das ist nur die offizielle Zahl; nach Schätzungen sind 1 – 1,5 Millionen weitere Palästinenser:innen nicht einmal registriert. Wird eine Anerkennung des Staates Palästina das Recht auf Rückkehr gemäß der UN-Resolution 194 für all diese Geflüchteten wiederherstellen? Oder wird sie dieses Recht erneut untergraben?
Die Anerkennung legitimiert Kolonialismus, Landraub und Besatzung
Diese Anerkennung gibt uns unsere Heimat nicht zurück – sie löscht sie aus. Sie hält den Landraub aufrecht und legalisiert ihn. Sie erklärt eine jüdische Vorherrschaft zum Sieger über die Leichen hunderttausender Palästinenser:innen und über die eine Million Menschen, die seit 1948 wegen ihres Widerstands gegen das zionistische Kolonialregime inhaftiert worden sind. Und sie gewährt zionistischen Siedler:innen uneingeschränkte Selbstbestimmung, während die Selbstbestimmung von uns Palästinenser:innen an Bedingungen geknüpft wird.
Ein Aspekt der jüngsten Anerkennungen war besonders beleidigend: Der britische Premierminister Keir Starmer, der den Genozid in Gaza nicht nur unterstützt, sondern aktiv bewaffnet hat, zitierte mit arrogantem Stolz die Balfour-Erklärung von 1917 – und bekräftigte damit seine uneingeschränkte Unterstützung für die jüdische Vorherrschaft und den israelischen Staat im historischen Palästina.
Es zeigt sich: Dieselben Institutionen und Staaten, die nun eine Anerkennung verkünden, unterstützen weiterhin einen Genozid, der live übertragen wird, und bekräftigen täglich ihre Unterstützung für das siedlerkoloniale Projekt Israels – ohne zu zögern und ohne zumindest den ursprünglichen Teilungsplan, welcher der zionistischen Bewegung über 43 Prozent des historischen Palästinas zusprach, zu berücksichtigen. Nach den Oslo-Abkommen von 1993 gab sich die Elite der Fatah-Partei mit nur 18 Prozent des historischen Palästinas zufrieden. Heute, mit über 700.000 Siedler:innen im Westjordanland und in Jerusalem, kontrolliert die Palästinensische Autonomiebehörde weniger als 10 Prozent des Landes. Und selbst in diesem begrenzten Gebiet behält sich die israelische Besatzungsmacht vor, zu inhaftieren, zu bombardieren und Razzien durchzuführen – womit sie unserem sogenannten Staat den letzten Rest jeglicher Autonomie oder Souveränität nimmt.
Dekolonisierung statt liberalem Imperialismus
All das folgt einer kolonialen Logik. Wer diese Logik akzeptiert, ohne die Geschichte zu hinterfragen, ist entweder heuchlerisch oder mitschuldig. Und dennoch jubeln die Menschen jeglicher Form der Anerkennung des palästinensischen Staates zu. Als ob die indigene Bevölkerung Palästinas die Anerkennung ihrer Kolonisator:innen bräuchte. Die meisten politischen Parteien in Europa unterstützen die Anerkennung kritiklos und erkennen nicht, dass sie nicht nur die politischen Rechte der Palästinenser:innen untergräbt, sondern zugleich die Region destabilisiert.
Generationen von Palästinenser:innen wissen: Eine solche Anerkennung wird uns nicht befreien, unser Heimatland nicht wiederherstellen und uns auch keine Wiedergutmachung bieten. Stattdessen macht sie uns unsichtbar und stellt uns als unterlegen dar. Sie vertieft unser Misstrauen gegenüber einer internationalen Gemeinschaft, die sich gegen unseren Traum verbündet zu haben scheint.
Die Welt sollte innehalten und ihr Denken dekolonisieren. Wir werden uns nicht mit einem Teil unseres Heimatlandes zufriedengeben, nur damit europäische, russische und amerikanische Siedler:innen dessen Rest genießen können. Diese Anerkennung ist kein Schritt in Richtung Gerechtigkeit – sie ist eine Flucht vor Verantwortung. Und sie ist Teil des andauernden Genozids und der eskalierenden Nakba. Sie beraubt Palästina von allem Palästinensischen, einschließlich unserer Möglichkeit, von einer selbstgewählten Art der Befreiung zu träumen – einer Befreiung, die auch jüdische Menschen einschließen kann, jedoch nicht auf Kosten unserer indigenen Träume.
Es ist eine liberale Bankrotterklärung, die sich als Solidarität tarnt. Sie soll die Welt davon überzeugen, dass etwas für die Palästinenser:innen getan wird, während wir in Wirklichkeit bestraft, verletzt und zum Schweigen gebracht werden – und imperialistische Stimmen nur für sich selbst sprechen.
Eine Ablenkung vom Genozid
Niemals werde ich eine Anerkennung akzeptieren, die das zionistische israelische Kolonialregime legitimiert oder die Komplizenschaft des westlichen Imperialismus beschönigt – insbesondere nicht seitens Großbritanniens. Diese Anerkennung ist keine Lösung, sondern lenkt davon ab, den Völkermord und den Siedlerkolonialismus zu beenden. Großbritannien wird, wie alle westlichen Mächte, seinen Waffenhandel mit Israel fortsetzen und sich wie gewohnt weiterhin schamlos an unserem Genozid beteiligen.
Nach mehr als 23 Monaten Genozid sollte die einzig sinnvolle Reaktion darin bestehen, Israel zu sanktionieren und die Straflosigkeit zu beenden. Alles andere entehrt die unzähligen Todesopfer in Gaza, von denen 80 Prozent selbst Geflüchtete sind. Während einige westliche Länder über Sanktionen gegen Israel diskutierten und Spanien ein drittes Waffenhandelsabkommen mit Israel annullierte, zeigt die Untätigkeit der meisten europäischen Länder doch die tiefe Verflechtung von rechtsnationalistischen Zionist:innen in Israel und rechter Politik im Westen.
Kollektive Befreiung statt Kapitulation
Ich lehne die Vorstellung ab, dass westliche Politiker:innen das Recht hätten, für uns Palästinenser:innen zu entscheiden, ob die Hamas an der Zukunft Palästinas beteiligt sein sollte. Diese politische Entscheidung liegt allein bei den Palästinenser:innen. Doch westliche Imperialist:innen glauben, natürlich, dass sie es besser wüssten. Ich selbst gehöre zu den kritischsten Stimmen gegenüber der Hamas, und dennoch erkenne ich an, dass sie politische Legitimität und eine Wähler:innenbasis hat. Sie ist die größte palästinensische Partei und muss als solche respektiert werden.
Insgesamt zeigt sich also: Die Anerkennung Palästinas ist eine koloniale Illusion. Eine Zweistaatenlösung ist nicht nur Fiktion, sondern war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Sie ist kein Weg zu kollektiver Befreiung. Wahre Anerkennung beginnt mit der Anerkennung des Genozids, der Sanktionierung Israels, der Beendigung der Straflosigkeit und dem Abbau der kolonialen Strukturen, die uns seit Generationen enteignet haben. Alles andere ist keine Anerkennung – es ist Kapitulation. Und das werde ich, wie viele Palästinenser:innen, niemals akzeptieren.





















